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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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neinen der Andern erzählte sie: Eine arme Frau mit einem Kind
steht weinend an der Kirche. Begegnet ihr ein Jud' und fragt warum
sie weine. Der Pfarrer will mein Kind nicht taufen, sagt sie, weil
ich die Taufgebür nicht zahlen kann. Ei, sagt er, da ist bald ge¬
holfen, und gibt ihr einen Sonnenlouisd'or, sie solle ihn dem Pfarrer
bringen und sagen, eine Christenseele habe ihr aus der Noth geholfen.
Darauf geht sie in die Sacristei, und wie die Kirche aus ist, kommt
sie ganz vergnügt heraus. Nun, wie hat's gegangen? fragt der Jude,
der auf sie gewartet hat. Das Kind sei glücklich getauft, sagt sie,
sie hätte freilich geglaubt, der Pfarrer solle ihr auf das Gold heraus¬
geben, was ihm nicht eingefallen sei; aber dennoch hat sie dem Juden
tausendmal gedankt. Gott's Wunder, sagt der Lieutenant Löw, wenn
der Pfaff herausgegiben hätt', so wär' der Spaß freilich noch größer,
aber Dank's werth ist's auf keinen Fall, denn der Luckedor war falsch.
Die Gesellschaft brach in ein unbändiges Gelächter aus, in welchem
sich Schwamenjackel's Stimme durch ein eigenthümliches Grunzen unter¬
schied. Bettelmelcher lachte, daß ihm die Thränen in den Augen
standen.

Lieutenant Löw? fragte der Gast, als man sich müde gelacht
hatte. Unter welchem Militär gibt's denn jüdische Offiziere?

Das Gelächter brach von neuem so heftig aus, daß er, in der
Ueberzeugung, ungeschickt gefragt zu haben, mitlachen mußte.

Diese Art Militär, belehrte ihn der Zigeuner, ist bei Mergenthal zu
Hause, steht aber nicht im Dienste des deutschen Ordens, obwohl unter
allen Ländern dort am besten zu leben ist, denn der Deutschmeister
hat gelobt, nie Einen mit einer Todesstrafe zu belegen und nie die
Auslieferung eines Flüchtigen zu verlangen, und alle seine Unterthanen
vom Schultheißen bis zum Nachtwächter halten's mit uns; dort ist
kein Bub' und kein Mägdlein, das nicht Jenisch versteht. Darum
wird auch kein vernünftiger Kochum in jenem Gebiet etwas anstellen,
aber es ist ein sehr günstiges Terrain, um von da aus in der Um¬
gegend mit Unternehmungen aufzutreten. Drei Lieutenants haben dort
Gesellschaften gegründet mit einer Einrichtung, die man sonst nirgends
trifft. Jeder hat ungefähr dreißig Mann unter sich, meist Juden,
auch Zigeuner, und im Nothfall werben sie auch sonst taugliche Leute
dazu. Wenn ein Koch unternommen werden soll, so wird zuerst der

neinen der Andern erzählte ſie: Eine arme Frau mit einem Kind
ſteht weinend an der Kirche. Begegnet ihr ein Jud' und fragt warum
ſie weine. Der Pfarrer will mein Kind nicht taufen, ſagt ſie, weil
ich die Taufgebür nicht zahlen kann. Ei, ſagt er, da iſt bald ge¬
holfen, und gibt ihr einen Sonnenlouisd'or, ſie ſolle ihn dem Pfarrer
bringen und ſagen, eine Chriſtenſeele habe ihr aus der Noth geholfen.
Darauf geht ſie in die Sacriſtei, und wie die Kirche aus iſt, kommt
ſie ganz vergnügt heraus. Nun, wie hat's gegangen? fragt der Jude,
der auf ſie gewartet hat. Das Kind ſei glücklich getauft, ſagt ſie,
ſie hätte freilich geglaubt, der Pfarrer ſolle ihr auf das Gold heraus¬
geben, was ihm nicht eingefallen ſei; aber dennoch hat ſie dem Juden
tauſendmal gedankt. Gott's Wunder, ſagt der Lieutenant Löw, wenn
der Pfaff herausgegiben hätt', ſo wär' der Spaß freilich noch größer,
aber Dank's werth iſt's auf keinen Fall, denn der Luckedor war falſch.
Die Geſellſchaft brach in ein unbändiges Gelächter aus, in welchem
ſich Schwamenjackel's Stimme durch ein eigenthümliches Grunzen unter¬
ſchied. Bettelmelcher lachte, daß ihm die Thränen in den Augen
ſtanden.

Lieutenant Löw? fragte der Gaſt, als man ſich müde gelacht
hatte. Unter welchem Militär gibt's denn jüdiſche Offiziere?

Das Gelächter brach von neuem ſo heftig aus, daß er, in der
Ueberzeugung, ungeſchickt gefragt zu haben, mitlachen mußte.

Dieſe Art Militär, belehrte ihn der Zigeuner, iſt bei Mergenthal zu
Hauſe, ſteht aber nicht im Dienſte des deutſchen Ordens, obwohl unter
allen Ländern dort am beſten zu leben iſt, denn der Deutſchmeiſter
hat gelobt, nie Einen mit einer Todesſtrafe zu belegen und nie die
Auslieferung eines Flüchtigen zu verlangen, und alle ſeine Unterthanen
vom Schultheißen bis zum Nachtwächter halten's mit uns; dort iſt
kein Bub' und kein Mägdlein, das nicht Jeniſch verſteht. Darum
wird auch kein vernünftiger Kochum in jenem Gebiet etwas anſtellen,
aber es iſt ein ſehr günſtiges Terrain, um von da aus in der Um¬
gegend mit Unternehmungen aufzutreten. Drei Lieutenants haben dort
Geſellſchaften gegründet mit einer Einrichtung, die man ſonſt nirgends
trifft. Jeder hat ungefähr dreißig Mann unter ſich, meiſt Juden,
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[374/0390] neinen der Andern erzählte ſie: Eine arme Frau mit einem Kind ſteht weinend an der Kirche. Begegnet ihr ein Jud' und fragt warum ſie weine. Der Pfarrer will mein Kind nicht taufen, ſagt ſie, weil ich die Taufgebür nicht zahlen kann. Ei, ſagt er, da iſt bald ge¬ holfen, und gibt ihr einen Sonnenlouisd'or, ſie ſolle ihn dem Pfarrer bringen und ſagen, eine Chriſtenſeele habe ihr aus der Noth geholfen. Darauf geht ſie in die Sacriſtei, und wie die Kirche aus iſt, kommt ſie ganz vergnügt heraus. Nun, wie hat's gegangen? fragt der Jude, der auf ſie gewartet hat. Das Kind ſei glücklich getauft, ſagt ſie, ſie hätte freilich geglaubt, der Pfarrer ſolle ihr auf das Gold heraus¬ geben, was ihm nicht eingefallen ſei; aber dennoch hat ſie dem Juden tauſendmal gedankt. Gott's Wunder, ſagt der Lieutenant Löw, wenn der Pfaff herausgegiben hätt', ſo wär' der Spaß freilich noch größer, aber Dank's werth iſt's auf keinen Fall, denn der Luckedor war falſch. Die Geſellſchaft brach in ein unbändiges Gelächter aus, in welchem ſich Schwamenjackel's Stimme durch ein eigenthümliches Grunzen unter¬ ſchied. Bettelmelcher lachte, daß ihm die Thränen in den Augen ſtanden. Lieutenant Löw? fragte der Gaſt, als man ſich müde gelacht hatte. Unter welchem Militär gibt's denn jüdiſche Offiziere? Das Gelächter brach von neuem ſo heftig aus, daß er, in der Ueberzeugung, ungeſchickt gefragt zu haben, mitlachen mußte. Dieſe Art Militär, belehrte ihn der Zigeuner, iſt bei Mergenthal zu Hauſe, ſteht aber nicht im Dienſte des deutſchen Ordens, obwohl unter allen Ländern dort am beſten zu leben iſt, denn der Deutſchmeiſter hat gelobt, nie Einen mit einer Todesſtrafe zu belegen und nie die Auslieferung eines Flüchtigen zu verlangen, und alle ſeine Unterthanen vom Schultheißen bis zum Nachtwächter halten's mit uns; dort iſt kein Bub' und kein Mägdlein, das nicht Jeniſch verſteht. Darum wird auch kein vernünftiger Kochum in jenem Gebiet etwas anſtellen, aber es iſt ein ſehr günſtiges Terrain, um von da aus in der Um¬ gegend mit Unternehmungen aufzutreten. Drei Lieutenants haben dort Geſellſchaften gegründet mit einer Einrichtung, die man ſonſt nirgends trifft. Jeder hat ungefähr dreißig Mann unter ſich, meiſt Juden, auch Zigeuner, und im Nothfall werben ſie auch ſonſt taugliche Leute dazu. Wenn ein Koch unternommen werden ſoll, ſo wird zuerſt der

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/390>, abgerufen am 26.11.2024.