beendigter Accusation und Defension eröffnete der Stabhalter Namens des peinlichen Gerichts das ebenfalls im Voraus fertige Interlocuto¬ rium, daß der Richter sich der Urtel Bedacht nehme und daß die sämmtlichen Acten ad consulendum an die Juristenfacultät in Tübingen versendet werden sollen. Mit diesem Zwischenbescheide war die ganze leere Förmlichkeit der öffentlichen Rechtsverhandlung geschlossen, und der oder die Angeklagten wurden aus dem Saal entlassen, außen wieder gefesselt und in das Gefängniß zurückgeführt. Nunmehr wurden die Untersuchungsacten nebst den vom Ankläger und Vertheidiger ge¬ wechselten Schriften und dem stadtgerichtlichen Protokoll über den kur¬ zen mündlichen Rest der Verhandlung an die Juristenfacultät in Tü¬ bingen zur Ertheilung eines rechtlichen Gutachtens eingesandt. Diese war somit, da es in der Regel bei ihren Gutachten sein Verbleiben hatte, der eigentliche Richter, der die peinlichen Processe entschied. Sie sandte ihr Gutachten unter Wiederanschluß der Acten an das Stadt¬ gericht zurück; aber auch jetzt waren diesem immer noch die Hände gebunden, und es mußte das gutachtliche Erkenntniß nebst den Acten der Regierung einschicken, welche es, mit ihrer Ansicht, dem Herzog zur Bestätigung oder begnadigenden Abänderung vorlegte. Wenn letz¬ tere eintrat oder der Spruch überhaupt nicht an das Leben ging, so hatte das peinliche Gericht mit dem Processe nichts mehr zu thun, sondern das Erkenntniß ging unmittelbar dem Oberamtmann zur Voll¬ ziehung zu. Erfolgte aber ein Todesurtheil, so wurde dasselbe dem peinlichen Gerichte zugesendet und zugleich vorläufig dem Verurtheilten im Gefängniß durch den Regierungsbeamten einige Tage vor der Execution bei feierlicher Versammlung angekündigt. Zur Einführung in die christliche Heilsordnung war ihm gleich im Beginne seiner Ge¬ fangenschaft das zu diesem Behufe von einem Stuttgarter Stiftsober¬ helfer verfertigte und laut allerhöchster Vorschrift vom 14. November 1753 durch den Buchbinder stark geleimte und dauerhaft gebundene Maleficantengebetbuch in die Hand gegeben worden. Am Tage der Hinrichtung wurde der zweite Rechtstag gehalten, bei welchem wieder die Gemeinde als Richter in ihr Amt eintrat. Die Mitglieder des peinlichen Gerichts erschienen schwarz gekleidet mit Degen an der Seite im Gerichtssaale, das Schwert war aufgepflanzt, der Verurtheilte wurde unter dem Läuten des Malefizglöckleins vorgeführt, der Stab¬
beendigter Accuſation und Defenſion eröffnete der Stabhalter Namens des peinlichen Gerichts das ebenfalls im Voraus fertige Interlocuto¬ rium, daß der Richter ſich der Urtel Bedacht nehme und daß die ſämmtlichen Acten ad consulendum an die Juriſtenfacultät in Tübingen verſendet werden ſollen. Mit dieſem Zwiſchenbeſcheide war die ganze leere Förmlichkeit der öffentlichen Rechtsverhandlung geſchloſſen, und der oder die Angeklagten wurden aus dem Saal entlaſſen, außen wieder gefeſſelt und in das Gefängniß zurückgeführt. Nunmehr wurden die Unterſuchungsacten nebſt den vom Ankläger und Vertheidiger ge¬ wechſelten Schriften und dem ſtadtgerichtlichen Protokoll über den kur¬ zen mündlichen Reſt der Verhandlung an die Juriſtenfacultät in Tü¬ bingen zur Ertheilung eines rechtlichen Gutachtens eingeſandt. Dieſe war ſomit, da es in der Regel bei ihren Gutachten ſein Verbleiben hatte, der eigentliche Richter, der die peinlichen Proceſſe entſchied. Sie ſandte ihr Gutachten unter Wiederanſchluß der Acten an das Stadt¬ gericht zurück; aber auch jetzt waren dieſem immer noch die Hände gebunden, und es mußte das gutachtliche Erkenntniß nebſt den Acten der Regierung einſchicken, welche es, mit ihrer Anſicht, dem Herzog zur Beſtätigung oder begnadigenden Abänderung vorlegte. Wenn letz¬ tere eintrat oder der Spruch überhaupt nicht an das Leben ging, ſo hatte das peinliche Gericht mit dem Proceſſe nichts mehr zu thun, ſondern das Erkenntniß ging unmittelbar dem Oberamtmann zur Voll¬ ziehung zu. Erfolgte aber ein Todesurtheil, ſo wurde daſſelbe dem peinlichen Gerichte zugeſendet und zugleich vorläufig dem Verurtheilten im Gefängniß durch den Regierungsbeamten einige Tage vor der Execution bei feierlicher Verſammlung angekündigt. Zur Einführung in die chriſtliche Heilsordnung war ihm gleich im Beginne ſeiner Ge¬ fangenſchaft das zu dieſem Behufe von einem Stuttgarter Stiftsober¬ helfer verfertigte und laut allerhöchſter Vorſchrift vom 14. November 1753 durch den Buchbinder ſtark geleimte und dauerhaft gebundene Maleficantengebetbuch in die Hand gegeben worden. Am Tage der Hinrichtung wurde der zweite Rechtstag gehalten, bei welchem wieder die Gemeinde als Richter in ihr Amt eintrat. Die Mitglieder des peinlichen Gerichts erſchienen ſchwarz gekleidet mit Degen an der Seite im Gerichtsſaale, das Schwert war aufgepflanzt, der Verurtheilte wurde unter dem Läuten des Malefizglöckleins vorgeführt, der Stab¬
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beendigter Accuſation und Defenſion eröffnete der Stabhalter Namens
des peinlichen Gerichts das ebenfalls im Voraus fertige Interlocuto¬
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ſämmtlichen Acten ad consulendum an die Juriſtenfacultät in Tübingen
verſendet werden ſollen. Mit dieſem Zwiſchenbeſcheide war die ganze
leere Förmlichkeit der öffentlichen Rechtsverhandlung geſchloſſen, und
der oder die Angeklagten wurden aus dem Saal entlaſſen, außen
wieder gefeſſelt und in das Gefängniß zurückgeführt. Nunmehr wurden
die Unterſuchungsacten nebſt den vom Ankläger und Vertheidiger ge¬
wechſelten Schriften und dem ſtadtgerichtlichen Protokoll über den kur¬
zen mündlichen Reſt der Verhandlung an die Juriſtenfacultät in Tü¬
bingen zur Ertheilung eines rechtlichen Gutachtens eingeſandt. Dieſe
war ſomit, da es in der Regel bei ihren Gutachten ſein Verbleiben
hatte, der eigentliche Richter, der die peinlichen Proceſſe entſchied. Sie
ſandte ihr Gutachten unter Wiederanſchluß der Acten an das Stadt¬
gericht zurück; aber auch jetzt waren dieſem immer noch die Hände
gebunden, und es mußte das gutachtliche Erkenntniß nebſt den Acten
der Regierung einſchicken, welche es, mit ihrer Anſicht, dem Herzog
zur Beſtätigung oder begnadigenden Abänderung vorlegte. Wenn letz¬
tere eintrat oder der Spruch überhaupt nicht an das Leben ging, ſo
hatte das peinliche Gericht mit dem Proceſſe nichts mehr zu thun,
ſondern das Erkenntniß ging unmittelbar dem Oberamtmann zur Voll¬
ziehung zu. Erfolgte aber ein Todesurtheil, ſo wurde daſſelbe dem
peinlichen Gerichte zugeſendet und zugleich vorläufig dem Verurtheilten
im Gefängniß durch den Regierungsbeamten einige Tage vor der
Execution bei feierlicher Verſammlung angekündigt. Zur Einführung
in die chriſtliche Heilsordnung war ihm gleich im Beginne ſeiner Ge¬
fangenſchaft das zu dieſem Behufe von einem Stuttgarter Stiftsober¬
helfer verfertigte und laut allerhöchſter Vorſchrift vom 14. November
1753 durch den Buchbinder ſtark geleimte und dauerhaft gebundene
Maleficantengebetbuch in die Hand gegeben worden. Am Tage der
Hinrichtung wurde der zweite Rechtstag gehalten, bei welchem wieder
die Gemeinde als Richter in ihr Amt eintrat. Die Mitglieder des
peinlichen Gerichts erſchienen ſchwarz gekleidet mit Degen an der Seite
im Gerichtsſaale, das Schwert war aufgepflanzt, der Verurtheilte
wurde unter dem Läuten des Malefizglöckleins vorgeführt, der Stab¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/507>, abgerufen am 23.11.2024.
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