Daraus rechtfertigt es sich vollkommen, daß die Landes- herren der Einzelstaaten ihre persönliche Souveränetät und alle damit verbundenen staatlichen und völkerrechtlichen Ehrenrechte ungeschmälert behalten haben und daß auch die Einzelstaaten als solche ebenfalls die völkerrechtlichen Ehrenrechte der souveränen Staaten noch jetzt ausüben. Gegen die Bezeichnung der Einzel- staaten als souverän ist daher vom staatsrechtlichen Standpunkt nichts einzuwenden, wenn man dabei nicht an das Verhältniß der Einzelstaaten dem Reiche gegenüber, sondern an das Verhält- niß der Mitbetheiligung der Einzelstaaten an der Reichs- gewalt denkt.
Von einer durchaus abweichenden Ansicht über das Subject der Reichsgewalt gehen mehrere Schriftsteller 1) aus, welche als "Träger der Reichsgewalt" den Kaiser, den Bundesrath und den Reichstag bezeichnen. Es bedarf aber kaum einer weiteren Aus- führung, daß hier der Träger der souveränen Gewalt mit den Organen der Reichs-Regierung verwechselt ist 2).
§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
Das Verhältniß der Unterordnung der Einzelstaaten unter die Reichsgewalt ist ein dreifach verschiedenes.
1) Für gewisse Hoheitsrechte sind die Einzelstaaten außer Funk- tion gesetzt; das Reich erfüllt seine Aufgaben mit seinen eigenen Hülfs- mitteln und macht die ihm zustehenden Rechte selbstständig und direct geltend. Das ist zunächst hinsichtlich der Gesetzgebung des Reiches der Fall, indem die Reichs-Gesetze mit begrifflicher Nothwendigkeit ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen er- halten. Aber auch auf einzelnen Gebieten der Staatsverwaltung, z. B. Consulatwesen, auswärtige Angelegenheiten, Marine, obere Post- und Telegraphenverwaltung u. s. w. hat das Reich sich von den Einzelstaaten völlig emancipirt und sich seinen eigenen Apparat zur Ausübung seiner Lebensthätigkeit geschaffen. Soweit dies ge-
1)Thudichum Verf.-Recht S. 101 fg. v. Mohl S. 50. Vgl. auch Pözl 106 Note 2.
2) Es ist ein ähnlicher Irrthum als wollte man in der Nordamerik. Union oder in der Schweiz nicht das Amerikanische Volk oder das Schweizer Volk, sondern die parlamentarischen Körperschaften und Präsidenten dieser Bundesstaaten als Träger der Souveränetät erklären.
§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
Daraus rechtfertigt es ſich vollkommen, daß die Landes- herren der Einzelſtaaten ihre perſönliche Souveränetät und alle damit verbundenen ſtaatlichen und völkerrechtlichen Ehrenrechte ungeſchmälert behalten haben und daß auch die Einzelſtaaten als ſolche ebenfalls die völkerrechtlichen Ehrenrechte der ſouveränen Staaten noch jetzt ausüben. Gegen die Bezeichnung der Einzel- ſtaaten als ſouverän iſt daher vom ſtaatsrechtlichen Standpunkt nichts einzuwenden, wenn man dabei nicht an das Verhältniß der Einzelſtaaten dem Reiche gegenüber, ſondern an das Verhält- niß der Mitbetheiligung der Einzelſtaaten an der Reichs- gewalt denkt.
Von einer durchaus abweichenden Anſicht über das Subject der Reichsgewalt gehen mehrere Schriftſteller 1) aus, welche als „Träger der Reichsgewalt“ den Kaiſer, den Bundesrath und den Reichstag bezeichnen. Es bedarf aber kaum einer weiteren Aus- führung, daß hier der Träger der ſouveränen Gewalt mit den Organen der Reichs-Regierung verwechſelt iſt 2).
§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
Das Verhältniß der Unterordnung der Einzelſtaaten unter die Reichsgewalt iſt ein dreifach verſchiedenes.
1) Für gewiſſe Hoheitsrechte ſind die Einzelſtaaten außer Funk- tion geſetzt; das Reich erfüllt ſeine Aufgaben mit ſeinen eigenen Hülfs- mitteln und macht die ihm zuſtehenden Rechte ſelbſtſtändig und direct geltend. Das iſt zunächſt hinſichtlich der Geſetzgebung des Reiches der Fall, indem die Reichs-Geſetze mit begrifflicher Nothwendigkeit ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen er- halten. Aber auch auf einzelnen Gebieten der Staatsverwaltung, z. B. Conſulatweſen, auswärtige Angelegenheiten, Marine, obere Poſt- und Telegraphenverwaltung u. ſ. w. hat das Reich ſich von den Einzelſtaaten völlig emancipirt und ſich ſeinen eigenen Apparat zur Ausübung ſeiner Lebensthätigkeit geſchaffen. Soweit dies ge-
1)Thudichum Verf.-Recht S. 101 fg. v. Mohl S. 50. Vgl. auch Pözl 106 Note 2.
2) Es iſt ein ähnlicher Irrthum als wollte man in der Nordamerik. Union oder in der Schweiz nicht das Amerikaniſche Volk oder das Schweizer Volk, ſondern die parlamentariſchen Körperſchaften und Präſidenten dieſer Bundesſtaaten als Träger der Souveränetät erklären.
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als ſolche ebenfalls die völkerrechtlichen Ehrenrechte der ſouveränen
Staaten noch jetzt ausüben. Gegen die Bezeichnung der Einzel-
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nichts einzuwenden, wenn man dabei nicht an das Verhältniß der
Einzelſtaaten dem Reiche gegenüber, ſondern an das Verhält-
niß der Mitbetheiligung der Einzelſtaaten an der Reichs-
gewalt denkt.
Von einer durchaus abweichenden Anſicht über das Subject
der Reichsgewalt gehen mehrere Schriftſteller 1) aus, welche als
„Träger der Reichsgewalt“ den Kaiſer, den Bundesrath und den
Reichstag bezeichnen. Es bedarf aber kaum einer weiteren Aus-
führung, daß hier der Träger der ſouveränen Gewalt mit den
Organen der Reichs-Regierung verwechſelt iſt 2).
§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
Das Verhältniß der Unterordnung der Einzelſtaaten unter die
Reichsgewalt iſt ein dreifach verſchiedenes.
1) Für gewiſſe Hoheitsrechte ſind die Einzelſtaaten außer Funk-
tion geſetzt; das Reich erfüllt ſeine Aufgaben mit ſeinen eigenen Hülfs-
mitteln und macht die ihm zuſtehenden Rechte ſelbſtſtändig und direct
geltend. Das iſt zunächſt hinſichtlich der Geſetzgebung des Reiches
der Fall, indem die Reichs-Geſetze mit begrifflicher Nothwendigkeit
ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen er-
halten. Aber auch auf einzelnen Gebieten der Staatsverwaltung,
z. B. Conſulatweſen, auswärtige Angelegenheiten, Marine, obere
Poſt- und Telegraphenverwaltung u. ſ. w. hat das Reich ſich von den
Einzelſtaaten völlig emancipirt und ſich ſeinen eigenen Apparat
zur Ausübung ſeiner Lebensthätigkeit geſchaffen. Soweit dies ge-
1) Thudichum Verf.-Recht S. 101 fg. v. Mohl S. 50. Vgl. auch
Pözl 106 Note 2.
2) Es iſt ein ähnlicher Irrthum als wollte man in der Nordamerik.
Union oder in der Schweiz nicht das Amerikaniſche Volk oder das Schweizer
Volk, ſondern die parlamentariſchen Körperſchaften und Präſidenten dieſer
Bundesſtaaten als Träger der Souveränetät erklären.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/114>, abgerufen am 21.11.2024.
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