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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Nein, so spendabel ist der Heilig' nicht. Da hat's geheißen: Herr
Sonnenwirth, Er ist ein reicher Mann und die Commun' kann da
nicht eintreten, also zahlt Er das Kostgeld für Seine Enkel.

Ist wahr, er hat mir einmal geklagt, die Kinder kosten ihn so
viel Geld und deswegen könne er das Geld zur Auswanderung nicht
so geschwind aufbringen.

So lang mein Jerg dagewesen ist, hat's den Kindern an nichts
gefehlt, seit der aber mehr und mehr fort ist, hat man anders für sie
sorgen müssen. Wie nun mein' Mutter mir hat zu verstehen geben,
daß ich ihr überlästig sei, hab' ich meine Kinder mit tausend Schmerzen
küßt und hab' das Herz in beide Händ' genommen und bin nach
Denzlingen gangen zur Schulmeisterin. Die ist zum Glück grad' in
der größten Verlegenheit gewesen und hat gesagt, ich hätt' ihr nicht
geschickter kommen können, sie hab' eben eine Magd aus'm Dienst ge¬
jagt, die ihr gestohlen hab'. Drauf hat sie zu ihrem Mann gesagt:
Sieh, mit der äußerlichen Frömmigkeit sind wir angeführt gewesen,
jetzt folg' mir und hilf mir's auch einmal mit dem Weltkind da pro¬
biren; die ist kein' Heilige und hat viel durchgemacht, aber vielleicht
wird ihr auch viel verziehen, und ehrlich ist sie auf alle Fäll'. Er
ist's dann zufrieden gewesen. Ob sie ihm Alles von mir gesagt hat,
weiß ich nicht, es ist nie zwischen uns die Red' davon gewesen, aber
ich hab' in dem Haus gelebt wie im Paradies. Die Leut' sind fromm,
nicht bloß mit Morgen- und Abendsegenlesen, sondern reden auch den
ganzen Tag von frommen Sachen, wie's eben das Geschäft erlaubt,
denn darin versäumen sie nichts; aber -- ich weiß nicht recht wie ich
mich ausdrücken soll -- in ihrem Christenthum ist so etwas Gegen¬
wärtig's, das nicht bloß hoch im Himmel droben oder weit fort im
jüdischen Land, sondern mitten in Denzlingen drin ist und immer dem
heutigen Tag und der jetzigen Stund' gilt, ganz anders als man's
sonst in der Kirch' und im Leben trifft. Und grad' so sind des Pfar¬
rers auch, drum halten sie auch zusammen, wie man's selten bei Pfar¬
rer und Schulmeister sind't. Dabei sind sie allweil guter Ding' und
oft sogar recht lustig und zum Lachen aufgelegt, besonders der Pfarrer
macht gern allerlei Späßle, und der Schulmeister antwortet ihm drauf,
lassen sich auch nichts abgehen, wiewohl sie gar nicht dick thun und
ihr' Sach' reichlich mit der Armuth theilen. Aber freilich, sie haben's

Nein, ſo ſpendabel iſt der Heilig' nicht. Da hat's geheißen: Herr
Sonnenwirth, Er iſt ein reicher Mann und die Commun' kann da
nicht eintreten, alſo zahlt Er das Koſtgeld für Seine Enkel.

Iſt wahr, er hat mir einmal geklagt, die Kinder koſten ihn ſo
viel Geld und deswegen könne er das Geld zur Auswanderung nicht
ſo geſchwind aufbringen.

So lang mein Jerg dageweſen iſt, hat's den Kindern an nichts
gefehlt, ſeit der aber mehr und mehr fort iſt, hat man anders für ſie
ſorgen müſſen. Wie nun mein' Mutter mir hat zu verſtehen geben,
daß ich ihr überläſtig ſei, hab' ich meine Kinder mit tauſend Schmerzen
küßt und hab' das Herz in beide Händ' genommen und bin nach
Denzlingen gangen zur Schulmeiſterin. Die iſt zum Glück grad' in
der größten Verlegenheit geweſen und hat geſagt, ich hätt' ihr nicht
geſchickter kommen können, ſie hab' eben eine Magd aus'm Dienſt ge¬
jagt, die ihr geſtohlen hab'. Drauf hat ſie zu ihrem Mann geſagt:
Sieh, mit der äußerlichen Frömmigkeit ſind wir angeführt geweſen,
jetzt folg' mir und hilf mir's auch einmal mit dem Weltkind da pro¬
biren; die iſt kein' Heilige und hat viel durchgemacht, aber vielleicht
wird ihr auch viel verziehen, und ehrlich iſt ſie auf alle Fäll'. Er
iſt's dann zufrieden geweſen. Ob ſie ihm Alles von mir geſagt hat,
weiß ich nicht, es iſt nie zwiſchen uns die Red' davon geweſen, aber
ich hab' in dem Haus gelebt wie im Paradies. Die Leut' ſind fromm,
nicht bloß mit Morgen- und Abendſegenleſen, ſondern reden auch den
ganzen Tag von frommen Sachen, wie's eben das Geſchäft erlaubt,
denn darin verſäumen ſie nichts; aber — ich weiß nicht recht wie ich
mich ausdrücken ſoll — in ihrem Chriſtenthum iſt ſo etwas Gegen¬
wärtig's, das nicht bloß hoch im Himmel droben oder weit fort im
jüdiſchen Land, ſondern mitten in Denzlingen drin iſt und immer dem
heutigen Tag und der jetzigen Stund' gilt, ganz anders als man's
ſonſt in der Kirch' und im Leben trifft. Und grad' ſo ſind des Pfar¬
rers auch, drum halten ſie auch zuſammen, wie man's ſelten bei Pfar¬
rer und Schulmeiſter ſind't. Dabei ſind ſie allweil guter Ding' und
oft ſogar recht luſtig und zum Lachen aufgelegt, beſonders der Pfarrer
macht gern allerlei Späßle, und der Schulmeiſter antwortet ihm drauf,
laſſen ſich auch nichts abgehen, wiewohl ſie gar nicht dick thun und
ihr' Sach' reichlich mit der Armuth theilen. Aber freilich, ſie haben's

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[316/0332] Nein, ſo ſpendabel iſt der Heilig' nicht. Da hat's geheißen: Herr Sonnenwirth, Er iſt ein reicher Mann und die Commun' kann da nicht eintreten, alſo zahlt Er das Koſtgeld für Seine Enkel. Iſt wahr, er hat mir einmal geklagt, die Kinder koſten ihn ſo viel Geld und deswegen könne er das Geld zur Auswanderung nicht ſo geſchwind aufbringen. So lang mein Jerg dageweſen iſt, hat's den Kindern an nichts gefehlt, ſeit der aber mehr und mehr fort iſt, hat man anders für ſie ſorgen müſſen. Wie nun mein' Mutter mir hat zu verſtehen geben, daß ich ihr überläſtig ſei, hab' ich meine Kinder mit tauſend Schmerzen küßt und hab' das Herz in beide Händ' genommen und bin nach Denzlingen gangen zur Schulmeiſterin. Die iſt zum Glück grad' in der größten Verlegenheit geweſen und hat geſagt, ich hätt' ihr nicht geſchickter kommen können, ſie hab' eben eine Magd aus'm Dienſt ge¬ jagt, die ihr geſtohlen hab'. Drauf hat ſie zu ihrem Mann geſagt: Sieh, mit der äußerlichen Frömmigkeit ſind wir angeführt geweſen, jetzt folg' mir und hilf mir's auch einmal mit dem Weltkind da pro¬ biren; die iſt kein' Heilige und hat viel durchgemacht, aber vielleicht wird ihr auch viel verziehen, und ehrlich iſt ſie auf alle Fäll'. Er iſt's dann zufrieden geweſen. Ob ſie ihm Alles von mir geſagt hat, weiß ich nicht, es iſt nie zwiſchen uns die Red' davon geweſen, aber ich hab' in dem Haus gelebt wie im Paradies. Die Leut' ſind fromm, nicht bloß mit Morgen- und Abendſegenleſen, ſondern reden auch den ganzen Tag von frommen Sachen, wie's eben das Geſchäft erlaubt, denn darin verſäumen ſie nichts; aber — ich weiß nicht recht wie ich mich ausdrücken ſoll — in ihrem Chriſtenthum iſt ſo etwas Gegen¬ wärtig's, das nicht bloß hoch im Himmel droben oder weit fort im jüdiſchen Land, ſondern mitten in Denzlingen drin iſt und immer dem heutigen Tag und der jetzigen Stund' gilt, ganz anders als man's ſonſt in der Kirch' und im Leben trifft. Und grad' ſo ſind des Pfar¬ rers auch, drum halten ſie auch zuſammen, wie man's ſelten bei Pfar¬ rer und Schulmeiſter ſind't. Dabei ſind ſie allweil guter Ding' und oft ſogar recht luſtig und zum Lachen aufgelegt, beſonders der Pfarrer macht gern allerlei Späßle, und der Schulmeiſter antwortet ihm drauf, laſſen ſich auch nichts abgehen, wiewohl ſie gar nicht dick thun und ihr' Sach' reichlich mit der Armuth theilen. Aber freilich, ſie haben's

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/332>, abgerufen am 21.11.2024.