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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
Moment, sondern man verliert darüber das Wesen der Sache ganz
aus den Augen, indem man vergißt, daß es sich um obrigkeit-
liche
Funktionen, um die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte
handelt.

Gneist unterscheidet das System des obrigkeitlichen Self-
governments und das System der wirthschaftlichen Selbst-
verwaltung. Im Sinne des Selfgovernments, welches der eng-
lischen Parlamentsverfassung zu Grunde liegt, in dem Sinne des
älteren, ungetrübten Verfassungsrechts sind Gegenstände der Selbst-
verwaltung nach Gneist's Worten (Preuß. Kreis-Ordn. S. 9., Self-
government
, Communalverf. und Verwaltungsger. in England
3. Aufl. S. 882): "nicht eigene Rechte, nicht gesellschaftliche In-
teressen, sondern die staatlichen Funktionen der innern Landesver-
waltung; der Geschworenendienst, die Verwaltung der Sicherheits-
und Wohlfahrtspolizei, die Militäraushebungen und das Landwehr-
system, die Armen- Schul- und Wegeverwaltung, die Erhebung
und Verwaltung der Communalsteuern und des communalen Stamm-
vermögens, wo ein solches vorhanden -- doch so, daß alle Ver-
mögensverwaltung hier nur als Mittel zum Zweck der Erfüllung
staatlicher Pflichten erscheint. Dieser Umfang der Selbstverwaltung
ergiebt sich aus der Natur der Staatsgeschäfte. Es sind
die Functionen der örtlich thätigen Staatsgewalt,
die sich zur Handhabung im Nachbarverbande eignen" 1).

Im Gegensatz hierzu construirt Gneist ein "System der
wirthschaftlichen Selbstverwaltung," welches "eine örtliche Gruppi-
rung von Interessen" bedeute und welches seinen Ausdruck in ge-
wählten Localvertretungen und in der Verwaltung durch besoldete
Unterbeamte der letzern finde. Gegenstände dieser Selbstverwaltung
sind nach Gneist (Communalverf. S. 941) nicht die Funktionen des
örtlich thätigen Staats, sondern die wirthschaftlichen In-
teressen
des Verbandes: an erster Stelle die Verwaltung des
eigenen Vermögens, sodann die Armenpflege, die Gesundheitspflege,
Wegeverwaltung, die Besorgung des örtlichen Polizeidienstes. Die
"eigentlichen" Gegenstände des selfgovernment dagegen: der Ge-
schworenendienst, das Decernat der Sicherheits- und Wohlfahrts-

1) Vgl. auch die anschauliche Darstellung in Gneist's Verwaltung, Ju-
stiz, Rechtsweg S. 95 ff.

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
Moment, ſondern man verliert darüber das Weſen der Sache ganz
aus den Augen, indem man vergißt, daß es ſich um obrigkeit-
liche
Funktionen, um die Ausübung ſtaatlicher Hoheitsrechte
handelt.

Gneiſt unterſcheidet das Syſtem des obrigkeitlichen Self-
governments und das Syſtem der wirthſchaftlichen Selbſt-
verwaltung. Im Sinne des Selfgovernments, welches der eng-
liſchen Parlamentsverfaſſung zu Grunde liegt, in dem Sinne des
älteren, ungetrübten Verfaſſungsrechts ſind Gegenſtände der Selbſt-
verwaltung nach Gneiſt’s Worten (Preuß. Kreis-Ordn. S. 9., Self-
government
, Communalverf. und Verwaltungsger. in England
3. Aufl. S. 882): „nicht eigene Rechte, nicht geſellſchaftliche In-
tereſſen, ſondern die ſtaatlichen Funktionen der innern Landesver-
waltung; der Geſchworenendienſt, die Verwaltung der Sicherheits-
und Wohlfahrtspolizei, die Militäraushebungen und das Landwehr-
ſyſtem, die Armen- Schul- und Wegeverwaltung, die Erhebung
und Verwaltung der Communalſteuern und des communalen Stamm-
vermögens, wo ein ſolches vorhanden — doch ſo, daß alle Ver-
mögensverwaltung hier nur als Mittel zum Zweck der Erfüllung
ſtaatlicher Pflichten erſcheint. Dieſer Umfang der Selbſtverwaltung
ergiebt ſich aus der Natur der Staatsgeſchäfte. Es ſind
die Functionen der örtlich thätigen Staatsgewalt,
die ſich zur Handhabung im Nachbarverbande eignen“ 1).

Im Gegenſatz hierzu conſtruirt Gneiſt ein „Syſtem der
wirthſchaftlichen Selbſtverwaltung,“ welches „eine örtliche Gruppi-
rung von Intereſſen“ bedeute und welches ſeinen Ausdruck in ge-
wählten Localvertretungen und in der Verwaltung durch beſoldete
Unterbeamte der letzern finde. Gegenſtände dieſer Selbſtverwaltung
ſind nach Gneiſt (Communalverf. S. 941) nicht die Funktionen des
örtlich thätigen Staats, ſondern die wirthſchaftlichen In-
tereſſen
des Verbandes: an erſter Stelle die Verwaltung des
eigenen Vermögens, ſodann die Armenpflege, die Geſundheitspflege,
Wegeverwaltung, die Beſorgung des örtlichen Polizeidienſtes. Die
„eigentlichen“ Gegenſtände des selfgovernment dagegen: der Ge-
ſchworenendienſt, das Decernat der Sicherheits- und Wohlfahrts-

1) Vgl. auch die anſchauliche Darſtellung in Gneiſt’s Verwaltung, Ju-
ſtiz, Rechtsweg S. 95 ff.
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[98/0118] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. Moment, ſondern man verliert darüber das Weſen der Sache ganz aus den Augen, indem man vergißt, daß es ſich um obrigkeit- liche Funktionen, um die Ausübung ſtaatlicher Hoheitsrechte handelt. Gneiſt unterſcheidet das Syſtem des obrigkeitlichen Self- governments und das Syſtem der wirthſchaftlichen Selbſt- verwaltung. Im Sinne des Selfgovernments, welches der eng- liſchen Parlamentsverfaſſung zu Grunde liegt, in dem Sinne des älteren, ungetrübten Verfaſſungsrechts ſind Gegenſtände der Selbſt- verwaltung nach Gneiſt’s Worten (Preuß. Kreis-Ordn. S. 9., Self- government, Communalverf. und Verwaltungsger. in England 3. Aufl. S. 882): „nicht eigene Rechte, nicht geſellſchaftliche In- tereſſen, ſondern die ſtaatlichen Funktionen der innern Landesver- waltung; der Geſchworenendienſt, die Verwaltung der Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, die Militäraushebungen und das Landwehr- ſyſtem, die Armen- Schul- und Wegeverwaltung, die Erhebung und Verwaltung der Communalſteuern und des communalen Stamm- vermögens, wo ein ſolches vorhanden — doch ſo, daß alle Ver- mögensverwaltung hier nur als Mittel zum Zweck der Erfüllung ſtaatlicher Pflichten erſcheint. Dieſer Umfang der Selbſtverwaltung ergiebt ſich aus der Natur der Staatsgeſchäfte. Es ſind die Functionen der örtlich thätigen Staatsgewalt, die ſich zur Handhabung im Nachbarverbande eignen“ 1). Im Gegenſatz hierzu conſtruirt Gneiſt ein „Syſtem der wirthſchaftlichen Selbſtverwaltung,“ welches „eine örtliche Gruppi- rung von Intereſſen“ bedeute und welches ſeinen Ausdruck in ge- wählten Localvertretungen und in der Verwaltung durch beſoldete Unterbeamte der letzern finde. Gegenſtände dieſer Selbſtverwaltung ſind nach Gneiſt (Communalverf. S. 941) nicht die Funktionen des örtlich thätigen Staats, ſondern die wirthſchaftlichen In- tereſſen des Verbandes: an erſter Stelle die Verwaltung des eigenen Vermögens, ſodann die Armenpflege, die Geſundheitspflege, Wegeverwaltung, die Beſorgung des örtlichen Polizeidienſtes. Die „eigentlichen“ Gegenſtände des selfgovernment dagegen: der Ge- ſchworenendienſt, das Decernat der Sicherheits- und Wohlfahrts- 1) Vgl. auch die anſchauliche Darſtellung in Gneiſt’s Verwaltung, Ju- ſtiz, Rechtsweg S. 95 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/118>, abgerufen am 21.11.2024.