daß dieser Blick ihm gegolten habe. Jetzt erst blieb er stehen und sah ihr nach. Sie war schon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe flogen lustig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, sagte er: ist's vielleicht eine Fremde? Sie trägt sich übrigens ganz Ebers¬ bachisch. Aber das ist ein blitznett's Schelmengesicht! -- Er wäre ihr gerne nachgegangen, aber er scheute die Mühle. Auch fiel ihm nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hause getrieben hatte. Er wandte sich, durchmaß einige Gäßchen, ging weiter oben über das Wasser zurück, und kam unverrichteter Dinge nach Hause, wo ihm ein vielsagender Duft aus der Küche entgegen¬ strömte.
Nach dem Essen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit seiner Schwester allein zu sein, fragte er sie: Ist dir's noch wie gestern ?
Magdalene versuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬ lingen. Ich thu's eben nicht! flüsterte sie, indem sie in der gestrigen Haltung auf den Boden stampfte; aber ihre Stimme klang wie eine ohnmächtige Einsprache gegen das Schicksal und über ihre Augen flog ein Nebel hin. Die Geschwister hörten des Vaters Tritt; da stoben sie auseinander.
Friedrich's Beklemmung stieg immer höher. Der Geist der Ge¬ waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch das Haus und suchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann stieg er auf den Boden, um Erbsen zu holen. Er wollte dem Chirurgus einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn sie mich auch wieder nach Ludwigsburg schicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit seinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geistlichen Herren, die heute ihr "Kränzchen" in der Sonne hatten, mit nächstem anrücken würden, und er entsagte seinem Attentat. Vor der Klerisei hatte er einen wohlbegründeten Respekt. Denn, dachte er in seiner rohen Weise, statt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den Pfarrern abe hageln, und das thät' mir schlimmer gedeihen, als wenn ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt' ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, so erschienen die Er¬ sten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitschößigen schwarzen Röcken umrauscht, stiegen sie ernsthaft die Treppe empor, und ihre weißen
daß dieſer Blick ihm gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, ſagte er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬ bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! — Er wäre ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬ ſtrömte.
Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie geſtern ?
Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬ lingen. Ich thu's eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben ſie auseinander.
Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬ waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen Herren, die heute ihr „Kränzchen“ in der Sonne hatten, mit nächſtem anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt' ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬ ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen Röcken umrauſcht, ſtiegen ſie ernſthaft die Treppe empor, und ihre weißen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0069"n="53"/>
daß dieſer Blick <hirendition="#g">ihm</hi> gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und<lb/>ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe<lb/>
flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, ſagte<lb/>
er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬<lb/>
bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! — Er wäre<lb/>
ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm<lb/>
nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe<lb/>
getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging<lb/>
weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge<lb/>
nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬<lb/>ſtrömte.</p><lb/><p>Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit<lb/>ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie<lb/>
geſtern ?</p><lb/><p>Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬<lb/>
lingen. Ich <hirendition="#g">thu's</hi> eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen<lb/>
Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine<lb/>
ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog<lb/>
ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben<lb/>ſie auseinander.</p><lb/><p>Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬<lb/>
waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch<lb/>
das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg<lb/>
er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus<lb/>
einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder<lb/>
nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit<lb/>ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen<lb/>
Herren, die heute ihr „Kränzchen“ in der Sonne hatten, mit nächſtem<lb/>
anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei<lb/>
hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner<lb/>
rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den<lb/>
Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn<lb/>
ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt'<lb/>
ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬<lb/>ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen<lb/>
Röcken umrauſcht, ſtiegen ſie ernſthaft die Treppe empor, und ihre weißen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[53/0069]
daß dieſer Blick ihm gegolten habe. Jetzt erſt blieb er ſtehen und
ſah ihr nach. Sie war ſchon ziemlich weit entfernt, und ihre Zöpfe
flogen luſtig hinter ihr her. Ich kenn' doch jedes Kind hier, ſagte
er: iſt's vielleicht eine Fremde? Sie trägt ſich übrigens ganz Ebers¬
bachiſch. Aber das iſt ein blitznett's Schelmengeſicht! — Er wäre
ihr gerne nachgegangen, aber er ſcheute die Mühle. Auch fiel ihm
nur allzubald die Sorge wieder auf's Herz, die ihn aus dem Hauſe
getrieben hatte. Er wandte ſich, durchmaß einige Gäßchen, ging
weiter oben über das Waſſer zurück, und kam unverrichteter Dinge
nach Hauſe, wo ihm ein vielſagender Duft aus der Küche entgegen¬
ſtrömte.
Nach dem Eſſen, als er Gelegenheit fand, einen Augenblick mit
ſeiner Schweſter allein zu ſein, fragte er ſie: Iſt dir's noch wie
geſtern ?
Magdalene verſuchte zu lachen; es wollte ihr aber nicht recht ge¬
lingen. Ich thu's eben nicht! flüſterte ſie, indem ſie in der geſtrigen
Haltung auf den Boden ſtampfte; aber ihre Stimme klang wie eine
ohnmächtige Einſprache gegen das Schickſal und über ihre Augen flog
ein Nebel hin. Die Geſchwiſter hörten des Vaters Tritt; da ſtoben
ſie auseinander.
Friedrich's Beklemmung ſtieg immer höher. Der Geiſt der Ge¬
waltthätigkeit begann in ihm wach zu werden. Er ging unruhig durch
das Haus und ſuchte ein Brett, das ihm gerecht wäre. Dann ſtieg
er auf den Boden, um Erbſen zu holen. Er wollte dem Chirurgus
einen halsbrechenden Empfang bereiten. Wenn ſie mich auch wieder
nach Ludwigsburg ſchicken, dachte er, was thut's! Als er aber mit
ſeinen Vorbereitungen fertig, war, fiel es ihm ein, daß die geiſtlichen
Herren, die heute ihr „Kränzchen“ in der Sonne hatten, mit nächſtem
anrücken würden, und er entſagte ſeinem Attentat. Vor der Kleriſei
hatte er einen wohlbegründeten Reſpekt. Denn, dachte er in ſeiner
rohen Weiſe, ſtatt des Chirurgen könnt' mir auch einer von den
Pfarrern abe hageln, und das thät' mir ſchlimmer gedeihen, als wenn
ich meinem Vater einen Strick um den Hals gemacht hätt' und hätt'
ihn an den Schild hinaus gehenkt. Nicht lange, ſo erſchienen die Er¬
ſten der erwarteten Ankömmlinge. Von ihren weitſchößigen ſchwarzen
Röcken umrauſcht, ſtiegen ſie ernſthaft die Treppe empor, und ihre weißen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/69>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.