erschien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr nach sich ziehend. Es war Christine, die ihm ängstlich und mit sicht¬ barem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als sie ihren Frieder zwischen den beiden Schönheiten sitzen sah, von welchen ihr Begleiter vermuthlich nichts gesagt hatte. Dieser rechtfertigte das Lob, das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte seine Anbefohlene mit fratzenhafter Galanterie herbei und sagte kratzfußend, indem ein leises, aber unbeschreiblich boshaftes Lächeln in seinen Mundwinkeln stand: Habe die Ehre, Madame Schwan der Gesellschaft zu präsentiren. Christine zog ihren Arm aus dem seinigen und trat zu ihrem Manne. Wo steckst denn so lang? fragte sie weinerlich. Läßst mich eine geschlagene Stund' vor'm Wald da warten, daß ich schier am Umsinken bin.
Nun so setz' dich, erwiderte er etwas unmuthig, bist ja jetzt bei mir.
Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Christinen zu sich nieder, so daß sie zu ihrem Manne zu sitzen kam. Freilich war der Platz nach der andern Seite hin nicht sehr vortheilhaft für sie, sofern sie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, schöneren und rei¬ zend gekleideten Nachbarin aushalten mußte. Friedrich wußte, daß die Gesellschaft stille Blicke unter sich wechselte, die das Ergeb¬ niß dieser Vergleichung aussprachen. Er sah die Blicke nicht, aber er fühlte sie.
Aus Rücksicht auf den neuen Gast wurde die Unterhaltung, zu welcher man sich bisher der jenischen Mischsprache untermengt mit modischen Brocken, bedient hatte, nun ganz deutsch geführt, wollte aber nicht recht in Gang kommen. Man bot Christinen, deren schlaffe Züge Müdigkeit und Hunger verriethen, von den Ueberbleibseln des Essens an; sie genoß einige Bissen, stieß aber bald die Speise zurück und klagte über Uebelkeit. Der dienst¬ fertige Mundschenk bot ihr die Flasche; sie trank gierig, fand aber den Wein zu stark, lehnte sich an ihren Mann und klagte, der Kopf schwindle ihr. Der Zigeuner suchte ihr eine bequeme Lagerstelle aus, breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und redete ihr zu, sich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit kaum verhehltem Widerwillen, entschloß sich aber doch, sich seiner zu bedienen, legte sich hin und war oder schien bald eingeschlafen.
Du hast's also nicht zur Copulation bringen können, Bruder?
25 *
erſchien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr nach ſich ziehend. Es war Chriſtine, die ihm ängſtlich und mit ſicht¬ barem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als ſie ihren Frieder zwiſchen den beiden Schönheiten ſitzen ſah, von welchen ihr Begleiter vermuthlich nichts geſagt hatte. Dieſer rechtfertigte das Lob, das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte ſeine Anbefohlene mit fratzenhafter Galanterie herbei und ſagte kratzfußend, indem ein leiſes, aber unbeſchreiblich boshaftes Lächeln in ſeinen Mundwinkeln ſtand: Habe die Ehre, Madame Schwan der Geſellſchaft zu präſentiren. Chriſtine zog ihren Arm aus dem ſeinigen und trat zu ihrem Manne. Wo ſteckſt denn ſo lang? fragte ſie weinerlich. Läßſt mich eine geſchlagene Stund' vor'm Wald da warten, daß ich ſchier am Umſinken bin.
Nun ſo ſetz' dich, erwiderte er etwas unmuthig, biſt ja jetzt bei mir.
Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Chriſtinen zu ſich nieder, ſo daß ſie zu ihrem Manne zu ſitzen kam. Freilich war der Platz nach der andern Seite hin nicht ſehr vortheilhaft für ſie, ſofern ſie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, ſchöneren und rei¬ zend gekleideten Nachbarin aushalten mußte. Friedrich wußte, daß die Geſellſchaft ſtille Blicke unter ſich wechſelte, die das Ergeb¬ niß dieſer Vergleichung ausſprachen. Er ſah die Blicke nicht, aber er fühlte ſie.
Aus Rückſicht auf den neuen Gaſt wurde die Unterhaltung, zu welcher man ſich bisher der jeniſchen Miſchſprache untermengt mit modiſchen Brocken, bedient hatte, nun ganz deutſch geführt, wollte aber nicht recht in Gang kommen. Man bot Chriſtinen, deren ſchlaffe Züge Müdigkeit und Hunger verriethen, von den Ueberbleibſeln des Eſſens an; ſie genoß einige Biſſen, ſtieß aber bald die Speiſe zurück und klagte über Uebelkeit. Der dienſt¬ fertige Mundſchenk bot ihr die Flaſche; ſie trank gierig, fand aber den Wein zu ſtark, lehnte ſich an ihren Mann und klagte, der Kopf ſchwindle ihr. Der Zigeuner ſuchte ihr eine bequeme Lagerſtelle aus, breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und redete ihr zu, ſich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit kaum verhehltem Widerwillen, entſchloß ſich aber doch, ſich ſeiner zu bedienen, legte ſich hin und war oder ſchien bald eingeſchlafen.
Du haſt's alſo nicht zur Copulation bringen können, Bruder?
25 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0403"n="387"/>
erſchien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr<lb/>
nach ſich ziehend. Es war Chriſtine, die ihm ängſtlich und mit ſicht¬<lb/>
barem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als ſie ihren<lb/>
Frieder zwiſchen den beiden Schönheiten ſitzen ſah, von welchen ihr<lb/>
Begleiter vermuthlich nichts geſagt hatte. Dieſer rechtfertigte das Lob,<lb/>
das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte ſeine Anbefohlene<lb/>
mit fratzenhafter Galanterie herbei und ſagte kratzfußend, indem ein<lb/>
leiſes, aber unbeſchreiblich boshaftes Lächeln in ſeinen Mundwinkeln<lb/>ſtand: Habe die Ehre, Madame Schwan der Geſellſchaft zu präſentiren.<lb/>
Chriſtine zog ihren Arm aus dem ſeinigen und trat zu ihrem<lb/>
Manne. Wo ſteckſt denn ſo lang? fragte ſie weinerlich. Läßſt mich<lb/>
eine geſchlagene Stund' vor'm Wald da warten, daß ich ſchier am<lb/>
Umſinken bin.</p><lb/><p>Nun ſo ſetz' dich, erwiderte er etwas unmuthig, biſt ja jetzt bei mir.</p><lb/><p>Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Chriſtinen<lb/>
zu ſich nieder, ſo daß ſie zu ihrem Manne zu ſitzen kam. Freilich<lb/>
war der Platz nach der andern Seite hin nicht ſehr vortheilhaft für<lb/>ſie, ſofern ſie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, ſchöneren und rei¬<lb/>
zend gekleideten Nachbarin aushalten mußte. Friedrich wußte, daß<lb/>
die Geſellſchaft ſtille Blicke unter ſich wechſelte, die das Ergeb¬<lb/>
niß dieſer Vergleichung ausſprachen. Er ſah die Blicke nicht, aber er<lb/>
fühlte ſie.</p><lb/><p>Aus Rückſicht auf den neuen Gaſt wurde die Unterhaltung, zu welcher<lb/>
man ſich bisher der jeniſchen Miſchſprache untermengt mit modiſchen Brocken,<lb/>
bedient hatte, nun ganz deutſch geführt, wollte aber nicht recht in Gang<lb/>
kommen. Man bot Chriſtinen, deren ſchlaffe Züge Müdigkeit und Hunger<lb/>
verriethen, von den Ueberbleibſeln des Eſſens an; ſie genoß einige Biſſen,<lb/>ſtieß aber bald die Speiſe zurück und klagte über Uebelkeit. Der dienſt¬<lb/>
fertige Mundſchenk bot ihr die Flaſche; ſie trank gierig, fand aber<lb/>
den Wein zu ſtark, lehnte ſich an ihren Mann und klagte, der Kopf<lb/>ſchwindle ihr. Der Zigeuner ſuchte ihr eine bequeme Lagerſtelle aus,<lb/>
breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und<lb/>
redete ihr zu, ſich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit<lb/>
kaum verhehltem Widerwillen, entſchloß ſich aber doch, ſich ſeiner zu<lb/>
bedienen, legte ſich hin und war oder ſchien bald eingeſchlafen.</p><lb/><p>Du haſt's alſo nicht zur Copulation bringen können, Bruder?<lb/><fwplace="bottom"type="sig">25 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[387/0403]
erſchien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr
nach ſich ziehend. Es war Chriſtine, die ihm ängſtlich und mit ſicht¬
barem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als ſie ihren
Frieder zwiſchen den beiden Schönheiten ſitzen ſah, von welchen ihr
Begleiter vermuthlich nichts geſagt hatte. Dieſer rechtfertigte das Lob,
das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte ſeine Anbefohlene
mit fratzenhafter Galanterie herbei und ſagte kratzfußend, indem ein
leiſes, aber unbeſchreiblich boshaftes Lächeln in ſeinen Mundwinkeln
ſtand: Habe die Ehre, Madame Schwan der Geſellſchaft zu präſentiren.
Chriſtine zog ihren Arm aus dem ſeinigen und trat zu ihrem
Manne. Wo ſteckſt denn ſo lang? fragte ſie weinerlich. Läßſt mich
eine geſchlagene Stund' vor'm Wald da warten, daß ich ſchier am
Umſinken bin.
Nun ſo ſetz' dich, erwiderte er etwas unmuthig, biſt ja jetzt bei mir.
Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Chriſtinen
zu ſich nieder, ſo daß ſie zu ihrem Manne zu ſitzen kam. Freilich
war der Platz nach der andern Seite hin nicht ſehr vortheilhaft für
ſie, ſofern ſie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, ſchöneren und rei¬
zend gekleideten Nachbarin aushalten mußte. Friedrich wußte, daß
die Geſellſchaft ſtille Blicke unter ſich wechſelte, die das Ergeb¬
niß dieſer Vergleichung ausſprachen. Er ſah die Blicke nicht, aber er
fühlte ſie.
Aus Rückſicht auf den neuen Gaſt wurde die Unterhaltung, zu welcher
man ſich bisher der jeniſchen Miſchſprache untermengt mit modiſchen Brocken,
bedient hatte, nun ganz deutſch geführt, wollte aber nicht recht in Gang
kommen. Man bot Chriſtinen, deren ſchlaffe Züge Müdigkeit und Hunger
verriethen, von den Ueberbleibſeln des Eſſens an; ſie genoß einige Biſſen,
ſtieß aber bald die Speiſe zurück und klagte über Uebelkeit. Der dienſt¬
fertige Mundſchenk bot ihr die Flaſche; ſie trank gierig, fand aber
den Wein zu ſtark, lehnte ſich an ihren Mann und klagte, der Kopf
ſchwindle ihr. Der Zigeuner ſuchte ihr eine bequeme Lagerſtelle aus,
breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und
redete ihr zu, ſich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit
kaum verhehltem Widerwillen, entſchloß ſich aber doch, ſich ſeiner zu
bedienen, legte ſich hin und war oder ſchien bald eingeſchlafen.
Du haſt's alſo nicht zur Copulation bringen können, Bruder?
25 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/403>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.