Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

handeln erlaubte, obgleich sie sich die Rechnung machen konnte, daß sie
dieselbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem
Dienst unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausstrafe zu be¬
zahlen haben werde.

Allerdings ein harter Lohn für so viel Liebe und Aufopferung,
die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunstausdruck praematurus
concubitus
abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die
Geschichte eines siebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erschöpft!
Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Gesetz, das
ein ohne elterliche Einwilligung geschlossenes Liebesband mit einem noch
härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen
Stunden, wo die Inquisition "einen vertraulichen Ton annahm", ergrei¬
fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu
lesen sind, auf die man aber daraus schließen darf, daß das Protokoll,
das ja nicht die Geschichte seines Schicksalsganges, sondern nur die
Geschichte seiner Verbrechen enthalten sollte, die Anklage gegen Stief¬
mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch
in wenigen Worten vollständig aufgenommen hat, die Anklage: "nach¬
dem er sich ehlich mit seiner Geliebten versprochen und seine Minder¬
jährigkeit bei der Regierung wegsupplicirt, habe sein Vater, weil sie
ihm nicht reich genug gewesen, durchaus nicht darein willigen wollen,
und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt,
daß ihm aller Umgang mit derselben verboten worden, ob man sie
schon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus
die Excesse entstanden seien, die ihn nach und nach auf den Weg des
Verderbens geführt". Auch die Weigerung des geistlichen Hirten, seinen
Schafen einen unentgeltlichen Dienst zu leisten, hat der Oberamtmann,
ohne Zweifel von dem stummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬
wissenhaft in sein Protokoll eingetragen.

Aber die Rachsucht, mit welcher der Unglückliche so oft über diesen
Erinnerungen gebrütet hatte, war mit seinem Stolze gebrochen. "Er selbst",
erzählt der Sohn des Oberamtmanns, "hielt die abgeschlagene Heirath
mit Müllerin für die Ursache seines Unglücks, und brannte daher während
seines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen seinen Vater. Den¬
noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬
nen anders mit mir verfahren, sagte er einst: doch es ist auch wahr,

handeln erlaubte, obgleich ſie ſich die Rechnung machen konnte, daß ſie
dieſelbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem
Dienſt unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausſtrafe zu be¬
zahlen haben werde.

Allerdings ein harter Lohn für ſo viel Liebe und Aufopferung,
die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunſtausdruck praematurus
concubitus
abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die
Geſchichte eines ſiebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erſchöpft!
Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Geſetz, das
ein ohne elterliche Einwilligung geſchloſſenes Liebesband mit einem noch
härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen
Stunden, wo die Inquiſition „einen vertraulichen Ton annahm“, ergrei¬
fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu
leſen ſind, auf die man aber daraus ſchließen darf, daß das Protokoll,
das ja nicht die Geſchichte ſeines Schickſalsganges, ſondern nur die
Geſchichte ſeiner Verbrechen enthalten ſollte, die Anklage gegen Stief¬
mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch
in wenigen Worten vollſtändig aufgenommen hat, die Anklage: „nach¬
dem er ſich ehlich mit ſeiner Geliebten verſprochen und ſeine Minder¬
jährigkeit bei der Regierung wegſupplicirt, habe ſein Vater, weil ſie
ihm nicht reich genug geweſen, durchaus nicht darein willigen wollen,
und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt,
daß ihm aller Umgang mit derſelben verboten worden, ob man ſie
ſchon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus
die Exceſſe entſtanden ſeien, die ihn nach und nach auf den Weg des
Verderbens geführt“. Auch die Weigerung des geiſtlichen Hirten, ſeinen
Schafen einen unentgeltlichen Dienſt zu leiſten, hat der Oberamtmann,
ohne Zweifel von dem ſtummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬
wiſſenhaft in ſein Protokoll eingetragen.

Aber die Rachſucht, mit welcher der Unglückliche ſo oft über dieſen
Erinnerungen gebrütet hatte, war mit ſeinem Stolze gebrochen. „Er ſelbſt“,
erzählt der Sohn des Oberamtmanns, „hielt die abgeſchlagene Heirath
mit Müllerin für die Urſache ſeines Unglücks, und brannte daher während
ſeines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen ſeinen Vater. Den¬
noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬
nen anders mit mir verfahren, ſagte er einſt: doch es iſt auch wahr,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0491" n="475"/>
handeln erlaubte, obgleich &#x017F;ie &#x017F;ich die Rechnung machen konnte, daß &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;elbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem<lb/>
Dien&#x017F;t unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthaus&#x017F;trafe zu be¬<lb/>
zahlen haben werde.</p><lb/>
        <p>Allerdings ein harter Lohn für &#x017F;o viel Liebe und Aufopferung,<lb/>
die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kun&#x017F;tausdruck <hi rendition="#aq">praematurus<lb/>
concubitus</hi> abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die<lb/>
Ge&#x017F;chichte eines &#x017F;iebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue er&#x017F;chöpft!<lb/>
Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Ge&#x017F;etz, das<lb/>
ein ohne elterliche Einwilligung ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Liebesband mit einem noch<lb/>
härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen<lb/>
Stunden, wo die Inqui&#x017F;ition &#x201E;einen vertraulichen Ton annahm&#x201C;, ergrei¬<lb/>
fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu<lb/>
le&#x017F;en &#x017F;ind, auf die man aber daraus &#x017F;chließen darf, daß das Protokoll,<lb/>
das ja nicht die Ge&#x017F;chichte &#x017F;eines Schick&#x017F;alsganges, &#x017F;ondern nur die<lb/>
Ge&#x017F;chichte &#x017F;einer Verbrechen enthalten &#x017F;ollte, die Anklage gegen Stief¬<lb/>
mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch<lb/>
in wenigen Worten voll&#x017F;tändig aufgenommen hat, die Anklage: &#x201E;nach¬<lb/>
dem er &#x017F;ich ehlich mit &#x017F;einer Geliebten ver&#x017F;prochen und &#x017F;eine Minder¬<lb/>
jährigkeit bei der Regierung weg&#x017F;upplicirt, habe &#x017F;ein Vater, weil &#x017F;ie<lb/>
ihm nicht reich genug gewe&#x017F;en, durchaus nicht darein willigen wollen,<lb/>
und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt,<lb/>
daß ihm aller Umgang mit der&#x017F;elben verboten worden, ob man &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus<lb/>
die Exce&#x017F;&#x017F;e ent&#x017F;tanden &#x017F;eien, die ihn nach und nach auf den Weg des<lb/>
Verderbens geführt&#x201C;. Auch die Weigerung des gei&#x017F;tlichen Hirten, &#x017F;einen<lb/>
Schafen einen unentgeltlichen Dien&#x017F;t zu lei&#x017F;ten, hat der Oberamtmann,<lb/>
ohne Zweifel von dem &#x017F;tummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enhaft in &#x017F;ein Protokoll eingetragen.</p><lb/>
        <p>Aber die Rach&#x017F;ucht, mit welcher der Unglückliche &#x017F;o oft über die&#x017F;en<lb/>
Erinnerungen gebrütet hatte, war mit &#x017F;einem Stolze gebrochen. &#x201E;Er &#x017F;elb&#x017F;t&#x201C;,<lb/>
erzählt der Sohn des Oberamtmanns, &#x201E;hielt die abge&#x017F;chlagene Heirath<lb/>
mit Müllerin für die Ur&#x017F;ache &#x017F;eines Unglücks, und brannte daher während<lb/>
&#x017F;eines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen &#x017F;einen Vater. Den¬<lb/>
noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬<lb/>
nen anders mit mir verfahren, &#x017F;agte er ein&#x017F;t: doch es i&#x017F;t auch wahr,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0491] handeln erlaubte, obgleich ſie ſich die Rechnung machen konnte, daß ſie dieſelbe, nachdem es ihr geglückt war, aus dem Zuchthaus in einem Dienſt unterzukommen, mit einer abermaligen Zuchthausſtrafe zu be¬ zahlen haben werde. Allerdings ein harter Lohn für ſo viel Liebe und Aufopferung, die in dem Protokoll mit dem amtlichen Kunſtausdruck praematurus concubitus abgefertigt wird! In zwei brandmarkenden Worten die Geſchichte eines ſiebenjährigen Kampfes voll Weh und Treue erſchöpft! Und dabei war der Oberamtmann noch billiger als das Geſetz, das ein ohne elterliche Einwilligung geſchloſſenes Liebesband mit einem noch härteren Ausdrucke brandmarkte. Sein Angeklagter muß ihm in jenen Stunden, wo die Inquiſition „einen vertraulichen Ton annahm“, ergrei¬ fende Eröffnungen gemacht haben, die freilich nicht im Protokoll zu leſen ſind, auf die man aber daraus ſchließen darf, daß das Protokoll, das ja nicht die Geſchichte ſeines Schickſalsganges, ſondern nur die Geſchichte ſeiner Verbrechen enthalten ſollte, die Anklage gegen Stief¬ mutter, Vater, Pfarrer und Amtmann, zwar kurz und dürr, aber doch in wenigen Worten vollſtändig aufgenommen hat, die Anklage: „nach¬ dem er ſich ehlich mit ſeiner Geliebten verſprochen und ſeine Minder¬ jährigkeit bei der Regierung wegſupplicirt, habe ſein Vater, weil ſie ihm nicht reich genug geweſen, durchaus nicht darein willigen wollen, und es bei dem Pfarrer und Amtmann dahin zu bringen gewußt, daß ihm aller Umgang mit derſelben verboten worden, ob man ſie ſchon zum drittenmal mit einander ausgerufen gehabt, und daß hieraus die Exceſſe entſtanden ſeien, die ihn nach und nach auf den Weg des Verderbens geführt“. Auch die Weigerung des geiſtlichen Hirten, ſeinen Schafen einen unentgeltlichen Dienſt zu leiſten, hat der Oberamtmann, ohne Zweifel von dem ſtummen Gefühl des Ehrenmannes geleitet, ge¬ wiſſenhaft in ſein Protokoll eingetragen. Aber die Rachſucht, mit welcher der Unglückliche ſo oft über dieſen Erinnerungen gebrütet hatte, war mit ſeinem Stolze gebrochen. „Er ſelbſt“, erzählt der Sohn des Oberamtmanns, „hielt die abgeſchlagene Heirath mit Müllerin für die Urſache ſeines Unglücks, und brannte daher während ſeines ganzen Lebens von Wuth und Rache gegen ſeinen Vater. Den¬ noch redete er zuletzt mit großer Mäßigung von ihm. Er hätte kön¬ nen anders mit mir verfahren, ſagte er einſt: doch es iſt auch wahr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/491
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/491>, abgerufen am 22.11.2024.