Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 9. Das Subject der Reichsgewalt. Im Gegensatz dazu hat sich die Anschauung geltend gemacht, Jede juristische Person ist nun aber an sich willens- und Im Deutschen Reich ist das letztere Prinzip adoptirt. Das staates gemäß, als Grundlage "das in den Einzelstaaten gruppirte (Nord)- Deutsche Volk an." Nach unserer Auffassung ist das deutsche Volk allerdings das letzte natürliche Substrat, jedoch zunächst und unmittelbar nur für die Einzelstaaten und erst diese, als öffentlichrechtliche Personen sind das Substrat des Reiches. An v. Gerber schließt sich fast wörtlich an v. Rönne S. 29, jedoch mit dem komischen Mißverständniß, daß er die Einzelstaaten des Reiches "als natürliche Grundlage des Deutschen Volkes" (!) erklärt. Vgl. ferner v. Held Verf. des d. Reichs 89 Nr. 50. 1) So namentlich Seydel Commentar S. 89, der die Bildung des
Reiches mit der Zusammenlegung mehrerer, verschiedenen Personen gehörigen Grundstücken zu einem einzigen Weidebezirk vergleicht. §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. Im Gegenſatz dazu hat ſich die Anſchauung geltend gemacht, Jede juriſtiſche Perſon iſt nun aber an ſich willens- und Im Deutſchen Reich iſt das letztere Prinzip adoptirt. Das ſtaates gemäß, als Grundlage „das in den Einzelſtaaten gruppirte (Nord)- Deutſche Volk an.“ Nach unſerer Auffaſſung iſt das deutſche Volk allerdings das letzte natürliche Subſtrat, jedoch zunächſt und unmittelbar nur für die Einzelſtaaten und erſt dieſe, als öffentlichrechtliche Perſonen ſind das Subſtrat des Reiches. An v. Gerber ſchließt ſich faſt wörtlich an v. Rönne S. 29, jedoch mit dem komiſchen Mißverſtändniß, daß er die Einzelſtaaten des Reiches „als natürliche Grundlage des Deutſchen Volkes“ (!) erklärt. Vgl. ferner v. Held Verf. des d. Reichs 89 Nr. 50. 1) So namentlich Seydel Commentar S. 89, der die Bildung des
Reiches mit der Zuſammenlegung mehrerer, verſchiedenen Perſonen gehörigen Grundſtücken zu einem einzigen Weidebezirk vergleicht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0107" n="87"/> <fw place="top" type="header">§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.</fw><lb/> <p>Im Gegenſatz dazu hat ſich die Anſchauung geltend gemacht,<lb/> daß den einzelnen Deutſchen Staaten als ſtaatsrechtliche Sozietät<lb/> verbunden gedacht, die Reichsgewalt zuſteht. Zu gemeinſchaftlicher<lb/> Ausübung beſtimmter, den einzelnen Staaten in ihrem Gebiete<lb/> zuſtehender Befugniſſe ſeien ſie einen Bund eingegangen und die<lb/> Reichsgewalt ſtehe ihnen daher gemeinſchaftlich zu nach Art des<lb/><hi rendition="#aq">Condominium pro indiviso</hi> oder der Ganerbſchaft <note place="foot" n="1)">So namentlich <hi rendition="#g">Seydel</hi> Commentar S. 89, der die Bildung des<lb/> Reiches mit der Zuſammenlegung mehrerer, verſchiedenen Perſonen gehörigen<lb/> Grundſtücken zu einem einzigen Weidebezirk vergleicht.</note>. Dieſe<lb/> Theorie leugnet überhaupt den ſtaatlichen Charakter des Reiches<lb/> und die Selbſtſtändigkeit der dem Reiche zuſtehenden Hoheitsrechte.<lb/> Für die Einzelſtaaten iſt ſie nur ſcheinbar günſtiger, denn die<lb/> Rechte der Einzelſtaaten ſind ihrem Inhalte nach keine größeren,<lb/> wenn man die Staaten als Mitglieder einer unauflöslichen So-<lb/> zietät oder wenn man ſie als Mitglieder einer juriſtiſchen Per-<lb/> ſon denkt.</p><lb/> <p>Jede juriſtiſche Perſon iſt nun aber an ſich willens- und<lb/> handlungsunfähig; ſie bedarf eines Vertreters, ſie bedarf willens-<lb/> und handlungsfähiger Organe, deren Willensakte und Rechtshand-<lb/> lungen als Wille und Rechtshandlungen der Perſon gelten. Dies<lb/> gilt auch vom Staat und folglich auch vom Reich. Dadurch<lb/> ergiebt ſich die Nothwendigkeit eines Trägers der ſtaatlichen Ge-<lb/> walt, der an und für ſich (von Natur) willens- und handlungs-<lb/> fähig iſt. Auch dieſer Träger der Staatsgewalt wird „Souverän“<lb/> genannt, indem er die dem Staat als gedachte Perſon zuſtehende<lb/> rechtliche Macht verwirklicht. Nach den, für unſere Kulturperiode<lb/> allein in Betracht kommenden Staatsformen kann dieſer Träger<lb/> der Staatsgewalt entweder ein Einzelner, ein Monarch ſein, oder<lb/> die Geſammtheit aller Mitglieder des Staates.</p><lb/> <p>Im Deutſchen Reich iſt das <hi rendition="#g">letztere</hi> Prinzip adoptirt. Das<lb/><note xml:id="seg2pn_11_2" prev="#seg2pn_11_1" place="foot" n="3)">ſtaates gemäß, als Grundlage „das in den Einzelſtaaten gruppirte (Nord)-<lb/> Deutſche Volk an.“ Nach unſerer Auffaſſung iſt das deutſche Volk allerdings<lb/> das letzte natürliche Subſtrat, jedoch zunächſt und unmittelbar nur für die<lb/> Einzelſtaaten und erſt dieſe, als öffentlichrechtliche Perſonen ſind das Subſtrat<lb/> des Reiches. An v. <hi rendition="#g">Gerber</hi> ſchließt ſich faſt wörtlich an v. <hi rendition="#g">Rönne</hi> S. 29,<lb/> jedoch mit dem komiſchen Mißverſtändniß, daß er die Einzelſtaaten des Reiches<lb/> „als natürliche Grundlage des Deutſchen Volkes“ (!) erklärt. Vgl. ferner v.<lb/><hi rendition="#g">Held</hi> Verf. des d. Reichs 89 Nr. 50.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0107]
§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
Im Gegenſatz dazu hat ſich die Anſchauung geltend gemacht,
daß den einzelnen Deutſchen Staaten als ſtaatsrechtliche Sozietät
verbunden gedacht, die Reichsgewalt zuſteht. Zu gemeinſchaftlicher
Ausübung beſtimmter, den einzelnen Staaten in ihrem Gebiete
zuſtehender Befugniſſe ſeien ſie einen Bund eingegangen und die
Reichsgewalt ſtehe ihnen daher gemeinſchaftlich zu nach Art des
Condominium pro indiviso oder der Ganerbſchaft 1). Dieſe
Theorie leugnet überhaupt den ſtaatlichen Charakter des Reiches
und die Selbſtſtändigkeit der dem Reiche zuſtehenden Hoheitsrechte.
Für die Einzelſtaaten iſt ſie nur ſcheinbar günſtiger, denn die
Rechte der Einzelſtaaten ſind ihrem Inhalte nach keine größeren,
wenn man die Staaten als Mitglieder einer unauflöslichen So-
zietät oder wenn man ſie als Mitglieder einer juriſtiſchen Per-
ſon denkt.
Jede juriſtiſche Perſon iſt nun aber an ſich willens- und
handlungsunfähig; ſie bedarf eines Vertreters, ſie bedarf willens-
und handlungsfähiger Organe, deren Willensakte und Rechtshand-
lungen als Wille und Rechtshandlungen der Perſon gelten. Dies
gilt auch vom Staat und folglich auch vom Reich. Dadurch
ergiebt ſich die Nothwendigkeit eines Trägers der ſtaatlichen Ge-
walt, der an und für ſich (von Natur) willens- und handlungs-
fähig iſt. Auch dieſer Träger der Staatsgewalt wird „Souverän“
genannt, indem er die dem Staat als gedachte Perſon zuſtehende
rechtliche Macht verwirklicht. Nach den, für unſere Kulturperiode
allein in Betracht kommenden Staatsformen kann dieſer Träger
der Staatsgewalt entweder ein Einzelner, ein Monarch ſein, oder
die Geſammtheit aller Mitglieder des Staates.
Im Deutſchen Reich iſt das letztere Prinzip adoptirt. Das
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1) So namentlich Seydel Commentar S. 89, der die Bildung des
Reiches mit der Zuſammenlegung mehrerer, verſchiedenen Perſonen gehörigen
Grundſtücken zu einem einzigen Weidebezirk vergleicht.
3) ſtaates gemäß, als Grundlage „das in den Einzelſtaaten gruppirte (Nord)-
Deutſche Volk an.“ Nach unſerer Auffaſſung iſt das deutſche Volk allerdings
das letzte natürliche Subſtrat, jedoch zunächſt und unmittelbar nur für die
Einzelſtaaten und erſt dieſe, als öffentlichrechtliche Perſonen ſind das Subſtrat
des Reiches. An v. Gerber ſchließt ſich faſt wörtlich an v. Rönne S. 29,
jedoch mit dem komiſchen Mißverſtändniß, daß er die Einzelſtaaten des Reiches
„als natürliche Grundlage des Deutſchen Volkes“ (!) erklärt. Vgl. ferner v.
Held Verf. des d. Reichs 89 Nr. 50.
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