Als er sich in Sicherheit wußte, ließ er es seine erste Sorge sein, die treulose Begleiterin, die ihm den Dienst verweigert hatte, wieder in Stand zu setzen. Zu diesem Behufe ging er nach dem Hofe zurück, von wo er mit Christinen gekommen war, weckte die Leute, die schon zu Bette lagen, forderte Licht und erzählte mit verbissenem Grimme was sich zugetragen. Man war ihm schweigsam zu Willen, wie man eben in abgelegenen Wohnungen solche Besuche zu er¬ tragen pflegte. Nachdem sein Gewehr ausgebessert war, schlug er in seinem trotzigen Muthe den Weg ein, den die Streifer mit ihrer Gefangenen genommen hatten, nicht eben denselben Weg, aber den Weg nach seiner für ihn verschlossenen Heimath, wohin sie geführt worden war. In sinkender Nacht kam er im Thale unten an, durch¬ schnitt es und wählte sich geradezu den gangbarsten Weg, die Göp¬ pinger Straße, weil er dachte, daß man ihn von dieser Seite am wenigsten erwarten würde. Er wollte mitten in den Flecken eindringen -- er wußte selbst nicht recht was er wollte. Der Mond ging auf und machte sein Wagestück um so gefährlicher. Eben kam er an der Ziegel¬ hütte vorüber, als plötzlich hinter einem dort liegenden Scheiterhaufen hervor drei Schüsse auf ihn fielen. Keiner hatte getroffen, doch war ihm auf der rechten Seite ein Fetzen vom Rocke weggeschossen. Auf ihn! auf ihn! schrieen mehrere Stimmen und drei Männer sprangen hervor. Ich hab' ihn bezahlt, ich hab' ihm einen Flügel abgeschossen! rief der Eine. Es war abermals der hartnäckige Fischer, der durchaus den ausgesetzten Preis verdienen zu wollen schien. Faßt ihn, den Fleckendieb, den Börtlinger Räuber! schrieen die beiden Andern, in welchen er den ihm feindlichen Müller und dessen Knecht erkannte. Oho! schrie er und schlug an: so weit ist's noch nicht. Bei dem An¬ blicke seiner aufgehobenen Büchse flüchteten sie sich zurück, er schoß, hörte aber die Kugel in das Holz einschlagen. Wenn ihr mir so ernst¬ lich nach dem Leben trachtet, ihr Wegelagerer! rief er, so könnt ihr euch auf mich verlassen, daß ich den ersten, der mir von euch begegnet,
36.
Als er ſich in Sicherheit wußte, ließ er es ſeine erſte Sorge ſein, die treuloſe Begleiterin, die ihm den Dienſt verweigert hatte, wieder in Stand zu ſetzen. Zu dieſem Behufe ging er nach dem Hofe zurück, von wo er mit Chriſtinen gekommen war, weckte die Leute, die ſchon zu Bette lagen, forderte Licht und erzählte mit verbiſſenem Grimme was ſich zugetragen. Man war ihm ſchweigſam zu Willen, wie man eben in abgelegenen Wohnungen ſolche Beſuche zu er¬ tragen pflegte. Nachdem ſein Gewehr ausgebeſſert war, ſchlug er in ſeinem trotzigen Muthe den Weg ein, den die Streifer mit ihrer Gefangenen genommen hatten, nicht eben denſelben Weg, aber den Weg nach ſeiner für ihn verſchloſſenen Heimath, wohin ſie geführt worden war. In ſinkender Nacht kam er im Thale unten an, durch¬ ſchnitt es und wählte ſich geradezu den gangbarſten Weg, die Göp¬ pinger Straße, weil er dachte, daß man ihn von dieſer Seite am wenigſten erwarten würde. Er wollte mitten in den Flecken eindringen — er wußte ſelbſt nicht recht was er wollte. Der Mond ging auf und machte ſein Wageſtück um ſo gefährlicher. Eben kam er an der Ziegel¬ hütte vorüber, als plötzlich hinter einem dort liegenden Scheiterhaufen hervor drei Schüſſe auf ihn fielen. Keiner hatte getroffen, doch war ihm auf der rechten Seite ein Fetzen vom Rocke weggeſchoſſen. Auf ihn! auf ihn! ſchrieen mehrere Stimmen und drei Männer ſprangen hervor. Ich hab' ihn bezahlt, ich hab' ihm einen Flügel abgeſchoſſen! rief der Eine. Es war abermals der hartnäckige Fiſcher, der durchaus den ausgeſetzten Preis verdienen zu wollen ſchien. Faßt ihn, den Fleckendieb, den Börtlinger Räuber! ſchrieen die beiden Andern, in welchen er den ihm feindlichen Müller und deſſen Knecht erkannte. Oho! ſchrie er und ſchlug an: ſo weit iſt's noch nicht. Bei dem An¬ blicke ſeiner aufgehobenen Büchſe flüchteten ſie ſich zurück, er ſchoß, hörte aber die Kugel in das Holz einſchlagen. Wenn ihr mir ſo ernſt¬ lich nach dem Leben trachtet, ihr Wegelagerer! rief er, ſo könnt ihr euch auf mich verlaſſen, daß ich den erſten, der mir von euch begegnet,
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36.
Als er ſich in Sicherheit wußte, ließ er es ſeine erſte Sorge ſein,
die treuloſe Begleiterin, die ihm den Dienſt verweigert hatte, wieder
in Stand zu ſetzen. Zu dieſem Behufe ging er nach dem Hofe
zurück, von wo er mit Chriſtinen gekommen war, weckte die Leute,
die ſchon zu Bette lagen, forderte Licht und erzählte mit verbiſſenem
Grimme was ſich zugetragen. Man war ihm ſchweigſam zu Willen,
wie man eben in abgelegenen Wohnungen ſolche Beſuche zu er¬
tragen pflegte. Nachdem ſein Gewehr ausgebeſſert war, ſchlug er in
ſeinem trotzigen Muthe den Weg ein, den die Streifer mit ihrer
Gefangenen genommen hatten, nicht eben denſelben Weg, aber den
Weg nach ſeiner für ihn verſchloſſenen Heimath, wohin ſie geführt
worden war. In ſinkender Nacht kam er im Thale unten an, durch¬
ſchnitt es und wählte ſich geradezu den gangbarſten Weg, die Göp¬
pinger Straße, weil er dachte, daß man ihn von dieſer Seite am
wenigſten erwarten würde. Er wollte mitten in den Flecken eindringen —
er wußte ſelbſt nicht recht was er wollte. Der Mond ging auf und
machte ſein Wageſtück um ſo gefährlicher. Eben kam er an der Ziegel¬
hütte vorüber, als plötzlich hinter einem dort liegenden Scheiterhaufen
hervor drei Schüſſe auf ihn fielen. Keiner hatte getroffen, doch war
ihm auf der rechten Seite ein Fetzen vom Rocke weggeſchoſſen. Auf
ihn! auf ihn! ſchrieen mehrere Stimmen und drei Männer ſprangen
hervor. Ich hab' ihn bezahlt, ich hab' ihm einen Flügel abgeſchoſſen!
rief der Eine. Es war abermals der hartnäckige Fiſcher, der durchaus
den ausgeſetzten Preis verdienen zu wollen ſchien. Faßt ihn, den
Fleckendieb, den Börtlinger Räuber! ſchrieen die beiden Andern, in
welchen er den ihm feindlichen Müller und deſſen Knecht erkannte.
Oho! ſchrie er und ſchlug an: ſo weit iſt's noch nicht. Bei dem An¬
blicke ſeiner aufgehobenen Büchſe flüchteten ſie ſich zurück, er ſchoß,
hörte aber die Kugel in das Holz einſchlagen. Wenn ihr mir ſo ernſt¬
lich nach dem Leben trachtet, ihr Wegelagerer! rief er, ſo könnt ihr
euch auf mich verlaſſen, daß ich den erſten, der mir von euch begegnet,
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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