Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sich nur, daß dem geriebenen Kopfe in der Geschwindigkeit nichts Gescheidteres eingefallen sei. Aber gerade darum hieß er die Eulenspiegelei, von der er eine Probe halb und halb erwartet hatte, höchlich willkommen: denn sie verhalf ihm zu dem Tone, den er zu treffen wünschte. Er ging also mit Vergnügen in die Falle und stellte sich, als ob er die Mystification blindlings glaube, hielt es jedoch für gerathen, die Pfarrerin, deren er sich zu seiner Operation zu bedienen gedachte, nicht in die Tiefe der Verwicklung und auf den Boden seines Planes blicken zu lassen. Indem er ihr daher die Charakteristik des Decans mittheilte, verschwieg er, daß der Urheber derselben ein Duzfreund des Geschilderten sei, der sich etwas gegen Diesen erlauben konnte, und brachte so die sonst recht leidlich kluge Frau dahin, daß sie seinen scheinbaren Glauben in Wirklichkeit theilte. Hiedurch gewann er einerseits, daß sie ihre Rolle, die nicht durch heimliche Zweifel oder gar Gewissensbisse beeinträchtigt sein durfte, mit natürlichster Unbefangenheit spielte, und andererseits hielt er sich selbst für alle Fälle einigermaßen rückenfrei. Die Visitation ging zur Zufriedenheit beider Theile vorüber. Nachdem die geschäftliche Seite des Besuchs erledigt war, legte der Decan seine Amtsmiene ab, um der Frau Pfarrerin die Aufwartung zu machen. Trotz seiner Versicherung, daß er nur die Kirche und Schule, nicht aber die Küche zu visitiren gekommen sei, mußte er einem altehrwürdigen Brauch zufolge ihre Einladung sich nur, daß dem geriebenen Kopfe in der Geschwindigkeit nichts Gescheidteres eingefallen sei. Aber gerade darum hieß er die Eulenspiegelei, von der er eine Probe halb und halb erwartet hatte, höchlich willkommen: denn sie verhalf ihm zu dem Tone, den er zu treffen wünschte. Er ging also mit Vergnügen in die Falle und stellte sich, als ob er die Mystification blindlings glaube, hielt es jedoch für gerathen, die Pfarrerin, deren er sich zu seiner Operation zu bedienen gedachte, nicht in die Tiefe der Verwicklung und auf den Boden seines Planes blicken zu lassen. Indem er ihr daher die Charakteristik des Decans mittheilte, verschwieg er, daß der Urheber derselben ein Duzfreund des Geschilderten sei, der sich etwas gegen Diesen erlauben konnte, und brachte so die sonst recht leidlich kluge Frau dahin, daß sie seinen scheinbaren Glauben in Wirklichkeit theilte. Hiedurch gewann er einerseits, daß sie ihre Rolle, die nicht durch heimliche Zweifel oder gar Gewissensbisse beeinträchtigt sein durfte, mit natürlichster Unbefangenheit spielte, und andererseits hielt er sich selbst für alle Fälle einigermaßen rückenfrei. Die Visitation ging zur Zufriedenheit beider Theile vorüber. Nachdem die geschäftliche Seite des Besuchs erledigt war, legte der Decan seine Amtsmiene ab, um der Frau Pfarrerin die Aufwartung zu machen. Trotz seiner Versicherung, daß er nur die Kirche und Schule, nicht aber die Küche zu visitiren gekommen sei, mußte er einem altehrwürdigen Brauch zufolge ihre Einladung <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0022"/> sich nur, daß dem geriebenen Kopfe in der Geschwindigkeit nichts Gescheidteres eingefallen sei. Aber gerade darum hieß er die Eulenspiegelei, von der er eine Probe halb und halb erwartet hatte, höchlich willkommen: denn sie verhalf ihm zu dem Tone, den er zu treffen wünschte. Er ging also mit Vergnügen in die Falle und stellte sich, als ob er die Mystification blindlings glaube, hielt es jedoch für gerathen, die Pfarrerin, deren er sich zu seiner Operation zu bedienen gedachte, nicht in die Tiefe der Verwicklung und auf den Boden seines Planes blicken zu lassen. Indem er ihr daher die Charakteristik des Decans mittheilte, verschwieg er, daß der Urheber derselben ein Duzfreund des Geschilderten sei, der sich etwas gegen Diesen erlauben konnte, und brachte so die sonst recht leidlich kluge Frau dahin, daß sie seinen scheinbaren Glauben in Wirklichkeit theilte. Hiedurch gewann er einerseits, daß sie ihre Rolle, die nicht durch heimliche Zweifel oder gar Gewissensbisse beeinträchtigt sein durfte, mit natürlichster Unbefangenheit spielte, und andererseits hielt er sich selbst für alle Fälle einigermaßen rückenfrei.</p><lb/> <p>Die Visitation ging zur Zufriedenheit beider Theile vorüber. Nachdem die geschäftliche Seite des Besuchs erledigt war, legte der Decan seine Amtsmiene ab, um der Frau Pfarrerin die Aufwartung zu machen. Trotz seiner Versicherung, daß er nur die Kirche und Schule, nicht aber die Küche zu visitiren gekommen sei, mußte er einem altehrwürdigen Brauch zufolge ihre Einladung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
sich nur, daß dem geriebenen Kopfe in der Geschwindigkeit nichts Gescheidteres eingefallen sei. Aber gerade darum hieß er die Eulenspiegelei, von der er eine Probe halb und halb erwartet hatte, höchlich willkommen: denn sie verhalf ihm zu dem Tone, den er zu treffen wünschte. Er ging also mit Vergnügen in die Falle und stellte sich, als ob er die Mystification blindlings glaube, hielt es jedoch für gerathen, die Pfarrerin, deren er sich zu seiner Operation zu bedienen gedachte, nicht in die Tiefe der Verwicklung und auf den Boden seines Planes blicken zu lassen. Indem er ihr daher die Charakteristik des Decans mittheilte, verschwieg er, daß der Urheber derselben ein Duzfreund des Geschilderten sei, der sich etwas gegen Diesen erlauben konnte, und brachte so die sonst recht leidlich kluge Frau dahin, daß sie seinen scheinbaren Glauben in Wirklichkeit theilte. Hiedurch gewann er einerseits, daß sie ihre Rolle, die nicht durch heimliche Zweifel oder gar Gewissensbisse beeinträchtigt sein durfte, mit natürlichster Unbefangenheit spielte, und andererseits hielt er sich selbst für alle Fälle einigermaßen rückenfrei.
Die Visitation ging zur Zufriedenheit beider Theile vorüber. Nachdem die geschäftliche Seite des Besuchs erledigt war, legte der Decan seine Amtsmiene ab, um der Frau Pfarrerin die Aufwartung zu machen. Trotz seiner Versicherung, daß er nur die Kirche und Schule, nicht aber die Küche zu visitiren gekommen sei, mußte er einem altehrwürdigen Brauch zufolge ihre Einladung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |