Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit dem Gefühle herber Wehmuth übergebe ich hier den Lesern unseres Novellenschatzes eine hochergötzliche, vom seltensten und echtesten Humor übersprudelnde Erzählung. Sie stammt aus der Feder meines theuren Freundes, des Mitherausgebers dieser Sammlung, der die Freude nicht mehr erleben sollte, diesen seinen Liebling, der in einer wenig verbreiteten Sammlung kleinerer Erzählungen bisher so gut wie verschollen war, nun in größeren Kreisen eingeführt und gewürdigt zu sehen. Ein plötzlicher Herzschlag hat nach wenigen Tagen der Krankheit Hermann Kurz am 10. Oct. hingerafft, im noch nicht vollendeten sechzigsten Jahre seines Lebens, das in Wahrheit "Mühe und Arbeit" gewesen, und dessen herandämmernder Abend ihn durch mancherlei Freuden und eine sorgenlosere Existenz für lange Kämpfe zu entschädigen versprach.

Als der Aeltere von zwei Brüdern wurde Hermann Kurz am 30. Nov. 1813 in Reutlingen geboren. Sein Vater, Gottl. David Kurz, der als ein Mann von geistiger Begabung, lebhaftem Humor und freisinnigem Charakter geschildert wird, war dort als Kaufmann ansässig, verlor in unglücklichen Unternehmungen sein Vermögen und wurde den Seinen durch einen frühen Tod entrissen. Unter der Leitung der trefflichen Mutter blieb der Sohn bis zur Vollendung seiner Schuljahre, worauf er nach Maulbronn in das niedere Seminar und von dort in das Stift zu Tübingen kam. Er selbst hatte die Theologie zu seinem Studium gewählt. Bald aber gerieth er mit dem klösterlichen Zwang, dem er sich fügen sollte, in heftigen Widerstreit, und da es zu jener Zeit noch nicht möglich war, freiwillig wieder auszutreten, brachte er es durch satirische Ausfälle, beißende Epigramme und Verletzungen der strengen Regel endlich dahin, daß man ihn aus dem Stifte wies.

Seine Mutter war schon vor Jahren gestorben, den Rest seines kleinen Vermögens wandte er dazu an, in Stutt-

Mit dem Gefühle herber Wehmuth übergebe ich hier den Lesern unseres Novellenschatzes eine hochergötzliche, vom seltensten und echtesten Humor übersprudelnde Erzählung. Sie stammt aus der Feder meines theuren Freundes, des Mitherausgebers dieser Sammlung, der die Freude nicht mehr erleben sollte, diesen seinen Liebling, der in einer wenig verbreiteten Sammlung kleinerer Erzählungen bisher so gut wie verschollen war, nun in größeren Kreisen eingeführt und gewürdigt zu sehen. Ein plötzlicher Herzschlag hat nach wenigen Tagen der Krankheit Hermann Kurz am 10. Oct. hingerafft, im noch nicht vollendeten sechzigsten Jahre seines Lebens, das in Wahrheit „Mühe und Arbeit“ gewesen, und dessen herandämmernder Abend ihn durch mancherlei Freuden und eine sorgenlosere Existenz für lange Kämpfe zu entschädigen versprach.

Als der Aeltere von zwei Brüdern wurde Hermann Kurz am 30. Nov. 1813 in Reutlingen geboren. Sein Vater, Gottl. David Kurz, der als ein Mann von geistiger Begabung, lebhaftem Humor und freisinnigem Charakter geschildert wird, war dort als Kaufmann ansässig, verlor in unglücklichen Unternehmungen sein Vermögen und wurde den Seinen durch einen frühen Tod entrissen. Unter der Leitung der trefflichen Mutter blieb der Sohn bis zur Vollendung seiner Schuljahre, worauf er nach Maulbronn in das niedere Seminar und von dort in das Stift zu Tübingen kam. Er selbst hatte die Theologie zu seinem Studium gewählt. Bald aber gerieth er mit dem klösterlichen Zwang, dem er sich fügen sollte, in heftigen Widerstreit, und da es zu jener Zeit noch nicht möglich war, freiwillig wieder auszutreten, brachte er es durch satirische Ausfälle, beißende Epigramme und Verletzungen der strengen Regel endlich dahin, daß man ihn aus dem Stifte wies.

Seine Mutter war schon vor Jahren gestorben, den Rest seines kleinen Vermögens wandte er dazu an, in Stutt-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0005"/>
      <div type="preface">
        <p>Mit dem Gefühle herber Wehmuth übergebe ich hier den Lesern unseres Novellenschatzes             eine hochergötzliche, vom seltensten und echtesten Humor übersprudelnde Erzählung. Sie             stammt aus der Feder meines theuren Freundes, des Mitherausgebers dieser Sammlung, der             die Freude nicht mehr erleben sollte, diesen seinen Liebling, der in einer wenig             verbreiteten Sammlung kleinerer Erzählungen bisher so gut wie verschollen war, nun in             größeren Kreisen eingeführt und gewürdigt zu sehen. Ein plötzlicher Herzschlag hat nach             wenigen Tagen der Krankheit Hermann Kurz am 10. Oct. hingerafft, im noch nicht             vollendeten sechzigsten Jahre seines Lebens, das in Wahrheit &#x201E;Mühe und Arbeit&#x201C; gewesen,             und dessen herandämmernder Abend ihn durch mancherlei Freuden und eine sorgenlosere             Existenz für lange Kämpfe zu entschädigen versprach.</p><lb/>
        <p>Als der Aeltere von zwei Brüdern wurde Hermann Kurz am 30. Nov. 1813 in Reutlingen             geboren. Sein Vater, Gottl. David Kurz, der als ein Mann von geistiger Begabung,             lebhaftem Humor und freisinnigem Charakter geschildert wird, war dort als Kaufmann             ansässig, verlor in unglücklichen Unternehmungen sein Vermögen und wurde den Seinen             durch einen frühen Tod entrissen. Unter der Leitung der trefflichen Mutter blieb der             Sohn bis zur Vollendung seiner Schuljahre, worauf er nach Maulbronn in das niedere             Seminar und von dort in das Stift zu Tübingen kam. Er selbst hatte die Theologie zu             seinem Studium gewählt. Bald aber gerieth er mit dem klösterlichen Zwang, dem er sich             fügen sollte, in heftigen Widerstreit, und da es zu jener Zeit noch nicht möglich war,             freiwillig wieder auszutreten, brachte er es durch satirische Ausfälle, beißende             Epigramme und Verletzungen der strengen Regel endlich dahin, daß man ihn aus dem Stifte             wies.</p><lb/>
        <p>Seine Mutter war schon vor Jahren gestorben, den Rest seines kleinen Vermögens wandte er             dazu an, in Stutt-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0005] Mit dem Gefühle herber Wehmuth übergebe ich hier den Lesern unseres Novellenschatzes eine hochergötzliche, vom seltensten und echtesten Humor übersprudelnde Erzählung. Sie stammt aus der Feder meines theuren Freundes, des Mitherausgebers dieser Sammlung, der die Freude nicht mehr erleben sollte, diesen seinen Liebling, der in einer wenig verbreiteten Sammlung kleinerer Erzählungen bisher so gut wie verschollen war, nun in größeren Kreisen eingeführt und gewürdigt zu sehen. Ein plötzlicher Herzschlag hat nach wenigen Tagen der Krankheit Hermann Kurz am 10. Oct. hingerafft, im noch nicht vollendeten sechzigsten Jahre seines Lebens, das in Wahrheit „Mühe und Arbeit“ gewesen, und dessen herandämmernder Abend ihn durch mancherlei Freuden und eine sorgenlosere Existenz für lange Kämpfe zu entschädigen versprach. Als der Aeltere von zwei Brüdern wurde Hermann Kurz am 30. Nov. 1813 in Reutlingen geboren. Sein Vater, Gottl. David Kurz, der als ein Mann von geistiger Begabung, lebhaftem Humor und freisinnigem Charakter geschildert wird, war dort als Kaufmann ansässig, verlor in unglücklichen Unternehmungen sein Vermögen und wurde den Seinen durch einen frühen Tod entrissen. Unter der Leitung der trefflichen Mutter blieb der Sohn bis zur Vollendung seiner Schuljahre, worauf er nach Maulbronn in das niedere Seminar und von dort in das Stift zu Tübingen kam. Er selbst hatte die Theologie zu seinem Studium gewählt. Bald aber gerieth er mit dem klösterlichen Zwang, dem er sich fügen sollte, in heftigen Widerstreit, und da es zu jener Zeit noch nicht möglich war, freiwillig wieder auszutreten, brachte er es durch satirische Ausfälle, beißende Epigramme und Verletzungen der strengen Regel endlich dahin, daß man ihn aus dem Stifte wies. Seine Mutter war schon vor Jahren gestorben, den Rest seines kleinen Vermögens wandte er dazu an, in Stutt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/5
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/5>, abgerufen am 03.12.2024.