eigenthümliche Glanz seiner Augen verrieth, daß etwas in ihm vorging, wovon die Menschenmenge, die ihn neugierig betrachtete, nach ihrer Art kaum eine Ahnung haben mochte. Fest und kühn blickte er in die Augen der Kopf an Kopf geschichteten Menschen, durch deren Reihen er den letzten düstern Weg zur Freiheit gehen sollte. Er blieb stehen, um seine Schicksalsgenossen zu erwarten.
Wiederum machte sich ein Geräusch von der innern Rathhaustreppe vernehmlich und die Blicke der Menschen ließen von ihm ab, um über die neue Beute, die für die Schaulust kommen sollte, herzufallen. Es dauerte lange und die Ungeduld wuchs immer stärker an. Endlich drängte es sich heraus, und zugleich gab sich die Ursache zu erkennen, die das Schauspiel so lange verzögert hatte. Es war die Zigeunerin, die um ihr Leben kämpfte. Obgleich ihre Hände gebunden waren, so stieß sie doch die Schergen einmal über das andere zurück, suchte in das Rathhaus zurückzukommen, als ob dieses ihr Schutz gewähren könnte, und noch unter der Thüre stemmte sie sich mit den Ellenbogen an den Pfosten an. Sie wurde aber immer wieder ergriffen und endlich herausgebracht.
Christine! rief Friedrich, dem bei dem jammerwürdigen Anblick das Herz blutete, obgleich er Anlaß genug hatte, jetzt nur noch an sich selbst zu denken: Christine, klammere dich nicht so fest an diese schnöde Welt! wende dein Herz dem Himmel zu, der dir allein noch helfen kann!
Sie fuhr zurück und sah ihn mit einem Blicke an, für den es nur dann eine Vergleichung gäbe, wenn irgendwo in der Welt, wie im menschlichen Herzen, wo die unmittelbarsten Gegensätze neben einander wohnen, glühendes Eis zu finden wäre. Verräther! sagte sie, finde du dich mit deinem Himmel ab, wie du dich mit der Welt abgefunden hast. Ich hab' dich geliebt, und Alles für dich gethan, und das ist nun mein Lohn! Wenn ich's nur gewiß wüßte, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommst! Sieh mich nicht so an mit deinen Augen -- ich wär' schwach genug, dir zu folgen, aber ich kann es nicht! Meine Mutter hat sich im Gefängniß erhenkt aus Verzweiflung über das Schicksal, das du mir bereitet hast, mir, der Mutter deines Kindes! Mein armes, armes Kind! Aber es wird mich nicht lang überleben, ich weiß, es hat den Tod in sich, es wird dieser dürren lutherischen
eigenthümliche Glanz ſeiner Augen verrieth, daß etwas in ihm vorging, wovon die Menſchenmenge, die ihn neugierig betrachtete, nach ihrer Art kaum eine Ahnung haben mochte. Feſt und kühn blickte er in die Augen der Kopf an Kopf geſchichteten Menſchen, durch deren Reihen er den letzten düſtern Weg zur Freiheit gehen ſollte. Er blieb ſtehen, um ſeine Schickſalsgenoſſen zu erwarten.
Wiederum machte ſich ein Geräuſch von der innern Rathhaustreppe vernehmlich und die Blicke der Menſchen ließen von ihm ab, um über die neue Beute, die für die Schauluſt kommen ſollte, herzufallen. Es dauerte lange und die Ungeduld wuchs immer ſtärker an. Endlich drängte es ſich heraus, und zugleich gab ſich die Urſache zu erkennen, die das Schauſpiel ſo lange verzögert hatte. Es war die Zigeunerin, die um ihr Leben kämpfte. Obgleich ihre Hände gebunden waren, ſo ſtieß ſie doch die Schergen einmal über das andere zurück, ſuchte in das Rathhaus zurückzukommen, als ob dieſes ihr Schutz gewähren könnte, und noch unter der Thüre ſtemmte ſie ſich mit den Ellenbogen an den Pfoſten an. Sie wurde aber immer wieder ergriffen und endlich herausgebracht.
Chriſtine! rief Friedrich, dem bei dem jammerwürdigen Anblick das Herz blutete, obgleich er Anlaß genug hatte, jetzt nur noch an ſich ſelbſt zu denken: Chriſtine, klammere dich nicht ſo feſt an dieſe ſchnöde Welt! wende dein Herz dem Himmel zu, der dir allein noch helfen kann!
Sie fuhr zurück und ſah ihn mit einem Blicke an, für den es nur dann eine Vergleichung gäbe, wenn irgendwo in der Welt, wie im menſchlichen Herzen, wo die unmittelbarſten Gegenſätze neben einander wohnen, glühendes Eis zu finden wäre. Verräther! ſagte ſie, finde du dich mit deinem Himmel ab, wie du dich mit der Welt abgefunden haſt. Ich hab' dich geliebt, und Alles für dich gethan, und das iſt nun mein Lohn! Wenn ich's nur gewiß wüßte, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommſt! Sieh mich nicht ſo an mit deinen Augen — ich wär' ſchwach genug, dir zu folgen, aber ich kann es nicht! Meine Mutter hat ſich im Gefängniß erhenkt aus Verzweiflung über das Schickſal, das du mir bereitet haſt, mir, der Mutter deines Kindes! Mein armes, armes Kind! Aber es wird mich nicht lang überleben, ich weiß, es hat den Tod in ſich, es wird dieſer dürren lutheriſchen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0520"n="504"/>
eigenthümliche Glanz ſeiner Augen verrieth, daß etwas in ihm vorging,<lb/>
wovon die Menſchenmenge, die ihn neugierig betrachtete, nach ihrer<lb/>
Art kaum eine Ahnung haben mochte. Feſt und kühn blickte er in<lb/>
die Augen der Kopf an Kopf geſchichteten Menſchen, durch deren<lb/>
Reihen er den letzten düſtern Weg zur Freiheit gehen ſollte. Er blieb<lb/>ſtehen, um ſeine Schickſalsgenoſſen zu erwarten.</p><lb/><p>Wiederum machte ſich ein Geräuſch von der innern Rathhaustreppe<lb/>
vernehmlich und die Blicke der Menſchen ließen von ihm ab, um über<lb/>
die neue Beute, die für die Schauluſt kommen ſollte, herzufallen. Es<lb/>
dauerte lange und die Ungeduld wuchs immer ſtärker an. Endlich<lb/>
drängte es ſich heraus, und zugleich gab ſich die Urſache zu erkennen,<lb/>
die das Schauſpiel ſo lange verzögert hatte. Es war die Zigeunerin,<lb/>
die um ihr Leben kämpfte. Obgleich ihre Hände gebunden waren, ſo<lb/>ſtieß ſie doch die Schergen einmal über das andere zurück, ſuchte in<lb/>
das Rathhaus zurückzukommen, als ob dieſes ihr Schutz gewähren<lb/>
könnte, und noch unter der Thüre ſtemmte ſie ſich mit den Ellenbogen<lb/>
an den Pfoſten an. Sie wurde aber immer wieder ergriffen und<lb/>
endlich herausgebracht.</p><lb/><p>Chriſtine! rief Friedrich, dem bei dem jammerwürdigen Anblick<lb/>
das Herz blutete, obgleich er Anlaß genug hatte, jetzt nur noch an<lb/>ſich ſelbſt zu denken: Chriſtine, klammere dich nicht ſo feſt an dieſe<lb/>ſchnöde Welt! wende dein Herz dem Himmel zu, der dir allein noch<lb/>
helfen kann!</p><lb/><p>Sie fuhr zurück und ſah ihn mit einem Blicke an, für den es nur<lb/>
dann eine Vergleichung gäbe, wenn irgendwo in der Welt, wie im<lb/>
menſchlichen Herzen, wo die unmittelbarſten Gegenſätze neben einander<lb/>
wohnen, glühendes Eis zu finden wäre. Verräther! ſagte ſie, finde<lb/>
du dich mit deinem Himmel ab, wie du dich mit der Welt abgefunden<lb/>
haſt. Ich hab' dich geliebt, und Alles für dich gethan, und das iſt<lb/>
nun mein Lohn! Wenn ich's nur gewiß wüßte, ob du in den Himmel<lb/>
oder in die Hölle kommſt! Sieh mich nicht ſo an mit deinen Augen —<lb/>
ich wär' ſchwach genug, dir zu folgen, aber ich kann es nicht! Meine<lb/>
Mutter hat ſich im Gefängniß erhenkt aus Verzweiflung über das<lb/>
Schickſal, das du mir bereitet haſt, mir, der Mutter deines Kindes!<lb/>
Mein armes, armes Kind! Aber es wird mich nicht lang überleben,<lb/>
ich weiß, es hat den Tod in ſich, es wird dieſer dürren lutheriſchen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[504/0520]
eigenthümliche Glanz ſeiner Augen verrieth, daß etwas in ihm vorging,
wovon die Menſchenmenge, die ihn neugierig betrachtete, nach ihrer
Art kaum eine Ahnung haben mochte. Feſt und kühn blickte er in
die Augen der Kopf an Kopf geſchichteten Menſchen, durch deren
Reihen er den letzten düſtern Weg zur Freiheit gehen ſollte. Er blieb
ſtehen, um ſeine Schickſalsgenoſſen zu erwarten.
Wiederum machte ſich ein Geräuſch von der innern Rathhaustreppe
vernehmlich und die Blicke der Menſchen ließen von ihm ab, um über
die neue Beute, die für die Schauluſt kommen ſollte, herzufallen. Es
dauerte lange und die Ungeduld wuchs immer ſtärker an. Endlich
drängte es ſich heraus, und zugleich gab ſich die Urſache zu erkennen,
die das Schauſpiel ſo lange verzögert hatte. Es war die Zigeunerin,
die um ihr Leben kämpfte. Obgleich ihre Hände gebunden waren, ſo
ſtieß ſie doch die Schergen einmal über das andere zurück, ſuchte in
das Rathhaus zurückzukommen, als ob dieſes ihr Schutz gewähren
könnte, und noch unter der Thüre ſtemmte ſie ſich mit den Ellenbogen
an den Pfoſten an. Sie wurde aber immer wieder ergriffen und
endlich herausgebracht.
Chriſtine! rief Friedrich, dem bei dem jammerwürdigen Anblick
das Herz blutete, obgleich er Anlaß genug hatte, jetzt nur noch an
ſich ſelbſt zu denken: Chriſtine, klammere dich nicht ſo feſt an dieſe
ſchnöde Welt! wende dein Herz dem Himmel zu, der dir allein noch
helfen kann!
Sie fuhr zurück und ſah ihn mit einem Blicke an, für den es nur
dann eine Vergleichung gäbe, wenn irgendwo in der Welt, wie im
menſchlichen Herzen, wo die unmittelbarſten Gegenſätze neben einander
wohnen, glühendes Eis zu finden wäre. Verräther! ſagte ſie, finde
du dich mit deinem Himmel ab, wie du dich mit der Welt abgefunden
haſt. Ich hab' dich geliebt, und Alles für dich gethan, und das iſt
nun mein Lohn! Wenn ich's nur gewiß wüßte, ob du in den Himmel
oder in die Hölle kommſt! Sieh mich nicht ſo an mit deinen Augen —
ich wär' ſchwach genug, dir zu folgen, aber ich kann es nicht! Meine
Mutter hat ſich im Gefängniß erhenkt aus Verzweiflung über das
Schickſal, das du mir bereitet haſt, mir, der Mutter deines Kindes!
Mein armes, armes Kind! Aber es wird mich nicht lang überleben,
ich weiß, es hat den Tod in ſich, es wird dieſer dürren lutheriſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/520>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.