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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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rotten sind, hat in einem freundlichen Gasthause eines ansehnlichen
Fleckens in jener Gegend, wo man die alte Sonne mit vielen Later¬
nen nicht finden würde, ein übriggebliebenes Wahrzeichen von ihr
entdeckt. Aber er wird seinen Fund hier nicht verrathen; denn der
Beobachter ist nicht überall angenehm, und der Knabe, der nicht
weit davon im Zimmer an einem Tische, worauf eine Ruthe
lag, seine Aufgabe lernte, behauptete, das Rüthlein sei nicht für
ihn. Angelegenheiten eines einzelnen Hauses, die das öffentliche
Recht und Wohl nichts angehen, muß man beruhen lassen. Der Be¬
sitzer des Hauses, der nicht Schwan heißt, sondern einen andern guten
Namen führt, ohne sich jedoch des armen Friedrich Schwan zu schä¬
men, mag dem Wanderer von der alten Sonne selbst erzählen so viel
ihm beliebt. Daß der Schild des Hauses geändert wurde, ist schon
lange her, wohl fünfzig Jahre, und fällt dem damaligen Besitzer nicht
einmal zur Last. Denke man sich, er habe vielleicht einen Sohn ge¬
habt, den der Volkswitz -- man weiß wie die Leute sind und wie sie
gar in früherer Zeit waren -- nach jenem berüchtigt gewordenen
Namen den "Sonnenwirthle" hieß: bei dem besten Bewußtsein des
Sohnes und der Eltern konnte die Bezeichnung, wie sie nun einmal
für den Flecken klang, der keine Ehrenkrone darin zu sehen gewohnt
war, auf die Lange so unleidlich werden, daß man lieber den Namen
des Hauses änderte. Eine beschränkte Umgebung hindert ja auch den
Unbefangensten, das Leben frei anzuschauen und frisch hineinzugreifen.
In kleinen Verhältnissen ist dies nicht so leicht zu ändern. Ein Volk
aber soll seine Wahrzeichen nicht wegwerfen, und ein Wahrzeichen ist
ihm nicht bloß sein Liebling, auf den es stolz ist, ein Wahrzeichen ist
ihm auch der Verbrecher, dessen es sich schämt. Wir mögen ihn ver¬
wünschen und verfluchen, wir mögen ihn aus der Gesellschaft und aus
dem Lande stoßen, wir mögen ihn in der Gruft des lebenslangen
Kerkers begraben oder mit der Maschine tödten, die uns ein wenig
von der Bildung und noch mehr von der selbstthätigeren Kraft unsrer
Vorfahren unterscheidet -- Eines können wir ihm nicht nehmen, Ein
Gepräge können wir nicht an ihm vernichten. Wir müssen bekennen:

Er war unser.


Noch einmal den Vorhang auf und nun das letzte Bild.

rotten ſind, hat in einem freundlichen Gaſthauſe eines anſehnlichen
Fleckens in jener Gegend, wo man die alte Sonne mit vielen Later¬
nen nicht finden würde, ein übriggebliebenes Wahrzeichen von ihr
entdeckt. Aber er wird ſeinen Fund hier nicht verrathen; denn der
Beobachter iſt nicht überall angenehm, und der Knabe, der nicht
weit davon im Zimmer an einem Tiſche, worauf eine Ruthe
lag, ſeine Aufgabe lernte, behauptete, das Rüthlein ſei nicht für
ihn. Angelegenheiten eines einzelnen Hauſes, die das öffentliche
Recht und Wohl nichts angehen, muß man beruhen laſſen. Der Be¬
ſitzer des Hauſes, der nicht Schwan heißt, ſondern einen andern guten
Namen führt, ohne ſich jedoch des armen Friedrich Schwan zu ſchä¬
men, mag dem Wanderer von der alten Sonne ſelbſt erzählen ſo viel
ihm beliebt. Daß der Schild des Hauſes geändert wurde, iſt ſchon
lange her, wohl fünfzig Jahre, und fällt dem damaligen Beſitzer nicht
einmal zur Laſt. Denke man ſich, er habe vielleicht einen Sohn ge¬
habt, den der Volkswitz — man weiß wie die Leute ſind und wie ſie
gar in früherer Zeit waren — nach jenem berüchtigt gewordenen
Namen den „Sonnenwirthle“ hieß: bei dem beſten Bewußtſein des
Sohnes und der Eltern konnte die Bezeichnung, wie ſie nun einmal
für den Flecken klang, der keine Ehrenkrone darin zu ſehen gewohnt
war, auf die Lange ſo unleidlich werden, daß man lieber den Namen
des Hauſes änderte. Eine beſchränkte Umgebung hindert ja auch den
Unbefangenſten, das Leben frei anzuſchauen und friſch hineinzugreifen.
In kleinen Verhältniſſen iſt dies nicht ſo leicht zu ändern. Ein Volk
aber ſoll ſeine Wahrzeichen nicht wegwerfen, und ein Wahrzeichen iſt
ihm nicht bloß ſein Liebling, auf den es ſtolz iſt, ein Wahrzeichen iſt
ihm auch der Verbrecher, deſſen es ſich ſchämt. Wir mögen ihn ver¬
wünſchen und verfluchen, wir mögen ihn aus der Geſellſchaft und aus
dem Lande ſtoßen, wir mögen ihn in der Gruft des lebenslangen
Kerkers begraben oder mit der Maſchine tödten, die uns ein wenig
von der Bildung und noch mehr von der ſelbſtthätigeren Kraft unſrer
Vorfahren unterſcheidet — Eines können wir ihm nicht nehmen, Ein
Gepräge können wir nicht an ihm vernichten. Wir müſſen bekennen:

Er war unſer.


Noch einmal den Vorhang auf und nun das letzte Bild.

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[502/0518] rotten ſind, hat in einem freundlichen Gaſthauſe eines anſehnlichen Fleckens in jener Gegend, wo man die alte Sonne mit vielen Later¬ nen nicht finden würde, ein übriggebliebenes Wahrzeichen von ihr entdeckt. Aber er wird ſeinen Fund hier nicht verrathen; denn der Beobachter iſt nicht überall angenehm, und der Knabe, der nicht weit davon im Zimmer an einem Tiſche, worauf eine Ruthe lag, ſeine Aufgabe lernte, behauptete, das Rüthlein ſei nicht für ihn. Angelegenheiten eines einzelnen Hauſes, die das öffentliche Recht und Wohl nichts angehen, muß man beruhen laſſen. Der Be¬ ſitzer des Hauſes, der nicht Schwan heißt, ſondern einen andern guten Namen führt, ohne ſich jedoch des armen Friedrich Schwan zu ſchä¬ men, mag dem Wanderer von der alten Sonne ſelbſt erzählen ſo viel ihm beliebt. Daß der Schild des Hauſes geändert wurde, iſt ſchon lange her, wohl fünfzig Jahre, und fällt dem damaligen Beſitzer nicht einmal zur Laſt. Denke man ſich, er habe vielleicht einen Sohn ge¬ habt, den der Volkswitz — man weiß wie die Leute ſind und wie ſie gar in früherer Zeit waren — nach jenem berüchtigt gewordenen Namen den „Sonnenwirthle“ hieß: bei dem beſten Bewußtſein des Sohnes und der Eltern konnte die Bezeichnung, wie ſie nun einmal für den Flecken klang, der keine Ehrenkrone darin zu ſehen gewohnt war, auf die Lange ſo unleidlich werden, daß man lieber den Namen des Hauſes änderte. Eine beſchränkte Umgebung hindert ja auch den Unbefangenſten, das Leben frei anzuſchauen und friſch hineinzugreifen. In kleinen Verhältniſſen iſt dies nicht ſo leicht zu ändern. Ein Volk aber ſoll ſeine Wahrzeichen nicht wegwerfen, und ein Wahrzeichen iſt ihm nicht bloß ſein Liebling, auf den es ſtolz iſt, ein Wahrzeichen iſt ihm auch der Verbrecher, deſſen es ſich ſchämt. Wir mögen ihn ver¬ wünſchen und verfluchen, wir mögen ihn aus der Geſellſchaft und aus dem Lande ſtoßen, wir mögen ihn in der Gruft des lebenslangen Kerkers begraben oder mit der Maſchine tödten, die uns ein wenig von der Bildung und noch mehr von der ſelbſtthätigeren Kraft unſrer Vorfahren unterſcheidet — Eines können wir ihm nicht nehmen, Ein Gepräge können wir nicht an ihm vernichten. Wir müſſen bekennen: Er war unſer. Noch einmal den Vorhang auf und nun das letzte Bild.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/518>, abgerufen am 24.11.2024.