handeln erlaubte, obgleich sie sich die Rechnung machen konnte, daß sie dieselbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem Dienst unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausstrafe zu be¬ zahlen haben werde.
Allerdings ein harter Lohn für so viel Liebe und Aufopferung, die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunstausdruck praematurus concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die Geschichte eines siebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erschöpft! Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Gesetz, das ein ohne elterliche Einwilligung geschlossenes Liebesband mit einem noch härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen Stunden, wo die Inquisition "einen vertraulichen Ton annahm", ergrei¬ fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu lesen sind, auf die man aber daraus schließen darf, daß das Protokoll, das ja nicht die Geschichte seines Schicksalsganges, sondern nur die Geschichte seiner Verbrechen enthalten sollte, die Anklage gegen Stief¬ mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch in wenigen Worten vollständig aufgenommen hat, die Anklage: "nach¬ dem er sich ehlich mit seiner Geliebten versprochen und seine Minder¬ jährigkeit bei der Regierung wegsupplicirt, habe sein Vater, weil sie ihm nicht reich genug gewesen, durchaus nicht darein willigen wollen, und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt, daß ihm aller Umgang mit derselben verboten worden, ob man sie schon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus die Excesse entstanden seien, die ihn nach und nach auf den Weg des Verderbens geführt". Auch die Weigerung des geistlichen Hirten, seinen Schafen einen unentgeltlichen Dienst zu leisten, hat der Oberamtmann, ohne Zweifel von dem stummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬ wissenhaft in sein Protokoll eingetragen.
Aber die Rachsucht, mit welcher der Unglückliche so oft über diesen Erinnerungen gebrütet hatte, war mit seinem Stolze gebrochen. "Er selbst", erzählt der Sohn des Oberamtmanns, "hielt die abgeschlagene Heirath mit Müllerin für die Ursache seines Unglücks, und brannte daher während seines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen seinen Vater. Den¬ noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬ nen anders mit mir verfahren, sagte er einst: doch es ist auch wahr,
handeln erlaubte, obgleich ſie ſich die Rechnung machen konnte, daß ſie dieſelbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem Dienſt unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausſtrafe zu be¬ zahlen haben werde.
Allerdings ein harter Lohn für ſo viel Liebe und Aufopferung, die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunſtausdruck praematurus concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die Geſchichte eines ſiebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erſchöpft! Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Geſetz, das ein ohne elterliche Einwilligung geſchloſſenes Liebesband mit einem noch härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen Stunden, wo die Inquiſition „einen vertraulichen Ton annahm“, ergrei¬ fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu leſen ſind, auf die man aber daraus ſchließen darf, daß das Protokoll, das ja nicht die Geſchichte ſeines Schickſalsganges, ſondern nur die Geſchichte ſeiner Verbrechen enthalten ſollte, die Anklage gegen Stief¬ mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch in wenigen Worten vollſtändig aufgenommen hat, die Anklage: „nach¬ dem er ſich ehlich mit ſeiner Geliebten verſprochen und ſeine Minder¬ jährigkeit bei der Regierung wegſupplicirt, habe ſein Vater, weil ſie ihm nicht reich genug geweſen, durchaus nicht darein willigen wollen, und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt, daß ihm aller Umgang mit derſelben verboten worden, ob man ſie ſchon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus die Exceſſe entſtanden ſeien, die ihn nach und nach auf den Weg des Verderbens geführt“. Auch die Weigerung des geiſtlichen Hirten, ſeinen Schafen einen unentgeltlichen Dienſt zu leiſten, hat der Oberamtmann, ohne Zweifel von dem ſtummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬ wiſſenhaft in ſein Protokoll eingetragen.
Aber die Rachſucht, mit welcher der Unglückliche ſo oft über dieſen Erinnerungen gebrütet hatte, war mit ſeinem Stolze gebrochen. „Er ſelbſt“, erzählt der Sohn des Oberamtmanns, „hielt die abgeſchlagene Heirath mit Müllerin für die Urſache ſeines Unglücks, und brannte daher während ſeines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen ſeinen Vater. Den¬ noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬ nen anders mit mir verfahren, ſagte er einſt: doch es iſt auch wahr,
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handeln erlaubte, obgleich ſie ſich die Rechnung machen konnte, daß ſie
dieſelbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem
Dienſt unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausſtrafe zu be¬
zahlen haben werde.
Allerdings ein harter Lohn für ſo viel Liebe und Aufopferung,
die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunſtausdruck praematurus
concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die
Geſchichte eines ſiebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erſchöpft!
Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Geſetz, das
ein ohne elterliche Einwilligung geſchloſſenes Liebesband mit einem noch
härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen
Stunden, wo die Inquiſition „einen vertraulichen Ton annahm“, ergrei¬
fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu
leſen ſind, auf die man aber daraus ſchließen darf, daß das Protokoll,
das ja nicht die Geſchichte ſeines Schickſalsganges, ſondern nur die
Geſchichte ſeiner Verbrechen enthalten ſollte, die Anklage gegen Stief¬
mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch
in wenigen Worten vollſtändig aufgenommen hat, die Anklage: „nach¬
dem er ſich ehlich mit ſeiner Geliebten verſprochen und ſeine Minder¬
jährigkeit bei der Regierung wegſupplicirt, habe ſein Vater, weil ſie
ihm nicht reich genug geweſen, durchaus nicht darein willigen wollen,
und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt,
daß ihm aller Umgang mit derſelben verboten worden, ob man ſie
ſchon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus
die Exceſſe entſtanden ſeien, die ihn nach und nach auf den Weg des
Verderbens geführt“. Auch die Weigerung des geiſtlichen Hirten, ſeinen
Schafen einen unentgeltlichen Dienſt zu leiſten, hat der Oberamtmann,
ohne Zweifel von dem ſtummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬
wiſſenhaft in ſein Protokoll eingetragen.
Aber die Rachſucht, mit welcher der Unglückliche ſo oft über dieſen
Erinnerungen gebrütet hatte, war mit ſeinem Stolze gebrochen. „Er ſelbſt“,
erzählt der Sohn des Oberamtmanns, „hielt die abgeſchlagene Heirath
mit Müllerin für die Urſache ſeines Unglücks, und brannte daher während
ſeines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen ſeinen Vater. Den¬
noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬
nen anders mit mir verfahren, ſagte er einſt: doch es iſt auch wahr,
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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