ßen und etwa ihre Hand beim Darreichen zu berühren. Hierzu mußte er jedesmal den Augenblick wählen, wo sie gerade im Zimmer anwe¬ send war, und dies nöthigte ihn, oft einen starken Rest mit einem einzigen Zuge zu leeren. Die Andern hatten sein Treiben schnell durch¬ schaut und gaben ihr muthwilliges Ergötzen bald durch einen Augen¬ wink, bald durch ein schiefgezogenes Maul zu erkennen. Die Gläser, die er aus Christinens Hand empfing, stiegen ihm nach und nach in den Kopf. Er sang, lachte, schwatzte viel und ließ seine gute Laune an Einem und dem Andern der Anwesenden aus, endlich aber auch an der abwesenden Frau Amtmännin, die er sich nicht entblödete eine alte Kupplerin zu schelten. Wer weiß welch' thörichtes Zeug er noch angerichtet haben würde, wenn nicht Christine, vielleicht absichtlich zu seinem Besten, den klugen Einfall gehabt hätte, die Magnetnadel nach dem entgegengesetzten Pol zu drehen. Sie wischte auf einmal mit einem Gut' Nacht, das wenigstens deutlich auf sein Ohr berechnet war, zur Thüre hinaus. Er wagte ihr nicht seine Begleitung anzubieten, aber nun war auch seines Bleibens nicht länger mehr. Allen Neckereien und Herausfor¬ derungen der Andern zum Trotz machte er sich so schnell als möglich los; er hoffte sie noch unterwegs einzuholen. Da er aber bei all seiner Aufregung doch so viel Rücksicht genommen hatte, um einiger¬ maßen den Schein zu meiden, so gelang ihm sein Vorhaben nicht.
Er ging mit eiligen Schritten ans Ende des Fleckens, wo etwas abgesondert das Häuschen ihres Vaters lag. Seine Tritte hallten durch die Nacht. Er umging das Haus, aber kein Licht war zu sehen. Er lehnte sich lange an den Backofen, der wie ein großer Bauch aus dem Hause hervorragte. Dann setzte er sich auf die Deichsel des Wagens, der unter dem Schupfe stand. Im Hause war Alles stille, nirgends ein Laut, weder ein Tritt in einer Kammer, noch das Kra¬ chen einer Treppenstufe zu vernehmen. Du leichtfüßig's Vögele du, sagte er, bist schon in's Bett geschlupft und schlafst. Gut' Nacht, Christinele, gut' Nacht, Schatz! Mein mußt du werden, und wenn ich die Stern' vom Himmel reißen müßt'!
Seine Zechgenossen, als er die Stube verlassen hatte, sahen ein¬ ander erst stillschweigend an, dann machten sie allerlei Bemerkungen, sowohl über den unerhörten trunkenen Freimuth, mit dem er die Maria Theresia des Fleckens anzutasten gewagt, als über das plötzliche
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 5
ßen und etwa ihre Hand beim Darreichen zu berühren. Hierzu mußte er jedesmal den Augenblick wählen, wo ſie gerade im Zimmer anwe¬ ſend war, und dies nöthigte ihn, oft einen ſtarken Reſt mit einem einzigen Zuge zu leeren. Die Andern hatten ſein Treiben ſchnell durch¬ ſchaut und gaben ihr muthwilliges Ergötzen bald durch einen Augen¬ wink, bald durch ein ſchiefgezogenes Maul zu erkennen. Die Gläſer, die er aus Chriſtinens Hand empfing, ſtiegen ihm nach und nach in den Kopf. Er ſang, lachte, ſchwatzte viel und ließ ſeine gute Laune an Einem und dem Andern der Anweſenden aus, endlich aber auch an der abweſenden Frau Amtmännin, die er ſich nicht entblödete eine alte Kupplerin zu ſchelten. Wer weiß welch' thörichtes Zeug er noch angerichtet haben würde, wenn nicht Chriſtine, vielleicht abſichtlich zu ſeinem Beſten, den klugen Einfall gehabt hätte, die Magnetnadel nach dem entgegengeſetzten Pol zu drehen. Sie wiſchte auf einmal mit einem Gut' Nacht, das wenigſtens deutlich auf ſein Ohr berechnet war, zur Thüre hinaus. Er wagte ihr nicht ſeine Begleitung anzubieten, aber nun war auch ſeines Bleibens nicht länger mehr. Allen Neckereien und Herausfor¬ derungen der Andern zum Trotz machte er ſich ſo ſchnell als möglich los; er hoffte ſie noch unterwegs einzuholen. Da er aber bei all ſeiner Aufregung doch ſo viel Rückſicht genommen hatte, um einiger¬ maßen den Schein zu meiden, ſo gelang ihm ſein Vorhaben nicht.
Er ging mit eiligen Schritten ans Ende des Fleckens, wo etwas abgeſondert das Häuschen ihres Vaters lag. Seine Tritte hallten durch die Nacht. Er umging das Haus, aber kein Licht war zu ſehen. Er lehnte ſich lange an den Backofen, der wie ein großer Bauch aus dem Hauſe hervorragte. Dann ſetzte er ſich auf die Deichſel des Wagens, der unter dem Schupfe ſtand. Im Hauſe war Alles ſtille, nirgends ein Laut, weder ein Tritt in einer Kammer, noch das Kra¬ chen einer Treppenſtufe zu vernehmen. Du leichtfüßig's Vögele du, ſagte er, biſt ſchon in's Bett geſchlupft und ſchlafſt. Gut' Nacht, Chriſtinele, gut' Nacht, Schatz! Mein mußt du werden, und wenn ich die Stern' vom Himmel reißen müßt'!
Seine Zechgenoſſen, als er die Stube verlaſſen hatte, ſahen ein¬ ander erſt ſtillſchweigend an, dann machten ſie allerlei Bemerkungen, ſowohl über den unerhörten trunkenen Freimuth, mit dem er die Maria Thereſia des Fleckens anzutaſten gewagt, als über das plötzliche
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0081"n="65"/>
ßen und etwa ihre Hand beim Darreichen zu berühren. Hierzu mußte<lb/>
er jedesmal den Augenblick wählen, wo ſie gerade im Zimmer anwe¬<lb/>ſend war, und dies nöthigte ihn, oft einen ſtarken Reſt mit einem<lb/>
einzigen Zuge zu leeren. Die Andern hatten ſein Treiben ſchnell durch¬<lb/>ſchaut und gaben ihr muthwilliges Ergötzen bald durch einen Augen¬<lb/>
wink, bald durch ein ſchiefgezogenes Maul zu erkennen. Die Gläſer,<lb/>
die er aus Chriſtinens Hand empfing, ſtiegen ihm nach und nach in<lb/>
den Kopf. Er ſang, lachte, ſchwatzte viel und ließ ſeine gute Laune<lb/>
an Einem und dem Andern der Anweſenden aus, endlich aber auch an der<lb/>
abweſenden Frau Amtmännin, die er ſich nicht entblödete eine alte Kupplerin<lb/>
zu ſchelten. Wer weiß welch' thörichtes Zeug er noch angerichtet haben<lb/>
würde, wenn nicht Chriſtine, vielleicht abſichtlich zu ſeinem Beſten, den<lb/>
klugen Einfall gehabt hätte, die Magnetnadel nach dem entgegengeſetzten<lb/>
Pol zu drehen. Sie wiſchte auf einmal mit einem Gut' Nacht, das<lb/>
wenigſtens deutlich auf ſein Ohr berechnet war, zur Thüre hinaus.<lb/>
Er wagte ihr nicht ſeine Begleitung anzubieten, aber nun war auch<lb/>ſeines Bleibens nicht länger mehr. Allen Neckereien und Herausfor¬<lb/>
derungen der Andern zum Trotz machte er ſich ſo ſchnell als möglich<lb/>
los; er hoffte ſie noch unterwegs einzuholen. Da er aber bei all<lb/>ſeiner Aufregung doch ſo viel Rückſicht genommen hatte, um einiger¬<lb/>
maßen den Schein zu meiden, ſo gelang ihm ſein Vorhaben nicht.</p><lb/><p>Er ging mit eiligen Schritten ans Ende des Fleckens, wo etwas<lb/>
abgeſondert das Häuschen ihres Vaters lag. Seine Tritte hallten<lb/>
durch die Nacht. Er umging das Haus, aber kein Licht war zu ſehen.<lb/>
Er lehnte ſich lange an den Backofen, der wie ein großer Bauch aus<lb/>
dem Hauſe hervorragte. Dann ſetzte er ſich auf die Deichſel des<lb/>
Wagens, der unter dem Schupfe ſtand. Im Hauſe war Alles ſtille,<lb/>
nirgends ein Laut, weder ein Tritt in einer Kammer, noch das Kra¬<lb/>
chen einer Treppenſtufe zu vernehmen. Du leichtfüßig's Vögele du,<lb/>ſagte er, biſt ſchon in's Bett geſchlupft und ſchlafſt. Gut' Nacht,<lb/>
Chriſtinele, gut' Nacht, Schatz! Mein mußt du werden, und wenn<lb/>
ich die Stern' vom Himmel reißen müßt'!</p><lb/><p>Seine Zechgenoſſen, als er die Stube verlaſſen hatte, ſahen ein¬<lb/>
ander erſt ſtillſchweigend an, dann machten ſie allerlei Bemerkungen,<lb/>ſowohl über den unerhörten trunkenen Freimuth, mit dem er die<lb/>
Maria Thereſia des Fleckens anzutaſten gewagt, als über das plötzliche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D. B. <hirendition="#aq">IV</hi>. Kurz, Sonnenwirth. 5<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[65/0081]
ßen und etwa ihre Hand beim Darreichen zu berühren. Hierzu mußte
er jedesmal den Augenblick wählen, wo ſie gerade im Zimmer anwe¬
ſend war, und dies nöthigte ihn, oft einen ſtarken Reſt mit einem
einzigen Zuge zu leeren. Die Andern hatten ſein Treiben ſchnell durch¬
ſchaut und gaben ihr muthwilliges Ergötzen bald durch einen Augen¬
wink, bald durch ein ſchiefgezogenes Maul zu erkennen. Die Gläſer,
die er aus Chriſtinens Hand empfing, ſtiegen ihm nach und nach in
den Kopf. Er ſang, lachte, ſchwatzte viel und ließ ſeine gute Laune
an Einem und dem Andern der Anweſenden aus, endlich aber auch an der
abweſenden Frau Amtmännin, die er ſich nicht entblödete eine alte Kupplerin
zu ſchelten. Wer weiß welch' thörichtes Zeug er noch angerichtet haben
würde, wenn nicht Chriſtine, vielleicht abſichtlich zu ſeinem Beſten, den
klugen Einfall gehabt hätte, die Magnetnadel nach dem entgegengeſetzten
Pol zu drehen. Sie wiſchte auf einmal mit einem Gut' Nacht, das
wenigſtens deutlich auf ſein Ohr berechnet war, zur Thüre hinaus.
Er wagte ihr nicht ſeine Begleitung anzubieten, aber nun war auch
ſeines Bleibens nicht länger mehr. Allen Neckereien und Herausfor¬
derungen der Andern zum Trotz machte er ſich ſo ſchnell als möglich
los; er hoffte ſie noch unterwegs einzuholen. Da er aber bei all
ſeiner Aufregung doch ſo viel Rückſicht genommen hatte, um einiger¬
maßen den Schein zu meiden, ſo gelang ihm ſein Vorhaben nicht.
Er ging mit eiligen Schritten ans Ende des Fleckens, wo etwas
abgeſondert das Häuschen ihres Vaters lag. Seine Tritte hallten
durch die Nacht. Er umging das Haus, aber kein Licht war zu ſehen.
Er lehnte ſich lange an den Backofen, der wie ein großer Bauch aus
dem Hauſe hervorragte. Dann ſetzte er ſich auf die Deichſel des
Wagens, der unter dem Schupfe ſtand. Im Hauſe war Alles ſtille,
nirgends ein Laut, weder ein Tritt in einer Kammer, noch das Kra¬
chen einer Treppenſtufe zu vernehmen. Du leichtfüßig's Vögele du,
ſagte er, biſt ſchon in's Bett geſchlupft und ſchlafſt. Gut' Nacht,
Chriſtinele, gut' Nacht, Schatz! Mein mußt du werden, und wenn
ich die Stern' vom Himmel reißen müßt'!
Seine Zechgenoſſen, als er die Stube verlaſſen hatte, ſahen ein¬
ander erſt ſtillſchweigend an, dann machten ſie allerlei Bemerkungen,
ſowohl über den unerhörten trunkenen Freimuth, mit dem er die
Maria Thereſia des Fleckens anzutaſten gewagt, als über das plötzliche
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/81>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.