Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 12. Die Existenz der Einzelstaaten. rechtfertigt werden. Das Wort "ehemalig" kann keinen andernSinn haben als die Bezugnahme auf den Bundestag. Aus diesen Erwägungen folgt, daß Art. 6 der Reichsverf. Ergiebt sich sonach, daß die Reichsverfassung keine positive 1) Eingehende und interessante Erörterungen über diese Frage fanden mit Bezug auf den Accessions-Vertrag mit Waldeck in der Sitzung des Preuß. Abg.-Hauses vom 11. Dez. 1867 Statt. Der Reichskanzler bemerkte, (Stenogr. Ber. I. S. 338): "daß die Waldeck'sche Stimme und deren Bezeichnung, sowie die bisherige Stimmenzahl einen integrirenden Theil der Bundesverf. bilden, daß also um eine dieser Stimmen verschwinden zu lassen, eine Aenderung der Bundesverf. unvermeidlich wäre." Allein wenn die Stimme eines Staates auf einen andern mit dem Staate selbst übergeht, so "verschwindet" weder die Stimme noch ändert sich die Stimmenzahl. Auch die Bemerkungen des Reichs- kanzlers (ebendas. S. 341), daß ein Vertrag unzulässig sei, durch welchen ein Bundesfürst sich verpflichte, seine Stimme ruhen zu lassen, treffen nicht den Fall, daß zwei Staaten mit einander verschmelzen und in Folge dessen ein Fürst zwei oder mehrere Stimmen cumulire. 2) Tritt keine Aenderung des Art. 6 ein, so würde die Stimme des un- tergegangenen Staates auf den Staat übergehen, in welchen er einverleibt worden ist. Dadurch könnte allerdings ein immer noch sehr kleiner Staat 2 oder 3 Stimmen erlangen, oder Preußen eine große Stimmenzahl vereinigen, überhaupt das Verhältniß der Stimmführung verändert werden; dies ist aber nur die Folge davon, daß das Prinzip der Stimmenvertheilung von einer historischen Thatsache, der Stimmführung im Plenum des ehemaligen Deutschen Bundes entnommen ist. Thudichum S. 62 meint, daß bei einer Vereini- gung zweier Staaten die Stimme des einverleibten Staates wegfallen würde, giebt aber für seine Ansicht keinen Grund an. Unbestimmt äußert sich v. Mohl S. 10. Die richtige Ansicht hat der Abg. Waldeck im Preuß. Abg.-Hause am 11. Dez. 1867 entwickelt. (Stenogr. Ber. I. 343.) Laband, Reichsstaatsrecht. I. 9
§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten. rechtfertigt werden. Das Wort „ehemalig“ kann keinen andernSinn haben als die Bezugnahme auf den Bundestag. Aus dieſen Erwägungen folgt, daß Art. 6 der Reichsverf. Ergiebt ſich ſonach, daß die Reichsverfaſſung keine poſitive 1) Eingehende und intereſſante Erörterungen über dieſe Frage fanden mit Bezug auf den Acceſſions-Vertrag mit Waldeck in der Sitzung des Preuß. Abg.-Hauſes vom 11. Dez. 1867 Statt. Der Reichskanzler bemerkte, (Stenogr. Ber. I. S. 338): „daß die Waldeck’ſche Stimme und deren Bezeichnung, ſowie die bisherige Stimmenzahl einen integrirenden Theil der Bundesverf. bilden, daß alſo um eine dieſer Stimmen verſchwinden zu laſſen, eine Aenderung der Bundesverf. unvermeidlich wäre.“ Allein wenn die Stimme eines Staates auf einen andern mit dem Staate ſelbſt übergeht, ſo „verſchwindet“ weder die Stimme noch ändert ſich die Stimmenzahl. Auch die Bemerkungen des Reichs- kanzlers (ebendaſ. S. 341), daß ein Vertrag unzuläſſig ſei, durch welchen ein Bundesfürſt ſich verpflichte, ſeine Stimme ruhen zu laſſen, treffen nicht den Fall, daß zwei Staaten mit einander verſchmelzen und in Folge deſſen ein Fürſt zwei oder mehrere Stimmen cumulire. 2) Tritt keine Aenderung des Art. 6 ein, ſo würde die Stimme des un- tergegangenen Staates auf den Staat übergehen, in welchen er einverleibt worden iſt. Dadurch könnte allerdings ein immer noch ſehr kleiner Staat 2 oder 3 Stimmen erlangen, oder Preußen eine große Stimmenzahl vereinigen, überhaupt das Verhältniß der Stimmführung verändert werden; dies iſt aber nur die Folge davon, daß das Prinzip der Stimmenvertheilung von einer hiſtoriſchen Thatſache, der Stimmführung im Plenum des ehemaligen Deutſchen Bundes entnommen iſt. Thudichum S. 62 meint, daß bei einer Vereini- gung zweier Staaten die Stimme des einverleibten Staates wegfallen würde, giebt aber für ſeine Anſicht keinen Grund an. Unbeſtimmt äußert ſich v. Mohl S. 10. Die richtige Anſicht hat der Abg. Waldeck im Preuß. Abg.-Hauſe am 11. Dez. 1867 entwickelt. (Stenogr. Ber. I. 343.) Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 9
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§. 12. Die Exiſtenz der Einzelſtaaten.
rechtfertigt werden. Das Wort „ehemalig“ kann keinen andern
Sinn haben als die Bezugnahme auf den Bundestag.
Aus dieſen Erwägungen folgt, daß Art. 6 der Reichsverf.
in ſeinem dispoſitiven Beſtande eine Beſtimmung trifft über die
Stimmen der thatſächlich vorhandenen 25 Staaten, nicht aber eine
Anordnung über das Vorhandenſein der 25 in ihm ge-
nannten Staaten 1). Allerdings würde eine Aenderung in dem
vorhandenen Beſtande der deutſchen Bundesſtaaten eine formelle
Aenderung des Wortlautes des Art. 6 und möglicher Weiſe 2)
eine Modifizirung des dem Artikel zu Grunde liegenden Prinzips
der Stimmen-Vertheilung zur Folge haben; dagegen würde ſie
nicht in ihrer rechtlichen Gültigkeit von einer Aenderung des Art.
6 bedingt ſein.
Ergiebt ſich ſonach, daß die Reichsverfaſſung keine poſitive
Anordnung enthält, welche eine Aenderung in der Zahl und dem
Beſtande der Mitglieder des Reiches unterſagt, und iſt ebenſowenig
1) Eingehende und intereſſante Erörterungen über dieſe Frage fanden mit
Bezug auf den Acceſſions-Vertrag mit Waldeck in der Sitzung des Preuß.
Abg.-Hauſes vom 11. Dez. 1867 Statt. Der Reichskanzler bemerkte, (Stenogr.
Ber. I. S. 338): „daß die Waldeck’ſche Stimme und deren Bezeichnung, ſowie
die bisherige Stimmenzahl einen integrirenden Theil der Bundesverf. bilden,
daß alſo um eine dieſer Stimmen verſchwinden zu laſſen, eine Aenderung
der Bundesverf. unvermeidlich wäre.“ Allein wenn die Stimme eines Staates
auf einen andern mit dem Staate ſelbſt übergeht, ſo „verſchwindet“ weder die
Stimme noch ändert ſich die Stimmenzahl. Auch die Bemerkungen des Reichs-
kanzlers (ebendaſ. S. 341), daß ein Vertrag unzuläſſig ſei, durch welchen ein
Bundesfürſt ſich verpflichte, ſeine Stimme ruhen zu laſſen, treffen nicht den
Fall, daß zwei Staaten mit einander verſchmelzen und in Folge deſſen ein
Fürſt zwei oder mehrere Stimmen cumulire.
2) Tritt keine Aenderung des Art. 6 ein, ſo würde die Stimme des un-
tergegangenen Staates auf den Staat übergehen, in welchen er einverleibt
worden iſt. Dadurch könnte allerdings ein immer noch ſehr kleiner Staat 2
oder 3 Stimmen erlangen, oder Preußen eine große Stimmenzahl vereinigen,
überhaupt das Verhältniß der Stimmführung verändert werden; dies iſt aber
nur die Folge davon, daß das Prinzip der Stimmenvertheilung von einer
hiſtoriſchen Thatſache, der Stimmführung im Plenum des ehemaligen Deutſchen
Bundes entnommen iſt. Thudichum S. 62 meint, daß bei einer Vereini-
gung zweier Staaten die Stimme des einverleibten Staates wegfallen würde,
giebt aber für ſeine Anſicht keinen Grund an. Unbeſtimmt äußert ſich v. Mohl
S. 10. Die richtige Anſicht hat der Abg. Waldeck im Preuß. Abg.-Hauſe
am 11. Dez. 1867 entwickelt. (Stenogr. Ber. I. 343.)
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 9
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