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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 13. Begriff u. staatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.

Aus der verbindlichen Kraft der Reichsgesetze, ohne daß die-
selben Seitens der Einzelstaaten publizirt werden, folgt daher
Nichts für die Frage, ob die Individuen unmittelbar oder durch
Vermittlung der Einzelstaaten der Reichsgewalt unterworfen sind.
Ebenso wenig kann dies daraus gefolgert werden, daß das Reich
für einige Zweige seiner Thätigkeit einen eigenen Behörden-Appa-
rat mit Exekutiv-Gewalt hat. Denn wie wir oben näher aus-
geführt haben, widerspricht es dem Begriff des Bundesstaates
nicht, wenn die Centralgewalt einzelne Befugnisse der Selbst-
verwaltung den Einzelstaaten entzieht und sich selbst beilegt.

Geht man von der Anschauung aus, daß das Reich eine
staatliche Einigung der deutschen Staaten ist, so ergiebt sich
für das Verhältniß von Staatsbürgerrecht und Reichsbürgerrecht
Folgendes:

1. Das Staatsbürgerrecht ist das primäre Verhältniß; es
zieht ohne Weiteres das Reichsbürgerrecht nach sich. Wer Bür-
ger eines zum Reich gehörenden Staates ist, der bedarf keines
besonderen Erwerbsactes um das Reichsbürgerrecht zu erlangen,
er nimmt als Mitglied seines Staates am Reiche Theil.
Er kann aber nicht Reichs-Angehöriger sein ohne einem deutschen
Einzelstaat anzugehören; denn das unmittelbare Substrat des
Reiches sind die deutschen Staaten, nicht das deutsche Volk. (Siehe
oben S. 86 fg.) Das Staatsbürgerrecht ist daher die wesentliche
Voraussetzung zur Erlangung des Reichsindigenats. Es kann
Niemand Reichsbürger werden, der nicht in irgend einem deutschen
Staat die Staatsangehörigkeit erworben hat; es giebt keine Natu-
ralisation durch das Reich unmittelbar 1). Ebenso wenig kann die
Reichsangehörigkeit für denjenigen fortdauern, der aufgehört hat,
einem deutschen Staate anzugehören; man kann nicht das Reichs-
bürgerrecht sich vorbehalten, wenn man die Staatsangehörigkeit
aufgiebt oder verliert.

Reichsges. v. 1. Juni 1870 § 1. Die Bundesangehörig-
1) Bekanntlich besteht in der Nordamerikanischen Union das umgekehrte
Verhältniß. Das Bundesbürgerrecht ist das primäre Verhältniß; wer Bun-
desbürger ist erwirbt durch den Wohnsitz das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat.
Der Fremde kann demnach nur von der Union naturalisirt werden, nicht vom
Einzelstaat.
§. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.

Aus der verbindlichen Kraft der Reichsgeſetze, ohne daß die-
ſelben Seitens der Einzelſtaaten publizirt werden, folgt daher
Nichts für die Frage, ob die Individuen unmittelbar oder durch
Vermittlung der Einzelſtaaten der Reichsgewalt unterworfen ſind.
Ebenſo wenig kann dies daraus gefolgert werden, daß das Reich
für einige Zweige ſeiner Thätigkeit einen eigenen Behörden-Appa-
rat mit Exekutiv-Gewalt hat. Denn wie wir oben näher aus-
geführt haben, widerſpricht es dem Begriff des Bundesſtaates
nicht, wenn die Centralgewalt einzelne Befugniſſe der Selbſt-
verwaltung den Einzelſtaaten entzieht und ſich ſelbſt beilegt.

Geht man von der Anſchauung aus, daß das Reich eine
ſtaatliche Einigung der deutſchen Staaten iſt, ſo ergiebt ſich
für das Verhältniß von Staatsbürgerrecht und Reichsbürgerrecht
Folgendes:

1. Das Staatsbürgerrecht iſt das primäre Verhältniß; es
zieht ohne Weiteres das Reichsbürgerrecht nach ſich. Wer Bür-
ger eines zum Reich gehörenden Staates iſt, der bedarf keines
beſonderen Erwerbsactes um das Reichsbürgerrecht zu erlangen,
er nimmt als Mitglied ſeines Staates am Reiche Theil.
Er kann aber nicht Reichs-Angehöriger ſein ohne einem deutſchen
Einzelſtaat anzugehören; denn das unmittelbare Subſtrat des
Reiches ſind die deutſchen Staaten, nicht das deutſche Volk. (Siehe
oben S. 86 fg.) Das Staatsbürgerrecht iſt daher die weſentliche
Vorausſetzung zur Erlangung des Reichsindigenats. Es kann
Niemand Reichsbürger werden, der nicht in irgend einem deutſchen
Staat die Staatsangehörigkeit erworben hat; es giebt keine Natu-
raliſation durch das Reich unmittelbar 1). Ebenſo wenig kann die
Reichsangehörigkeit für denjenigen fortdauern, der aufgehört hat,
einem deutſchen Staate anzugehören; man kann nicht das Reichs-
bürgerrecht ſich vorbehalten, wenn man die Staatsangehörigkeit
aufgiebt oder verliert.

Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 § 1. Die Bundesangehörig-
1) Bekanntlich beſteht in der Nordamerikaniſchen Union das umgekehrte
Verhältniß. Das Bundesbürgerrecht iſt das primäre Verhältniß; wer Bun-
desbürger iſt erwirbt durch den Wohnſitz das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat.
Der Fremde kann demnach nur von der Union naturaliſirt werden, nicht vom
Einzelſtaat.
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[135/0155] §. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. Aus der verbindlichen Kraft der Reichsgeſetze, ohne daß die- ſelben Seitens der Einzelſtaaten publizirt werden, folgt daher Nichts für die Frage, ob die Individuen unmittelbar oder durch Vermittlung der Einzelſtaaten der Reichsgewalt unterworfen ſind. Ebenſo wenig kann dies daraus gefolgert werden, daß das Reich für einige Zweige ſeiner Thätigkeit einen eigenen Behörden-Appa- rat mit Exekutiv-Gewalt hat. Denn wie wir oben näher aus- geführt haben, widerſpricht es dem Begriff des Bundesſtaates nicht, wenn die Centralgewalt einzelne Befugniſſe der Selbſt- verwaltung den Einzelſtaaten entzieht und ſich ſelbſt beilegt. Geht man von der Anſchauung aus, daß das Reich eine ſtaatliche Einigung der deutſchen Staaten iſt, ſo ergiebt ſich für das Verhältniß von Staatsbürgerrecht und Reichsbürgerrecht Folgendes: 1. Das Staatsbürgerrecht iſt das primäre Verhältniß; es zieht ohne Weiteres das Reichsbürgerrecht nach ſich. Wer Bür- ger eines zum Reich gehörenden Staates iſt, der bedarf keines beſonderen Erwerbsactes um das Reichsbürgerrecht zu erlangen, er nimmt als Mitglied ſeines Staates am Reiche Theil. Er kann aber nicht Reichs-Angehöriger ſein ohne einem deutſchen Einzelſtaat anzugehören; denn das unmittelbare Subſtrat des Reiches ſind die deutſchen Staaten, nicht das deutſche Volk. (Siehe oben S. 86 fg.) Das Staatsbürgerrecht iſt daher die weſentliche Vorausſetzung zur Erlangung des Reichsindigenats. Es kann Niemand Reichsbürger werden, der nicht in irgend einem deutſchen Staat die Staatsangehörigkeit erworben hat; es giebt keine Natu- raliſation durch das Reich unmittelbar 1). Ebenſo wenig kann die Reichsangehörigkeit für denjenigen fortdauern, der aufgehört hat, einem deutſchen Staate anzugehören; man kann nicht das Reichs- bürgerrecht ſich vorbehalten, wenn man die Staatsangehörigkeit aufgiebt oder verliert. Reichsgeſ. v. 1. Juni 1870 § 1. Die Bundesangehörig- 1) Bekanntlich beſteht in der Nordamerikaniſchen Union das umgekehrte Verhältniß. Das Bundesbürgerrecht iſt das primäre Verhältniß; wer Bun- desbürger iſt erwirbt durch den Wohnſitz das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat. Der Fremde kann demnach nur von der Union naturaliſirt werden, nicht vom Einzelſtaat.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/155>, abgerufen am 24.11.2024.