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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nicht wenig Schweiß kostete, den Gegenstand seiner Beobachtung vor dem Glase zu behalten, oder wenn er ihn von Zeit zu Zeit verlor, schnell wieder vor dasselbe zurückzuführen.

Doch aller seiner Bemühungen schien ein neidisches Geschick spotten zu wollen, denn der Unbekannte gab kein Zeichen der Erkennung, obgleich in seiner Stellung und der Richtung seines Fernrohrs keine Veränderung sichtbar geworden war. Sein Entdecker knieete auf den Boden, legte die angeschlagene Augenwaffe auf das Fenstergesims und begann das Taschentuch mit Macht zu schwingen; da er aber bedachte, daß durch dieses Verfahren gerade das breiteste Object des Gesehenwerdenkönnens, nämlich sein wohlgerundetes Selbst, dem Bereiche einer Gegenentdeckung entrückt sei, so band er mit eben so viel Kunst als Anstrengung die Signalflagge um den unausgesetzt in Arbeit begriffenen Tubus fest, ließ das freie Ende flattern und nahm seinen früheren Standpunkt in dem Fenster, das er vollkommen ausfüllte, wieder ein.

Das Fernrohr jetzt mit beiden Händen, wie vorher, zu bequemeren Evolutionen beherrschend, schüttelte er es von Zeit zu Zeit, um die daran befestigte Flagge tanzen zu lassen. Allein dies war gleichfalls ein mißliches Manöver, worin er jeden Augenblick inne halten mußte, um den durch die Schwankungen gestörten Gesichtswinkel herzustellen, ehe die in demselben befindliche Erscheinung unwiederbringlich verschwinden konnte. Da

nicht wenig Schweiß kostete, den Gegenstand seiner Beobachtung vor dem Glase zu behalten, oder wenn er ihn von Zeit zu Zeit verlor, schnell wieder vor dasselbe zurückzuführen.

Doch aller seiner Bemühungen schien ein neidisches Geschick spotten zu wollen, denn der Unbekannte gab kein Zeichen der Erkennung, obgleich in seiner Stellung und der Richtung seines Fernrohrs keine Veränderung sichtbar geworden war. Sein Entdecker knieete auf den Boden, legte die angeschlagene Augenwaffe auf das Fenstergesims und begann das Taschentuch mit Macht zu schwingen; da er aber bedachte, daß durch dieses Verfahren gerade das breiteste Object des Gesehenwerdenkönnens, nämlich sein wohlgerundetes Selbst, dem Bereiche einer Gegenentdeckung entrückt sei, so band er mit eben so viel Kunst als Anstrengung die Signalflagge um den unausgesetzt in Arbeit begriffenen Tubus fest, ließ das freie Ende flattern und nahm seinen früheren Standpunkt in dem Fenster, das er vollkommen ausfüllte, wieder ein.

Das Fernrohr jetzt mit beiden Händen, wie vorher, zu bequemeren Evolutionen beherrschend, schüttelte er es von Zeit zu Zeit, um die daran befestigte Flagge tanzen zu lassen. Allein dies war gleichfalls ein mißliches Manöver, worin er jeden Augenblick inne halten mußte, um den durch die Schwankungen gestörten Gesichtswinkel herzustellen, ehe die in demselben befindliche Erscheinung unwiederbringlich verschwinden konnte. Da

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[0014] nicht wenig Schweiß kostete, den Gegenstand seiner Beobachtung vor dem Glase zu behalten, oder wenn er ihn von Zeit zu Zeit verlor, schnell wieder vor dasselbe zurückzuführen. Doch aller seiner Bemühungen schien ein neidisches Geschick spotten zu wollen, denn der Unbekannte gab kein Zeichen der Erkennung, obgleich in seiner Stellung und der Richtung seines Fernrohrs keine Veränderung sichtbar geworden war. Sein Entdecker knieete auf den Boden, legte die angeschlagene Augenwaffe auf das Fenstergesims und begann das Taschentuch mit Macht zu schwingen; da er aber bedachte, daß durch dieses Verfahren gerade das breiteste Object des Gesehenwerdenkönnens, nämlich sein wohlgerundetes Selbst, dem Bereiche einer Gegenentdeckung entrückt sei, so band er mit eben so viel Kunst als Anstrengung die Signalflagge um den unausgesetzt in Arbeit begriffenen Tubus fest, ließ das freie Ende flattern und nahm seinen früheren Standpunkt in dem Fenster, das er vollkommen ausfüllte, wieder ein. Das Fernrohr jetzt mit beiden Händen, wie vorher, zu bequemeren Evolutionen beherrschend, schüttelte er es von Zeit zu Zeit, um die daran befestigte Flagge tanzen zu lassen. Allein dies war gleichfalls ein mißliches Manöver, worin er jeden Augenblick inne halten mußte, um den durch die Schwankungen gestörten Gesichtswinkel herzustellen, ehe die in demselben befindliche Erscheinung unwiederbringlich verschwinden konnte. Da

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/14>, abgerufen am 21.11.2024.