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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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er keinen Schritt. Auch er war entschlossen, nicht hinzugehen; als er
aber von Weitem die bekannten Töne des Ländlers vernahm, spiegelte
er sich vor, er wolle seinen Unmuth vertanzen und vertrinken. Ge¬
sagt, gethan; aber das Erste, was ihm beim Eintritt in die Augen
fiel, war Christine, die anscheinend sehr wohlgemuth mit einem jungen
Burschen tanzte. Er hätte laut aufschreien und dreinschlagen mögen,
aber er bezwang sich und wählte schnell eine Tänzerin. Christinen
zum Trotz tanzte er unaufhörlich, ohne sie ein einziges Mal aufzu¬
fordern. Aber auch sie blieb nicht verlassen sitzen, denn die Buben,
wie man die jungen unverheiratheten Männer nennt, kümmerten sich
wenig um das, was man im Flecken über ihre Familie sprach, und
hatten Wohlgefallen an ihrer Jugend und Schönheit. Sie war jedoch
darauf bedacht, mit Keinem zweimal nach einander zu tanzen, und auch
er wechselte seine Tänzerinnen fleißig, denn so gerne er ihr einen eifer¬
süchtigen Verdruß bereitet haben würde, so fand er doch Keine, mit
der er durch längeres Zusammenhalten in den Ruf einer Liebschaft
hätte kommen wollen. Sonst hatte er, wie es bei verbundenen Paa¬
ren Sitte ist, nur mit ihr und sie nur mit ihm getanzt; heute mach¬
ten sie jedes für sich die Runde durch die ganze junge Welt, so weit
sie nicht verliebt oder verlobt, verbandelt oder verhandelt war. Ein¬
mal kamen sie beim Ausruhen neben einander zu stehen. Thut's so?
fragte Christine freundlich und gelassen zu ihm herüber. Ich mag
mich nicht am Narrenseil herumführen lassen, schnaubte er zu ihr hin¬
über und riß seine Tänzerin von Neuem in die Reihe. Sein Herz
kochte, das Tanzen war ihm entleidet und er setzte sich zum Wein,
den er mit Heftigkeit in sich goß. Gleichgiltig und düster sah er von
hier aus der Lustbarkeit der Andern zu, oder vielmehr, er sah nur
Christinen, die zwar keinem Einzelnen besondere Gunst erwies aber
sich von Jedem schön thun ließ, und sich gar nicht um ihn zu küm¬
mern und ihn durch ihre Munterkeit und ihr helles Lachen, das ihn
unsäglich beleidigte, für seine Gleichgiltigkeit strafen zu wollen schien.
Da das Betragen der Beiden allgemein auffiel, deren Vereinigung
schon zu so vielem Geschwätz Anlaß gegeben hatte, so mußte er über
die Trennung allerlei Bemerkungen und Neckereien hinnehmen, die
ihn innerlich wüthend machten, und der Abend würde ohne Zweifel,
wie so oft auf dem Lande geschieht, mit Raufhändeln geendet haben,

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 6

er keinen Schritt. Auch er war entſchloſſen, nicht hinzugehen; als er
aber von Weitem die bekannten Töne des Ländlers vernahm, ſpiegelte
er ſich vor, er wolle ſeinen Unmuth vertanzen und vertrinken. Ge¬
ſagt, gethan; aber das Erſte, was ihm beim Eintritt in die Augen
fiel, war Chriſtine, die anſcheinend ſehr wohlgemuth mit einem jungen
Burſchen tanzte. Er hätte laut aufſchreien und dreinſchlagen mögen,
aber er bezwang ſich und wählte ſchnell eine Tänzerin. Chriſtinen
zum Trotz tanzte er unaufhörlich, ohne ſie ein einziges Mal aufzu¬
fordern. Aber auch ſie blieb nicht verlaſſen ſitzen, denn die Buben,
wie man die jungen unverheiratheten Männer nennt, kümmerten ſich
wenig um das, was man im Flecken über ihre Familie ſprach, und
hatten Wohlgefallen an ihrer Jugend und Schönheit. Sie war jedoch
darauf bedacht, mit Keinem zweimal nach einander zu tanzen, und auch
er wechſelte ſeine Tänzerinnen fleißig, denn ſo gerne er ihr einen eifer¬
ſüchtigen Verdruß bereitet haben würde, ſo fand er doch Keine, mit
der er durch längeres Zuſammenhalten in den Ruf einer Liebſchaft
hätte kommen wollen. Sonſt hatte er, wie es bei verbundenen Paa¬
ren Sitte iſt, nur mit ihr und ſie nur mit ihm getanzt; heute mach¬
ten ſie jedes für ſich die Runde durch die ganze junge Welt, ſo weit
ſie nicht verliebt oder verlobt, verbandelt oder verhandelt war. Ein¬
mal kamen ſie beim Ausruhen neben einander zu ſtehen. Thut's ſo?
fragte Chriſtine freundlich und gelaſſen zu ihm herüber. Ich mag
mich nicht am Narrenſeil herumführen laſſen, ſchnaubte er zu ihr hin¬
über und riß ſeine Tänzerin von Neuem in die Reihe. Sein Herz
kochte, das Tanzen war ihm entleidet und er ſetzte ſich zum Wein,
den er mit Heftigkeit in ſich goß. Gleichgiltig und düſter ſah er von
hier aus der Luſtbarkeit der Andern zu, oder vielmehr, er ſah nur
Chriſtinen, die zwar keinem Einzelnen beſondere Gunſt erwies aber
ſich von Jedem ſchön thun ließ, und ſich gar nicht um ihn zu küm¬
mern und ihn durch ihre Munterkeit und ihr helles Lachen, das ihn
unſäglich beleidigte, für ſeine Gleichgiltigkeit ſtrafen zu wollen ſchien.
Da das Betragen der Beiden allgemein auffiel, deren Vereinigung
ſchon zu ſo vielem Geſchwätz Anlaß gegeben hatte, ſo mußte er über
die Trennung allerlei Bemerkungen und Neckereien hinnehmen, die
ihn innerlich wüthend machten, und der Abend würde ohne Zweifel,
wie ſo oft auf dem Lande geſchieht, mit Raufhändeln geendet haben,

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[81/0097] er keinen Schritt. Auch er war entſchloſſen, nicht hinzugehen; als er aber von Weitem die bekannten Töne des Ländlers vernahm, ſpiegelte er ſich vor, er wolle ſeinen Unmuth vertanzen und vertrinken. Ge¬ ſagt, gethan; aber das Erſte, was ihm beim Eintritt in die Augen fiel, war Chriſtine, die anſcheinend ſehr wohlgemuth mit einem jungen Burſchen tanzte. Er hätte laut aufſchreien und dreinſchlagen mögen, aber er bezwang ſich und wählte ſchnell eine Tänzerin. Chriſtinen zum Trotz tanzte er unaufhörlich, ohne ſie ein einziges Mal aufzu¬ fordern. Aber auch ſie blieb nicht verlaſſen ſitzen, denn die Buben, wie man die jungen unverheiratheten Männer nennt, kümmerten ſich wenig um das, was man im Flecken über ihre Familie ſprach, und hatten Wohlgefallen an ihrer Jugend und Schönheit. Sie war jedoch darauf bedacht, mit Keinem zweimal nach einander zu tanzen, und auch er wechſelte ſeine Tänzerinnen fleißig, denn ſo gerne er ihr einen eifer¬ ſüchtigen Verdruß bereitet haben würde, ſo fand er doch Keine, mit der er durch längeres Zuſammenhalten in den Ruf einer Liebſchaft hätte kommen wollen. Sonſt hatte er, wie es bei verbundenen Paa¬ ren Sitte iſt, nur mit ihr und ſie nur mit ihm getanzt; heute mach¬ ten ſie jedes für ſich die Runde durch die ganze junge Welt, ſo weit ſie nicht verliebt oder verlobt, verbandelt oder verhandelt war. Ein¬ mal kamen ſie beim Ausruhen neben einander zu ſtehen. Thut's ſo? fragte Chriſtine freundlich und gelaſſen zu ihm herüber. Ich mag mich nicht am Narrenſeil herumführen laſſen, ſchnaubte er zu ihr hin¬ über und riß ſeine Tänzerin von Neuem in die Reihe. Sein Herz kochte, das Tanzen war ihm entleidet und er ſetzte ſich zum Wein, den er mit Heftigkeit in ſich goß. Gleichgiltig und düſter ſah er von hier aus der Luſtbarkeit der Andern zu, oder vielmehr, er ſah nur Chriſtinen, die zwar keinem Einzelnen beſondere Gunſt erwies aber ſich von Jedem ſchön thun ließ, und ſich gar nicht um ihn zu küm¬ mern und ihn durch ihre Munterkeit und ihr helles Lachen, das ihn unſäglich beleidigte, für ſeine Gleichgiltigkeit ſtrafen zu wollen ſchien. Da das Betragen der Beiden allgemein auffiel, deren Vereinigung ſchon zu ſo vielem Geſchwätz Anlaß gegeben hatte, ſo mußte er über die Trennung allerlei Bemerkungen und Neckereien hinnehmen, die ihn innerlich wüthend machten, und der Abend würde ohne Zweifel, wie ſo oft auf dem Lande geſchieht, mit Raufhändeln geendet haben, D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 6

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/97>, abgerufen am 23.11.2024.