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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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schwarzen Faden angeknüpft hatte, der sich auf seinem Lebenswege
immer fester um seine Füße wand. Und dort weiterhin sah er den
Giebel des Rathhauses, wo ihm aus diesem Faden die Stricke gedreht
wurden, die ihn immer weiter von der bürgerlichen Gesellschaft los¬
rissen. Dort war seine erste Christine diese Nacht im Gefängniß ge¬
legen und befand sich jetzt wohl schon auf dem Wege, zu stark ver¬
wahrt, als daß er sie hätte befreien können. Und wenn ihm auch ein
kühner Streich gelänge, er konnte ja doch den Kindern nicht die Mutter
wieder geben, und der Vater war auf lange, vielleicht auf immer, von
ihrer Schwelle verbannt.

Doch war es nicht dies allein, was seinen Blick an die grauen
Giebel fesselte: es war der wunderbare Zug nach der Heimath, den
seine heimathlosen Gesellen nicht verstanden. Seltsamer Drang des
Herzens! Keine heimische Geschichte, vom Mund des Großvaters auf
den Enkel fortgepflanzt, keine alte Volkssitte lebte in diesem nüchternen
Orte, woraus das Gemüth des Knaben Nahrung und dankbare An¬
hänglichkeit hätte schöpfen können, und doch zog es den reifenden Mann
aus der Oede der Verbannung immer wieder nach der kargen Heimath
zurück. Sie hatte ihn ausgestoßen und von sich gespieen, sie fürchtete
sich vor ihm wie vor dem wilden Thiere, das aus den Wäldern her¬
vorbricht; er fluchte ihr und drohte ihr mit Mord und Brand: und
doch kam er immer wieder nach ihr zu schauen, und in seiner kindisch
unverdauten Weise war er mehr als auf jede Kriegs- oder Friedens¬
neuigkeit darauf erpicht, zu wissen, was man in Ebersbach von ihm
sage, obgleich er sich die Antwort selbst geben konnte, die ihn immer
wieder mit Wuth und Haß gegen die Menschheit erfüllte.

Wuth und Haß traten auch jetzt wieder an die Stelle der Weh¬
muth; ohnmächtige Racheblicke sendete er hinab, und sein abgehetztes
Hirn begann zu wirbeln, so daß er sich dem Wahnsinn nahe fühlte
und es gerathen fand, sich mit der Jagd nach Wild eine Beschäftigung
aufzuerlegen, um der Hetzjagd seiner Gedanken zu entgehen. Auch
war es Zeit für ihn, das Feld zu räumen, denn die Mäher kamen
da und dort aus dem Flecken gezogen, und ihre Sensen blitzten in
der Sonne. Bald gehörte die Welt mit Ausnahme der Waldwinkel
und Diebsherbergen wieder den Menschen, die in den Schranken des
Lebens blieben und sich unter das Gesetz beugten. Sein Platz war

ſchwarzen Faden angeknüpft hatte, der ſich auf ſeinem Lebenswege
immer feſter um ſeine Füße wand. Und dort weiterhin ſah er den
Giebel des Rathhauſes, wo ihm aus dieſem Faden die Stricke gedreht
wurden, die ihn immer weiter von der bürgerlichen Geſellſchaft los¬
riſſen. Dort war ſeine erſte Chriſtine dieſe Nacht im Gefängniß ge¬
legen und befand ſich jetzt wohl ſchon auf dem Wege, zu ſtark ver¬
wahrt, als daß er ſie hätte befreien können. Und wenn ihm auch ein
kühner Streich gelänge, er konnte ja doch den Kindern nicht die Mutter
wieder geben, und der Vater war auf lange, vielleicht auf immer, von
ihrer Schwelle verbannt.

Doch war es nicht dies allein, was ſeinen Blick an die grauen
Giebel feſſelte: es war der wunderbare Zug nach der Heimath, den
ſeine heimathloſen Geſellen nicht verſtanden. Seltſamer Drang des
Herzens! Keine heimiſche Geſchichte, vom Mund des Großvaters auf
den Enkel fortgepflanzt, keine alte Volksſitte lebte in dieſem nüchternen
Orte, woraus das Gemüth des Knaben Nahrung und dankbare An¬
hänglichkeit hätte ſchöpfen können, und doch zog es den reifenden Mann
aus der Oede der Verbannung immer wieder nach der kargen Heimath
zurück. Sie hatte ihn ausgeſtoßen und von ſich geſpieen, ſie fürchtete
ſich vor ihm wie vor dem wilden Thiere, das aus den Wäldern her¬
vorbricht; er fluchte ihr und drohte ihr mit Mord und Brand: und
doch kam er immer wieder nach ihr zu ſchauen, und in ſeiner kindiſch
unverdauten Weiſe war er mehr als auf jede Kriegs- oder Friedens¬
neuigkeit darauf erpicht, zu wiſſen, was man in Ebersbach von ihm
ſage, obgleich er ſich die Antwort ſelbſt geben konnte, die ihn immer
wieder mit Wuth und Haß gegen die Menſchheit erfüllte.

Wuth und Haß traten auch jetzt wieder an die Stelle der Weh¬
muth; ohnmächtige Racheblicke ſendete er hinab, und ſein abgehetztes
Hirn begann zu wirbeln, ſo daß er ſich dem Wahnſinn nahe fühlte
und es gerathen fand, ſich mit der Jagd nach Wild eine Beſchäftigung
aufzuerlegen, um der Hetzjagd ſeiner Gedanken zu entgehen. Auch
war es Zeit für ihn, das Feld zu räumen, denn die Mäher kamen
da und dort aus dem Flecken gezogen, und ihre Senſen blitzten in
der Sonne. Bald gehörte die Welt mit Ausnahme der Waldwinkel
und Diebsherbergen wieder den Menſchen, die in den Schranken des
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[434/0450] ſchwarzen Faden angeknüpft hatte, der ſich auf ſeinem Lebenswege immer feſter um ſeine Füße wand. Und dort weiterhin ſah er den Giebel des Rathhauſes, wo ihm aus dieſem Faden die Stricke gedreht wurden, die ihn immer weiter von der bürgerlichen Geſellſchaft los¬ riſſen. Dort war ſeine erſte Chriſtine dieſe Nacht im Gefängniß ge¬ legen und befand ſich jetzt wohl ſchon auf dem Wege, zu ſtark ver¬ wahrt, als daß er ſie hätte befreien können. Und wenn ihm auch ein kühner Streich gelänge, er konnte ja doch den Kindern nicht die Mutter wieder geben, und der Vater war auf lange, vielleicht auf immer, von ihrer Schwelle verbannt. Doch war es nicht dies allein, was ſeinen Blick an die grauen Giebel feſſelte: es war der wunderbare Zug nach der Heimath, den ſeine heimathloſen Geſellen nicht verſtanden. Seltſamer Drang des Herzens! Keine heimiſche Geſchichte, vom Mund des Großvaters auf den Enkel fortgepflanzt, keine alte Volksſitte lebte in dieſem nüchternen Orte, woraus das Gemüth des Knaben Nahrung und dankbare An¬ hänglichkeit hätte ſchöpfen können, und doch zog es den reifenden Mann aus der Oede der Verbannung immer wieder nach der kargen Heimath zurück. Sie hatte ihn ausgeſtoßen und von ſich geſpieen, ſie fürchtete ſich vor ihm wie vor dem wilden Thiere, das aus den Wäldern her¬ vorbricht; er fluchte ihr und drohte ihr mit Mord und Brand: und doch kam er immer wieder nach ihr zu ſchauen, und in ſeiner kindiſch unverdauten Weiſe war er mehr als auf jede Kriegs- oder Friedens¬ neuigkeit darauf erpicht, zu wiſſen, was man in Ebersbach von ihm ſage, obgleich er ſich die Antwort ſelbſt geben konnte, die ihn immer wieder mit Wuth und Haß gegen die Menſchheit erfüllte. Wuth und Haß traten auch jetzt wieder an die Stelle der Weh¬ muth; ohnmächtige Racheblicke ſendete er hinab, und ſein abgehetztes Hirn begann zu wirbeln, ſo daß er ſich dem Wahnſinn nahe fühlte und es gerathen fand, ſich mit der Jagd nach Wild eine Beſchäftigung aufzuerlegen, um der Hetzjagd ſeiner Gedanken zu entgehen. Auch war es Zeit für ihn, das Feld zu räumen, denn die Mäher kamen da und dort aus dem Flecken gezogen, und ihre Senſen blitzten in der Sonne. Bald gehörte die Welt mit Ausnahme der Waldwinkel und Diebsherbergen wieder den Menſchen, die in den Schranken des Lebens blieben und ſich unter das Geſetz beugten. Sein Platz war

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/450>, abgerufen am 21.11.2024.