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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Inhaber nicht mehr wuchs. Dagegen waren die Arme dennoch sehr lang, und einen wundersamen Anblick gewährte es, wie er spinnenartig über ein halbes Dutzend Leute hinüber griff um dem Jungen sein Concept zu entreißen. Daß er dessen Vater war, konnte Niemand bezweifeln, der ihn ins Auge faßte: dieselben schwarzen Haare und Augen, derselbe felsige Knochenbau des Gesichts, nur daß die Ecken viel schärfer hervorstachen, die Furchen viel tiefer eingegraben waren, und endlich in der Miene derselbe dunkle Zug, nur noch weit mehr schattirt.

Wie ein Habicht war der Alte auf die Sudelblätter gestoßen, die der Junge nicht sowohl hergab, als vielmehr sich bloß wegnehmen ließ. Und wie der Raubvogel seine Beute erhascht, so hatte das Auge des Vaters auf den ersten Blick eine Stelle entdeckt, die ihn jeder weiteren Untersuchung zu entheben schien. Die Wirkung dieser Stelle war so stark, daß sie seine Fassung überwältigte. Er ließ die Hand mit den Blättern sinken. Unglücklicher! rief er mit lauter Stimme, faßte dem Jungen am Flügel, und -- fort war er mit ihm um die nächste Ecke.

Dieses Zwischenspiel hatte allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Auch der Pfarrer von A . . . berg, der eben mit seinem kritischen Geschäft zu Ende kam, hatte noch den ergreifenden Ausruf gehört und sah noch die beiden langen, steifen, hagern Gestalten um die Ecke verschwinden.

Inhaber nicht mehr wuchs. Dagegen waren die Arme dennoch sehr lang, und einen wundersamen Anblick gewährte es, wie er spinnenartig über ein halbes Dutzend Leute hinüber griff um dem Jungen sein Concept zu entreißen. Daß er dessen Vater war, konnte Niemand bezweifeln, der ihn ins Auge faßte: dieselben schwarzen Haare und Augen, derselbe felsige Knochenbau des Gesichts, nur daß die Ecken viel schärfer hervorstachen, die Furchen viel tiefer eingegraben waren, und endlich in der Miene derselbe dunkle Zug, nur noch weit mehr schattirt.

Wie ein Habicht war der Alte auf die Sudelblätter gestoßen, die der Junge nicht sowohl hergab, als vielmehr sich bloß wegnehmen ließ. Und wie der Raubvogel seine Beute erhascht, so hatte das Auge des Vaters auf den ersten Blick eine Stelle entdeckt, die ihn jeder weiteren Untersuchung zu entheben schien. Die Wirkung dieser Stelle war so stark, daß sie seine Fassung überwältigte. Er ließ die Hand mit den Blättern sinken. Unglücklicher! rief er mit lauter Stimme, faßte dem Jungen am Flügel, und — fort war er mit ihm um die nächste Ecke.

Dieses Zwischenspiel hatte allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Auch der Pfarrer von A . . . berg, der eben mit seinem kritischen Geschäft zu Ende kam, hatte noch den ergreifenden Ausruf gehört und sah noch die beiden langen, steifen, hagern Gestalten um die Ecke verschwinden.

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[0074] Inhaber nicht mehr wuchs. Dagegen waren die Arme dennoch sehr lang, und einen wundersamen Anblick gewährte es, wie er spinnenartig über ein halbes Dutzend Leute hinüber griff um dem Jungen sein Concept zu entreißen. Daß er dessen Vater war, konnte Niemand bezweifeln, der ihn ins Auge faßte: dieselben schwarzen Haare und Augen, derselbe felsige Knochenbau des Gesichts, nur daß die Ecken viel schärfer hervorstachen, die Furchen viel tiefer eingegraben waren, und endlich in der Miene derselbe dunkle Zug, nur noch weit mehr schattirt. Wie ein Habicht war der Alte auf die Sudelblätter gestoßen, die der Junge nicht sowohl hergab, als vielmehr sich bloß wegnehmen ließ. Und wie der Raubvogel seine Beute erhascht, so hatte das Auge des Vaters auf den ersten Blick eine Stelle entdeckt, die ihn jeder weiteren Untersuchung zu entheben schien. Die Wirkung dieser Stelle war so stark, daß sie seine Fassung überwältigte. Er ließ die Hand mit den Blättern sinken. Unglücklicher! rief er mit lauter Stimme, faßte dem Jungen am Flügel, und — fort war er mit ihm um die nächste Ecke. Dieses Zwischenspiel hatte allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Auch der Pfarrer von A . . . berg, der eben mit seinem kritischen Geschäft zu Ende kam, hatte noch den ergreifenden Ausruf gehört und sah noch die beiden langen, steifen, hagern Gestalten um die Ecke verschwinden.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/74>, abgerufen am 20.05.2024.