Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.entgegen streckte, um mit beiden Händen nach dem Concept seiner Ausarbeitungen zu greifen, und als ihre Finger sich berührten, da konnte man den kurzen wohlgenährten Fingern des Jungen den ernstlichen Vorsatz ansehen, dereinst eben so dick und fleischig zu werden, wie die Finger des Alten waren. Zuerst das Arithmetische! sagte dieser, in dem Sudelhefte blätternd. Um das Uebrige ist mir nicht bang, aber das Rechnen war nie deine starke Seite. Voila. "Die Dauer des dreißigjährigen und dann die des siebenjährigen Krieges absteigend in Monaten, Wochen und Tagen zu berechnen" -- etwas captiös, doch nicht übermenschlich! Richtig, ich hab' mir's gleich gedacht: du rechnest den Monat zu vier Wochen -- gelt? Freilich, sagte Wilhelm. Wie denn anders? Da bekommst du ja nur achtundvierzig Wochen aufs Jahr, bemerkte der Vater verdrießlich. Nun, es wird manchem Andern auch so gegangen sein, setzte er erleichtert hinzu. Aber halt -- was muß ich sehen! Seit wann hat die Woche acht Tage? Man redet ja immer von acht Tagen, wenn man eine Woche bezeichnen will, wendete Wilhelm ein. Der Pfarrer von A . . . berg ließ jenen gelinden Desperationslaut vernehmen, welcher hervorgebracht wird, wenn man ein Z ein paarmal hinter einander durch die Zähne einwärts zieht. Nach einer Pause stummen Kopfschüttelns sah er wieder in das entgegen streckte, um mit beiden Händen nach dem Concept seiner Ausarbeitungen zu greifen, und als ihre Finger sich berührten, da konnte man den kurzen wohlgenährten Fingern des Jungen den ernstlichen Vorsatz ansehen, dereinst eben so dick und fleischig zu werden, wie die Finger des Alten waren. Zuerst das Arithmetische! sagte dieser, in dem Sudelhefte blätternd. Um das Uebrige ist mir nicht bang, aber das Rechnen war nie deine starke Seite. Voila. „Die Dauer des dreißigjährigen und dann die des siebenjährigen Krieges absteigend in Monaten, Wochen und Tagen zu berechnen“ — etwas captiös, doch nicht übermenschlich! Richtig, ich hab' mir's gleich gedacht: du rechnest den Monat zu vier Wochen — gelt? Freilich, sagte Wilhelm. Wie denn anders? Da bekommst du ja nur achtundvierzig Wochen aufs Jahr, bemerkte der Vater verdrießlich. Nun, es wird manchem Andern auch so gegangen sein, setzte er erleichtert hinzu. Aber halt — was muß ich sehen! Seit wann hat die Woche acht Tage? Man redet ja immer von acht Tagen, wenn man eine Woche bezeichnen will, wendete Wilhelm ein. Der Pfarrer von A . . . berg ließ jenen gelinden Desperationslaut vernehmen, welcher hervorgebracht wird, wenn man ein Z ein paarmal hinter einander durch die Zähne einwärts zieht. Nach einer Pause stummen Kopfschüttelns sah er wieder in das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0072"/> entgegen streckte, um mit beiden Händen nach dem Concept seiner Ausarbeitungen zu greifen, und als ihre Finger sich berührten, da konnte man den kurzen wohlgenährten Fingern des Jungen den ernstlichen Vorsatz ansehen, dereinst eben so dick und fleischig zu werden, wie die Finger des Alten waren.</p><lb/> <p>Zuerst das Arithmetische! sagte dieser, in dem Sudelhefte blätternd. Um das Uebrige ist mir nicht bang, aber das Rechnen war nie deine starke Seite. Voila. „Die Dauer des dreißigjährigen und dann die des siebenjährigen Krieges absteigend in Monaten, Wochen und Tagen zu berechnen“ — etwas captiös, doch nicht übermenschlich! Richtig, ich hab' mir's gleich gedacht: du rechnest den Monat zu vier Wochen — gelt?</p><lb/> <p>Freilich, sagte Wilhelm. Wie denn anders?</p><lb/> <p>Da bekommst du ja nur achtundvierzig Wochen aufs Jahr, bemerkte der Vater verdrießlich. Nun, es wird manchem Andern auch so gegangen sein, setzte er erleichtert hinzu. Aber halt — was muß ich sehen! Seit wann hat die Woche acht Tage?</p><lb/> <p>Man redet ja immer von acht Tagen, wenn man eine Woche bezeichnen will, wendete Wilhelm ein.</p><lb/> <p>Der Pfarrer von A . . . berg ließ jenen gelinden Desperationslaut vernehmen, welcher hervorgebracht wird, wenn man ein Z ein paarmal hinter einander durch die Zähne einwärts zieht. Nach einer Pause stummen Kopfschüttelns sah er wieder in das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
entgegen streckte, um mit beiden Händen nach dem Concept seiner Ausarbeitungen zu greifen, und als ihre Finger sich berührten, da konnte man den kurzen wohlgenährten Fingern des Jungen den ernstlichen Vorsatz ansehen, dereinst eben so dick und fleischig zu werden, wie die Finger des Alten waren.
Zuerst das Arithmetische! sagte dieser, in dem Sudelhefte blätternd. Um das Uebrige ist mir nicht bang, aber das Rechnen war nie deine starke Seite. Voila. „Die Dauer des dreißigjährigen und dann die des siebenjährigen Krieges absteigend in Monaten, Wochen und Tagen zu berechnen“ — etwas captiös, doch nicht übermenschlich! Richtig, ich hab' mir's gleich gedacht: du rechnest den Monat zu vier Wochen — gelt?
Freilich, sagte Wilhelm. Wie denn anders?
Da bekommst du ja nur achtundvierzig Wochen aufs Jahr, bemerkte der Vater verdrießlich. Nun, es wird manchem Andern auch so gegangen sein, setzte er erleichtert hinzu. Aber halt — was muß ich sehen! Seit wann hat die Woche acht Tage?
Man redet ja immer von acht Tagen, wenn man eine Woche bezeichnen will, wendete Wilhelm ein.
Der Pfarrer von A . . . berg ließ jenen gelinden Desperationslaut vernehmen, welcher hervorgebracht wird, wenn man ein Z ein paarmal hinter einander durch die Zähne einwärts zieht. Nach einer Pause stummen Kopfschüttelns sah er wieder in das
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Zitationshilfe: | Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/72>, abgerufen am 16.07.2024. |