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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Fall ist: überall Patente gelöst, jedes Stückchen Waare auf's pünkt¬
lichste verzollt, gegen das Gesetz und das kaufende Publicum durch und
durch reell, und dabei Preise, die jede Concurrenz schlagen müssen!
Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Gesellschaft
ein Mitglied haben --

Und dazu ist unser Freund Schwan wie gemacht! rief ihr Sohn
dazwischen.

Das will ich ja gerade sagen! rief die Alte eifrig. Man darf
unsern Freund nur ansehen. Wenn er Sonnenwirth wäre an seines
Vaters Statt oder sonst ein offenes Geschäft hätte oder mit einer
Kramkiste umherreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den kostbarsten
Waaren hausiren -- wer würde einem Mann von solch' aufrichtiger
Physionomie, von solch' leutseligem und bescheidenem Betragen nicht
sein Vertrauen schenken?

Schönes Compliment! rief Bettelmelcher lachend. Das heißt mit
andern Worten: wir sehen aus wie Spitzbuben und er wie ein
Biedermann.

Alles in seiner Art, sagte die Alte, und Jeder an seinem Platz!
Was kann unser Freund für sein Gesicht? Er sagt, er sei um sein
Mütterliches gebracht worden. O das ist ein großer Irrthum! Sein
Mütterliches guckt ihm aus dem Gesicht heraus. Die meisten Menschen
sehen bloß ihrem Vater ähnlich, und die Männer verhärten sich im
Leben, das kann nicht anders sein. Wenn aber Einer etwas von
seiner Mutter hat, so braucht man die Frau gar nicht gekannt zu
haben, man sieht's auf den ersten Blick, und wenn er noch so finster
und grimmig dreinschaut. Ich verstehe mich auf Physionomien. Das
ist ein Gesicht, mit dem es Alle, die sich ehrliche Leute nennen, gern
zu thun haben, denn man merkt ihm gleich den Deutschen, und was
noch mehr sagen will, den Schwaben an.

Die Augen der Alten ruhten bei diesen Worten mit einer brennen¬
den Wärme auf ihm, als ob ihr altes Herz sich noch von jugendlichem
Liebesfeuer durchglüht fühlte. Es belästigte ihn, es lächerte ihn, und
dennoch that es ihm wohl. Erst als ihre ältere Tochter den Ausspruch
der Mutter mit thätlichen Beweisen der Zustimmung begleiten wollte,
fühlte er einen wirklichen Widerwillen und rückte von ihr weg, wie
die jüngere vorhin sich von ihm entfernt hatte.

Fall iſt: überall Patente gelöſt, jedes Stückchen Waare auf's pünkt¬
lichſte verzollt, gegen das Geſetz und das kaufende Publicum durch und
durch reell, und dabei Preiſe, die jede Concurrenz ſchlagen müſſen!
Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Geſellſchaft
ein Mitglied haben —

Und dazu iſt unſer Freund Schwan wie gemacht! rief ihr Sohn
dazwiſchen.

Das will ich ja gerade ſagen! rief die Alte eifrig. Man darf
unſern Freund nur anſehen. Wenn er Sonnenwirth wäre an ſeines
Vaters Statt oder ſonſt ein offenes Geſchäft hätte oder mit einer
Kramkiſte umherreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den koſtbarſten
Waaren hauſiren — wer würde einem Mann von ſolch' aufrichtiger
Phyſionomie, von ſolch' leutſeligem und beſcheidenem Betragen nicht
ſein Vertrauen ſchenken?

Schönes Compliment! rief Bettelmelcher lachend. Das heißt mit
andern Worten: wir ſehen aus wie Spitzbuben und er wie ein
Biedermann.

Alles in ſeiner Art, ſagte die Alte, und Jeder an ſeinem Platz!
Was kann unſer Freund für ſein Geſicht? Er ſagt, er ſei um ſein
Mütterliches gebracht worden. O das iſt ein großer Irrthum! Sein
Mütterliches guckt ihm aus dem Geſicht heraus. Die meiſten Menſchen
ſehen bloß ihrem Vater ähnlich, und die Männer verhärten ſich im
Leben, das kann nicht anders ſein. Wenn aber Einer etwas von
ſeiner Mutter hat, ſo braucht man die Frau gar nicht gekannt zu
haben, man ſieht's auf den erſten Blick, und wenn er noch ſo finſter
und grimmig dreinſchaut. Ich verſtehe mich auf Phyſionomien. Das
iſt ein Geſicht, mit dem es Alle, die ſich ehrliche Leute nennen, gern
zu thun haben, denn man merkt ihm gleich den Deutſchen, und was
noch mehr ſagen will, den Schwaben an.

Die Augen der Alten ruhten bei dieſen Worten mit einer brennen¬
den Wärme auf ihm, als ob ihr altes Herz ſich noch von jugendlichem
Liebesfeuer durchglüht fühlte. Es beläſtigte ihn, es lächerte ihn, und
dennoch that es ihm wohl. Erſt als ihre ältere Tochter den Ausſpruch
der Mutter mit thätlichen Beweiſen der Zuſtimmung begleiten wollte,
fühlte er einen wirklichen Widerwillen und rückte von ihr weg, wie
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[380/0396] Fall iſt: überall Patente gelöſt, jedes Stückchen Waare auf's pünkt¬ lichſte verzollt, gegen das Geſetz und das kaufende Publicum durch und durch reell, und dabei Preiſe, die jede Concurrenz ſchlagen müſſen! Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Geſellſchaft ein Mitglied haben — Und dazu iſt unſer Freund Schwan wie gemacht! rief ihr Sohn dazwiſchen. Das will ich ja gerade ſagen! rief die Alte eifrig. Man darf unſern Freund nur anſehen. Wenn er Sonnenwirth wäre an ſeines Vaters Statt oder ſonſt ein offenes Geſchäft hätte oder mit einer Kramkiſte umherreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den koſtbarſten Waaren hauſiren — wer würde einem Mann von ſolch' aufrichtiger Phyſionomie, von ſolch' leutſeligem und beſcheidenem Betragen nicht ſein Vertrauen ſchenken? Schönes Compliment! rief Bettelmelcher lachend. Das heißt mit andern Worten: wir ſehen aus wie Spitzbuben und er wie ein Biedermann. Alles in ſeiner Art, ſagte die Alte, und Jeder an ſeinem Platz! Was kann unſer Freund für ſein Geſicht? Er ſagt, er ſei um ſein Mütterliches gebracht worden. O das iſt ein großer Irrthum! Sein Mütterliches guckt ihm aus dem Geſicht heraus. Die meiſten Menſchen ſehen bloß ihrem Vater ähnlich, und die Männer verhärten ſich im Leben, das kann nicht anders ſein. Wenn aber Einer etwas von ſeiner Mutter hat, ſo braucht man die Frau gar nicht gekannt zu haben, man ſieht's auf den erſten Blick, und wenn er noch ſo finſter und grimmig dreinſchaut. Ich verſtehe mich auf Phyſionomien. Das iſt ein Geſicht, mit dem es Alle, die ſich ehrliche Leute nennen, gern zu thun haben, denn man merkt ihm gleich den Deutſchen, und was noch mehr ſagen will, den Schwaben an. Die Augen der Alten ruhten bei dieſen Worten mit einer brennen¬ den Wärme auf ihm, als ob ihr altes Herz ſich noch von jugendlichem Liebesfeuer durchglüht fühlte. Es beläſtigte ihn, es lächerte ihn, und dennoch that es ihm wohl. Erſt als ihre ältere Tochter den Ausſpruch der Mutter mit thätlichen Beweiſen der Zuſtimmung begleiten wollte, fühlte er einen wirklichen Widerwillen und rückte von ihr weg, wie die jüngere vorhin ſich von ihm entfernt hatte.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/396>, abgerufen am 25.11.2024.