Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 12. Die Existenz der Einzelstaaten. Reich für alle Zeit ein Bundesstaat sein und bleiben müsse. DieVerfassung gestattet ebenso wohl die Fortentwicklung in decentrali- sirender, föderalistischer Richtung als die Consolidirung zum Ein- heitsstaat 1). Aus dem Wesen des Bundesstaates ergibt sich jedoch in einer Völlig zweifellos ist es ferner, daß die Reichsverfassung jeden 1) Abweichender Ansicht scheint v. Gerber zu sein, indem er Grundz. S. 245 Note 2 eine Erweiterung der Kompetenz nur für zulässig erklärt, "sofern es sich nicht um eine grundsätzliche Aenderung der Bundesanlage (?) und Verschiebung der Gewaltverhältnisse (?), sondern nur um eine Entwicklung der schon in der Bundesverf. liegenden Prinzipien handelt." 2) Vgl Laband in Hirth's Annalen 1874 S. 1515. 3) G. Meyer Erörterungen S. 65 hat daher Unrecht, wenn er sagt, daß derjenige, der den Vertragscharakter der Bundesverfassung gänzlich leugnet, consequenter Weise der Reichsgewalt das Recht zusprechen müßte, die Existenz der einzelnen Staaten selbst gegen deren Willen -- durch Abänderungen des Artikels 1 -- aufzuheben. 4) Diesen Unterschied übersieht Riedel S. 8.
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten. Reich für alle Zeit ein Bundesſtaat ſein und bleiben müſſe. DieVerfaſſung geſtattet ebenſo wohl die Fortentwicklung in decentrali- ſirender, föderaliſtiſcher Richtung als die Conſolidirung zum Ein- heitsſtaat 1). Aus dem Weſen des Bundesſtaates ergibt ſich jedoch in einer Völlig zweifellos iſt es ferner, daß die Reichsverfaſſung jeden 1) Abweichender Anſicht ſcheint v. Gerber zu ſein, indem er Grundz. S. 245 Note 2 eine Erweiterung der Kompetenz nur für zuläſſig erklärt, „ſofern es ſich nicht um eine grundſätzliche Aenderung der Bundesanlage (?) und Verſchiebung der Gewaltverhältniſſe (?), ſondern nur um eine Entwicklung der ſchon in der Bundesverf. liegenden Prinzipien handelt.“ 2) Vgl Laband in Hirth’s Annalen 1874 S. 1515. 3) G. Meyer Erörterungen S. 65 hat daher Unrecht, wenn er ſagt, daß derjenige, der den Vertragscharakter der Bundesverfaſſung gänzlich leugnet, conſequenter Weiſe der Reichsgewalt das Recht zuſprechen müßte, die Exiſtenz der einzelnen Staaten ſelbſt gegen deren Willen — durch Abänderungen des Artikels 1 — aufzuheben. 4) Dieſen Unterſchied überſieht Riedel S. 8.
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§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
Reich für alle Zeit ein Bundesſtaat ſein und bleiben müſſe. Die
Verfaſſung geſtattet ebenſo wohl die Fortentwicklung in decentrali-
ſirender, föderaliſtiſcher Richtung als die Conſolidirung zum Ein-
heitsſtaat 1).
Aus dem Weſen des Bundesſtaates ergibt ſich jedoch in einer
andern Richtung eine Garantie der Exiſtenz der Einzelſtaaten und
zwar aus der prinzipiellen Gleichberechtigung aller Mitglieder 2).
Nach den oben S. 112 fg. entwickelten Grundſätzen muß es als
unzuläſſig erachtet werden, daß einzelnen Staaten ohne ihre Zu-
ſtimmung durch Reichsgeſetz Hoheitsrechte entzogen werden, welche den
übrigen Staaten verbleiben. Daraus folgt, daß um ſo weniger
einzelne Staaten ohne ihre Zuſtimmung ganz aufgehoben, etwa mit
andern vereinigt oder zu Reichsland erklärt, werden können 3).
Wenn die Frage daher etwa ſo geſtellt wird, ob die Exiſtenz des
zum Bunde gehörenden Staates X. durch die Reichsverfaſſung ge-
währleiſtet wird, ſo iſt dies in dem Sinne zu bejahen, daß dieſer
Staat als einzelner vor der Unterdrückung durch die Reichs-
gewalt allerdings geſchützt iſt; nicht aber in dem Sinne, daß der
Staat X. nicht gleichzeitig mit allen übrigen Bundes-
gliedern ſeine ſtaatliche Individualität verlieren und im Reichs-
ſtaat aufgehen könnte 4). Hiergegen haben die Staaten keinen andern
Schutz als den, daß 14 Stimmen im Bundesrath genügen, um
jede Kompetenz-Erweiterung des Reiches zu verhindern, und dieſer
Schutz dürfte ſich für ſehr lange Zeit als völlig genügend er-
weiſen.
Völlig zweifellos iſt es ferner, daß die Reichsverfaſſung jeden
Bundesſtaat vor gewaltſamen und widerrechtlichen Angriffen ſichert.
1) Abweichender Anſicht ſcheint v. Gerber zu ſein, indem er Grundz.
S. 245 Note 2 eine Erweiterung der Kompetenz nur für zuläſſig erklärt,
„ſofern es ſich nicht um eine grundſätzliche Aenderung der Bundesanlage (?)
und Verſchiebung der Gewaltverhältniſſe (?), ſondern nur um eine Entwicklung
der ſchon in der Bundesverf. liegenden Prinzipien handelt.“
2) Vgl Laband in Hirth’s Annalen 1874 S. 1515.
3) G. Meyer Erörterungen S. 65 hat daher Unrecht, wenn er ſagt,
daß derjenige, der den Vertragscharakter der Bundesverfaſſung gänzlich leugnet,
conſequenter Weiſe der Reichsgewalt das Recht zuſprechen müßte, die Exiſtenz
der einzelnen Staaten ſelbſt gegen deren Willen — durch Abänderungen des
Artikels 1 — aufzuheben.
4) Dieſen Unterſchied überſieht Riedel S. 8.
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