Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 9. Das Subject der Reichsgewalt. schaftlichen Organisation ist es genügend, die Einzelstaaten alsGliederungen des Gesammt-Organismus anzusehen; für die recht- lichen Beziehungen ist es erforderlich Bundesstaat und Einzel- staat als Subjecte von staatlichen Rechten und Pflichten aufzu- fassen. Bei der von Hänel gegebenen Begriffsbestimmung tritt es aber insbesondere nicht hervor, daß die dem Bundesstaat zu- kommenden Hoheitsrechte grade den Einzelstaaten gegenüber wirk- sam werden, daß die Bundesstaatsgewalt die Einzelstaaten, die- selben als Personen gedacht, beherrscht, ihnen Rechtsnormen giebt, welche ihr Handeln und Wirken rechtlich bestimmen, und regel- mäßig erst durch sie hindurch, also mittelbar, eine Beherrschung der einzelnen Staatsangehörigen bewirkt. Unter allen Schrift- stellern aber, welche bisher den Begriff des Bundesstaates festzu- stellen versucht haben, ist Hänel der hier vertretenen Ansicht am nächsten gekommen 1). Drittes Kapitel. Das Verhältniß des Reiches zu den Einzelstaaten. §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. Wenn man von dem Grundsatz ausgeht, daß der Staat eine 1) Neuerdings hat auch von Treitschke in einer Abhandlung in den
Preuß. Jahrb. Novemb. 1874 (Bd. 34 S. 513) sich von der herrschenden Ansicht über den Begriff des Bundesstaates losgesagt und anerkannt, daß die Souveränetät allein und ungetheilt dem Gesammtstaat, nicht den Gliedstaaten zusteht. Seine Ausführungen, die übrigens mehr auf historischen und politi- schen Erwägungen, als auf juristischen Deduktionen beruhen, beziehen sich aber vorzugsweise auf den Nordamerikanischen und Schweizerischen Bundesstaat. Für Deutschland versucht v. Treitschke den Begriff des Reiches im Gegensatz zum Bundesstaat zu construiren und diesen Gegensatz findet er in der prä- valirenden Macht Preußens und der monarchischen Spitze des Reiches in dem Könige von Preußen als Kaiser. So wenig verkannt werden kann, von wie überaus großer Bedeutung diese Thatsachen in politischer Hinsicht sind und dem Deutschen Reiche für alle seine Lebensfunktionen einen Charakter aufprägen, der von der Vereinigung der Nordamerikanischen Staaten und Schweizerischen Kantone weit verschieden ist, so ist doch für die staatsrechtliche Betrachtung festzuhalten, daß der Kaiser nicht Souverän, nicht Monarch des Reiches ist. §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. ſchaftlichen Organiſation iſt es genügend, die Einzelſtaaten alsGliederungen des Geſammt-Organismus anzuſehen; für die recht- lichen Beziehungen iſt es erforderlich Bundesſtaat und Einzel- ſtaat als Subjecte von ſtaatlichen Rechten und Pflichten aufzu- faſſen. Bei der von Hänel gegebenen Begriffsbeſtimmung tritt es aber insbeſondere nicht hervor, daß die dem Bundesſtaat zu- kommenden Hoheitsrechte grade den Einzelſtaaten gegenüber wirk- ſam werden, daß die Bundesſtaatsgewalt die Einzelſtaaten, die- ſelben als Perſonen gedacht, beherrſcht, ihnen Rechtsnormen giebt, welche ihr Handeln und Wirken rechtlich beſtimmen, und regel- mäßig erſt durch ſie hindurch, alſo mittelbar, eine Beherrſchung der einzelnen Staatsangehörigen bewirkt. Unter allen Schrift- ſtellern aber, welche bisher den Begriff des Bundesſtaates feſtzu- ſtellen verſucht haben, iſt Hänel der hier vertretenen Anſicht am nächſten gekommen 1). Drittes Kapitel. Das Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten. §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. Wenn man von dem Grundſatz ausgeht, daß der Staat eine 1) Neuerdings hat auch von Treitſchke in einer Abhandlung in den
Preuß. Jahrb. Novemb. 1874 (Bd. 34 S. 513) ſich von der herrſchenden Anſicht über den Begriff des Bundesſtaates losgeſagt und anerkannt, daß die Souveränetät allein und ungetheilt dem Geſammtſtaat, nicht den Gliedſtaaten zuſteht. Seine Ausführungen, die übrigens mehr auf hiſtoriſchen und politi- ſchen Erwägungen, als auf juriſtiſchen Deduktionen beruhen, beziehen ſich aber vorzugsweiſe auf den Nordamerikaniſchen und Schweizeriſchen Bundesſtaat. Für Deutſchland verſucht v. Treitſchke den Begriff des Reiches im Gegenſatz zum Bundesſtaat zu conſtruiren und dieſen Gegenſatz findet er in der prä- valirenden Macht Preußens und der monarchiſchen Spitze des Reiches in dem Könige von Preußen als Kaiſer. So wenig verkannt werden kann, von wie überaus großer Bedeutung dieſe Thatſachen in politiſcher Hinſicht ſind und dem Deutſchen Reiche für alle ſeine Lebensfunktionen einen Charakter aufprägen, der von der Vereinigung der Nordamerikaniſchen Staaten und Schweizeriſchen Kantone weit verſchieden iſt, ſo iſt doch für die ſtaatsrechtliche Betrachtung feſtzuhalten, daß der Kaiſer nicht Souverän, nicht Monarch des Reiches iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0105" n="85"/><fw place="top" type="header">§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.</fw><lb/> ſchaftlichen Organiſation iſt es genügend, die Einzelſtaaten als<lb/> Gliederungen des Geſammt-Organismus anzuſehen; für die <hi rendition="#g">recht-<lb/> lichen</hi> Beziehungen iſt es erforderlich Bundesſtaat und Einzel-<lb/> ſtaat als Subjecte von ſtaatlichen Rechten und Pflichten aufzu-<lb/> faſſen. Bei der von <hi rendition="#g">Hänel</hi> gegebenen Begriffsbeſtimmung tritt<lb/> es aber insbeſondere nicht hervor, daß die dem Bundesſtaat zu-<lb/> kommenden Hoheitsrechte grade den Einzelſtaaten gegenüber wirk-<lb/> ſam werden, daß die Bundesſtaatsgewalt die Einzelſtaaten, die-<lb/> ſelben als Perſonen gedacht, beherrſcht, ihnen Rechtsnormen giebt,<lb/> welche ihr Handeln und Wirken rechtlich beſtimmen, und regel-<lb/> mäßig erſt durch ſie hindurch, alſo mittelbar, eine Beherrſchung<lb/> der einzelnen Staatsangehörigen bewirkt. Unter allen Schrift-<lb/> ſtellern aber, welche bisher den Begriff des Bundesſtaates feſtzu-<lb/> ſtellen verſucht haben, iſt <hi rendition="#g">Hänel</hi> der hier vertretenen Anſicht am<lb/> nächſten gekommen <note place="foot" n="1)">Neuerdings hat auch <hi rendition="#g">von Treitſchke</hi> in einer Abhandlung in den<lb/> Preuß. Jahrb. Novemb. 1874 (Bd. 34 S. 513) ſich von der herrſchenden<lb/> Anſicht über den Begriff des Bundesſtaates losgeſagt und anerkannt, daß die<lb/> Souveränetät allein und ungetheilt dem Geſammtſtaat, nicht den Gliedſtaaten<lb/> zuſteht. Seine Ausführungen, die übrigens mehr auf hiſtoriſchen und politi-<lb/> ſchen Erwägungen, als auf juriſtiſchen Deduktionen beruhen, beziehen ſich aber<lb/> vorzugsweiſe auf den Nordamerikaniſchen und Schweizeriſchen Bundesſtaat.<lb/> Für Deutſchland verſucht v. Treitſchke den Begriff des <hi rendition="#g">Reiches</hi> im Gegenſatz<lb/> zum Bundesſtaat zu conſtruiren und dieſen Gegenſatz findet er in der prä-<lb/> valirenden Macht Preußens und der monarchiſchen Spitze des Reiches in dem<lb/> Könige von Preußen als Kaiſer. So wenig verkannt werden kann, von wie<lb/> überaus großer Bedeutung dieſe Thatſachen in politiſcher Hinſicht ſind und dem<lb/> Deutſchen Reiche für alle ſeine Lebensfunktionen einen Charakter aufprägen,<lb/> der von der Vereinigung der Nordamerikaniſchen Staaten und Schweizeriſchen<lb/> Kantone weit verſchieden iſt, ſo iſt doch für die ſtaatsrechtliche Betrachtung<lb/> feſtzuhalten, daß der Kaiſer nicht Souverän, nicht Monarch des Reiches iſt.</note>.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Drittes Kapitel.<lb/> Das Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <head>§. 9. <hi rendition="#b">Das Subject der Reichsgewalt.</hi></head><lb/> <p>Wenn man von dem Grundſatz ausgeht, daß der Staat eine<lb/> juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts iſt, ſo kann die Frage,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0105]
§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
ſchaftlichen Organiſation iſt es genügend, die Einzelſtaaten als
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lichen Beziehungen iſt es erforderlich Bundesſtaat und Einzel-
ſtaat als Subjecte von ſtaatlichen Rechten und Pflichten aufzu-
faſſen. Bei der von Hänel gegebenen Begriffsbeſtimmung tritt
es aber insbeſondere nicht hervor, daß die dem Bundesſtaat zu-
kommenden Hoheitsrechte grade den Einzelſtaaten gegenüber wirk-
ſam werden, daß die Bundesſtaatsgewalt die Einzelſtaaten, die-
ſelben als Perſonen gedacht, beherrſcht, ihnen Rechtsnormen giebt,
welche ihr Handeln und Wirken rechtlich beſtimmen, und regel-
mäßig erſt durch ſie hindurch, alſo mittelbar, eine Beherrſchung
der einzelnen Staatsangehörigen bewirkt. Unter allen Schrift-
ſtellern aber, welche bisher den Begriff des Bundesſtaates feſtzu-
ſtellen verſucht haben, iſt Hänel der hier vertretenen Anſicht am
nächſten gekommen 1).
Drittes Kapitel.
Das Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten.
§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
Wenn man von dem Grundſatz ausgeht, daß der Staat eine
juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts iſt, ſo kann die Frage,
1) Neuerdings hat auch von Treitſchke in einer Abhandlung in den
Preuß. Jahrb. Novemb. 1874 (Bd. 34 S. 513) ſich von der herrſchenden
Anſicht über den Begriff des Bundesſtaates losgeſagt und anerkannt, daß die
Souveränetät allein und ungetheilt dem Geſammtſtaat, nicht den Gliedſtaaten
zuſteht. Seine Ausführungen, die übrigens mehr auf hiſtoriſchen und politi-
ſchen Erwägungen, als auf juriſtiſchen Deduktionen beruhen, beziehen ſich aber
vorzugsweiſe auf den Nordamerikaniſchen und Schweizeriſchen Bundesſtaat.
Für Deutſchland verſucht v. Treitſchke den Begriff des Reiches im Gegenſatz
zum Bundesſtaat zu conſtruiren und dieſen Gegenſatz findet er in der prä-
valirenden Macht Preußens und der monarchiſchen Spitze des Reiches in dem
Könige von Preußen als Kaiſer. So wenig verkannt werden kann, von wie
überaus großer Bedeutung dieſe Thatſachen in politiſcher Hinſicht ſind und dem
Deutſchen Reiche für alle ſeine Lebensfunktionen einen Charakter aufprägen,
der von der Vereinigung der Nordamerikaniſchen Staaten und Schweizeriſchen
Kantone weit verſchieden iſt, ſo iſt doch für die ſtaatsrechtliche Betrachtung
feſtzuhalten, daß der Kaiſer nicht Souverän, nicht Monarch des Reiches iſt.
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