aus der Kammer gerufen: Wir haben das Möges schon, nämlich das Geld. Auf einmal hat die Margarethe, die vielleicht Leute auf der Gasse gehört, Gaif! Gaif! gerufen und hat mir zugeschrieen, ich solle hinunter und Feuer auf sie geben. Drauf hab' ich unter dem Haus mit dem in der Kappe Wache gehalten und mich an nichts mehr betheiligt.
Dann haben die Andern den Schultheißen mißhandelt?
Ja, erzählte er zögernd, sie haben noch mehr Geld gewollt und deßhalb Torturen angewendet. Der Jägerkasperle, der dabei war, hat die Frau an den Augenbrauen geritzt, und der Schwamenjackel, der wüste Kerl, hat den Schultheißen geschlagen und mit einer am Licht glühend gemachten Nadel unter dem Nagel in den Daumen gestochen.
Jesus! Jesus! schrie Christine. Das ist ja schrecklich.
Sie haben aber nichts mehr von ihm bekommen, als den Nacht¬ mahlskelch nebst Zubehör. Er hat alles Andere richtig angegeben und nur diese Sachen hat er verheimlichen wollen, weil sie seiner Ge¬ meinde gehören.
Wie ist's denn bekannt worden, daß du dabei gewesen bist? fragte sie. Hättest du dich nicht auch vermummen können?
Der Bettelmelcher, erwiderte er, hat immerfort geschrieen: Kennt ihr mich? ich bin der Sonnenwirthle.
Die Spitzbuben! rief sie empört: damit haben sie dich absichtlich 'neinreiten wollen! Und ich steh' dafür, den gefährlichsten Theil vom Raub, den Kelch, haben sie sicherlich dir geben.
Daß sie alle Mittel anwenden, um mich völlig in ihre Gesell¬ schaft zu ziehen, ist natürlich, erwiderte er. Ich kann ihnen das nicht einmal übel nehmen. Und was bleibt mir sonst übrig?
In diesem Augenblicke kamen sie aus dem Walde auf das freie Feld heraus, das noch vom letzten Tageslicht erhellt war. Sie sah ihm schmerzlich und schüchtern in das Gesicht, dessen starre Züge eine finstere Ergebung verkündigten. Mir gräuselt's vor dir! sagte sie.
Du hast's nöthig, so zu reden! rief er wild. Wer hat sich denn Essen und Trinken und Kleider von mir bringen und das Kostgeld für sich bezahlen lassen? Wer hat vom Melcher ein Pfännle verlangt? Hast du geglaubt, der Bettelmelcher werde es kaufen? Und wer hat diesem
aus der Kammer gerufen: Wir haben das Möges ſchon, nämlich das Geld. Auf einmal hat die Margarethe, die vielleicht Leute auf der Gaſſe gehört, Gaif! Gaif! gerufen und hat mir zugeſchrieen, ich ſolle hinunter und Feuer auf ſie geben. Drauf hab' ich unter dem Haus mit dem in der Kappe Wache gehalten und mich an nichts mehr betheiligt.
Dann haben die Andern den Schultheißen mißhandelt?
Ja, erzählte er zögernd, ſie haben noch mehr Geld gewollt und deßhalb Torturen angewendet. Der Jägerkaſperle, der dabei war, hat die Frau an den Augenbrauen geritzt, und der Schwamenjackel, der wüſte Kerl, hat den Schultheißen geſchlagen und mit einer am Licht glühend gemachten Nadel unter dem Nagel in den Daumen geſtochen.
Jeſus! Jeſus! ſchrie Chriſtine. Das iſt ja ſchrecklich.
Sie haben aber nichts mehr von ihm bekommen, als den Nacht¬ mahlskelch nebſt Zubehör. Er hat alles Andere richtig angegeben und nur dieſe Sachen hat er verheimlichen wollen, weil ſie ſeiner Ge¬ meinde gehören.
Wie iſt's denn bekannt worden, daß du dabei geweſen biſt? fragte ſie. Hätteſt du dich nicht auch vermummen können?
Der Bettelmelcher, erwiderte er, hat immerfort geſchrieen: Kennt ihr mich? ich bin der Sonnenwirthle.
Die Spitzbuben! rief ſie empört: damit haben ſie dich abſichtlich 'neinreiten wollen! Und ich ſteh' dafür, den gefährlichſten Theil vom Raub, den Kelch, haben ſie ſicherlich dir geben.
Daß ſie alle Mittel anwenden, um mich völlig in ihre Geſell¬ ſchaft zu ziehen, iſt natürlich, erwiderte er. Ich kann ihnen das nicht einmal übel nehmen. Und was bleibt mir ſonſt übrig?
In dieſem Augenblicke kamen ſie aus dem Walde auf das freie Feld heraus, das noch vom letzten Tageslicht erhellt war. Sie ſah ihm ſchmerzlich und ſchüchtern in das Geſicht, deſſen ſtarre Züge eine finſtere Ergebung verkündigten. Mir gräuſelt's vor dir! ſagte ſie.
Du haſt's nöthig, ſo zu reden! rief er wild. Wer hat ſich denn Eſſen und Trinken und Kleider von mir bringen und das Koſtgeld für ſich bezahlen laſſen? Wer hat vom Melcher ein Pfännle verlangt? Haſt du geglaubt, der Bettelmelcher werde es kaufen? Und wer hat dieſem
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hinunter und Feuer auf ſie geben. Drauf hab' ich unter dem Haus
mit dem in der Kappe Wache gehalten und mich an nichts mehr
betheiligt.
Dann haben die Andern den Schultheißen mißhandelt?
Ja, erzählte er zögernd, ſie haben noch mehr Geld gewollt und
deßhalb Torturen angewendet. Der Jägerkaſperle, der dabei war, hat
die Frau an den Augenbrauen geritzt, und der Schwamenjackel, der
wüſte Kerl, hat den Schultheißen geſchlagen und mit einer am Licht
glühend gemachten Nadel unter dem Nagel in den Daumen geſtochen.
Jeſus! Jeſus! ſchrie Chriſtine. Das iſt ja ſchrecklich.
Sie haben aber nichts mehr von ihm bekommen, als den Nacht¬
mahlskelch nebſt Zubehör. Er hat alles Andere richtig angegeben und
nur dieſe Sachen hat er verheimlichen wollen, weil ſie ſeiner Ge¬
meinde gehören.
Wie iſt's denn bekannt worden, daß du dabei geweſen biſt? fragte
ſie. Hätteſt du dich nicht auch vermummen können?
Der Bettelmelcher, erwiderte er, hat immerfort geſchrieen: Kennt
ihr mich? ich bin der Sonnenwirthle.
Die Spitzbuben! rief ſie empört: damit haben ſie dich abſichtlich
'neinreiten wollen! Und ich ſteh' dafür, den gefährlichſten Theil vom
Raub, den Kelch, haben ſie ſicherlich dir geben.
Daß ſie alle Mittel anwenden, um mich völlig in ihre Geſell¬
ſchaft zu ziehen, iſt natürlich, erwiderte er. Ich kann ihnen das nicht
einmal übel nehmen. Und was bleibt mir ſonſt übrig?
In dieſem Augenblicke kamen ſie aus dem Walde auf das freie
Feld heraus, das noch vom letzten Tageslicht erhellt war. Sie ſah
ihm ſchmerzlich und ſchüchtern in das Geſicht, deſſen ſtarre Züge eine
finſtere Ergebung verkündigten. Mir gräuſelt's vor dir! ſagte ſie.
Du haſt's nöthig, ſo zu reden! rief er wild. Wer hat ſich denn Eſſen
und Trinken und Kleider von mir bringen und das Koſtgeld für ſich
bezahlen laſſen? Wer hat vom Melcher ein Pfännle verlangt? Haſt
du geglaubt, der Bettelmelcher werde es kaufen? Und wer hat dieſem
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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