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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung.
gelten." (Vgl. oben S. 177 Note 2.) Daher sind z. B. in Meck-
lenburg
landesfremde, aber reichsangehörige, Rittergutsbesitzer
von der Ausübung der Landstandschaft und der obrigkeitlichen, po-
lizeilichen oder gerichtsherrlichen Rechte ausgeschlossen 1).

Die Reichsangehörigkeit hat im Art. 3 demnach nur die Be-
deutung, daß sie eine Grenze setzt für die durch den Art. 3 be-
wirkte Modifikation der Partikularrechte. Die Reichsverfassung hat
die Bestimmungen der letzteren vollständig unangetastet gelassen in
Ansehung der nicht-reichsangehörigen Fremden; die Abänderung
der Partikularrechte kömmt nur den Angehörigen der Bundesstaaten
zu Gute 2).

Aus diesen Ausführungen ergiebt sich, daß die praktische Be-
deutung des Art. 3 in materieller Beziehung die Fortdauer der
Partikularrechte der Einzelstaaten zur wesentlichen Vor-
aussetzung hat und daß die praktische Bedeutung in demselben
Umfange aufhört, als die Ausbildung des gemeinen Rechts fort-
schreitet. Denn jedes Reichsgesetz hebt nach Art. 2 von selbst alle
collidirenden Landesgesetze auf und setzt der Autonomie der Ein-
zelstaaten eine unantastbare Schranke; es bedarf daher der beiden
im Art. 3 enthaltenen Rechtssätze nicht, um die in einem Reichs-
gesetz
enthaltenen Rechtsregeln gleichmäßig für alle Deutsche in
jedem Einzelstaate zur Geltung zu bringen.

Die Gesetze über die Freizügigkeit, über den Unterstützungs-
wohnsitz, über die Gewährung der Rechtshülfe, über die Beseitigung
der Doppelbesteuerung, die Gewerbeordnung, das Strafgesetzbuch
und die in Aussicht stehenden Prozeß-Ordnungen haben materiell
die Voraussetzungen und Bedingungen der Niederlassung, des Ge-
werbebetriebes, des Rechtsschutzes und der Rechtsverfolgung für alle
Deutsche und für das ganze Reichsgebiet einheitlich und gleichmäßig
geregelt und es ist daher in diesen Materien die rechtliche Möglich-

1) Mecklenb. Verordn. vom 28. Dezember 1872 §. 5. Böhlau
a. a. O. S. 30 Note 141. S. 33 Note 155.
2) Daß dies begrifflich etwas wesentlich Anderes ist als die Constituirung
subjectiver Rechte, bedarf wol keiner Ausführung. Der volksmäßige
Sprachgebrauch kann hier allerdings leicht irre führen. Wenn z. B. die für
Ehefrauen bestehenden Beschränkungen für Handelsfrauen aufgehoben werden,
so sagt man wol, die Handelsfrauen haben das Recht, selbständig Prozesse
zu führen u. s. w.; in Wahrheit aber handelt es sich nicht um Rechte, sondern
um Rechtsregeln.

§. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung.
gelten.“ (Vgl. oben S. 177 Note 2.) Daher ſind z. B. in Meck-
lenburg
landesfremde, aber reichsangehörige, Rittergutsbeſitzer
von der Ausübung der Landſtandſchaft und der obrigkeitlichen, po-
lizeilichen oder gerichtsherrlichen Rechte ausgeſchloſſen 1).

Die Reichsangehörigkeit hat im Art. 3 demnach nur die Be-
deutung, daß ſie eine Grenze ſetzt für die durch den Art. 3 be-
wirkte Modifikation der Partikularrechte. Die Reichsverfaſſung hat
die Beſtimmungen der letzteren vollſtändig unangetaſtet gelaſſen in
Anſehung der nicht-reichsangehörigen Fremden; die Abänderung
der Partikularrechte kömmt nur den Angehörigen der Bundesſtaaten
zu Gute 2).

Aus dieſen Ausführungen ergiebt ſich, daß die praktiſche Be-
deutung des Art. 3 in materieller Beziehung die Fortdauer der
Partikularrechte der Einzelſtaaten zur weſentlichen Vor-
ausſetzung hat und daß die praktiſche Bedeutung in demſelben
Umfange aufhört, als die Ausbildung des gemeinen Rechts fort-
ſchreitet. Denn jedes Reichsgeſetz hebt nach Art. 2 von ſelbſt alle
collidirenden Landesgeſetze auf und ſetzt der Autonomie der Ein-
zelſtaaten eine unantaſtbare Schranke; es bedarf daher der beiden
im Art. 3 enthaltenen Rechtsſätze nicht, um die in einem Reichs-
geſetz
enthaltenen Rechtsregeln gleichmäßig für alle Deutſche in
jedem Einzelſtaate zur Geltung zu bringen.

Die Geſetze über die Freizügigkeit, über den Unterſtützungs-
wohnſitz, über die Gewährung der Rechtshülfe, über die Beſeitigung
der Doppelbeſteuerung, die Gewerbeordnung, das Strafgeſetzbuch
und die in Ausſicht ſtehenden Prozeß-Ordnungen haben materiell
die Vorausſetzungen und Bedingungen der Niederlaſſung, des Ge-
werbebetriebes, des Rechtsſchutzes und der Rechtsverfolgung für alle
Deutſche und für das ganze Reichsgebiet einheitlich und gleichmäßig
geregelt und es iſt daher in dieſen Materien die rechtliche Möglich-

1) Mecklenb. Verordn. vom 28. Dezember 1872 §. 5. Böhlau
a. a. O. S. 30 Note 141. S. 33 Note 155.
2) Daß dies begrifflich etwas weſentlich Anderes iſt als die Conſtituirung
ſubjectiver Rechte, bedarf wol keiner Ausführung. Der volksmäßige
Sprachgebrauch kann hier allerdings leicht irre führen. Wenn z. B. die für
Ehefrauen beſtehenden Beſchränkungen für Handelsfrauen aufgehoben werden,
ſo ſagt man wol, die Handelsfrauen haben das Recht, ſelbſtändig Prozeſſe
zu führen u. ſ. w.; in Wahrheit aber handelt es ſich nicht um Rechte, ſondern
um Rechtsregeln.
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[180/0200] §. 19. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfaſſung. gelten.“ (Vgl. oben S. 177 Note 2.) Daher ſind z. B. in Meck- lenburg landesfremde, aber reichsangehörige, Rittergutsbeſitzer von der Ausübung der Landſtandſchaft und der obrigkeitlichen, po- lizeilichen oder gerichtsherrlichen Rechte ausgeſchloſſen 1). Die Reichsangehörigkeit hat im Art. 3 demnach nur die Be- deutung, daß ſie eine Grenze ſetzt für die durch den Art. 3 be- wirkte Modifikation der Partikularrechte. Die Reichsverfaſſung hat die Beſtimmungen der letzteren vollſtändig unangetaſtet gelaſſen in Anſehung der nicht-reichsangehörigen Fremden; die Abänderung der Partikularrechte kömmt nur den Angehörigen der Bundesſtaaten zu Gute 2). Aus dieſen Ausführungen ergiebt ſich, daß die praktiſche Be- deutung des Art. 3 in materieller Beziehung die Fortdauer der Partikularrechte der Einzelſtaaten zur weſentlichen Vor- ausſetzung hat und daß die praktiſche Bedeutung in demſelben Umfange aufhört, als die Ausbildung des gemeinen Rechts fort- ſchreitet. Denn jedes Reichsgeſetz hebt nach Art. 2 von ſelbſt alle collidirenden Landesgeſetze auf und ſetzt der Autonomie der Ein- zelſtaaten eine unantaſtbare Schranke; es bedarf daher der beiden im Art. 3 enthaltenen Rechtsſätze nicht, um die in einem Reichs- geſetz enthaltenen Rechtsregeln gleichmäßig für alle Deutſche in jedem Einzelſtaate zur Geltung zu bringen. Die Geſetze über die Freizügigkeit, über den Unterſtützungs- wohnſitz, über die Gewährung der Rechtshülfe, über die Beſeitigung der Doppelbeſteuerung, die Gewerbeordnung, das Strafgeſetzbuch und die in Ausſicht ſtehenden Prozeß-Ordnungen haben materiell die Vorausſetzungen und Bedingungen der Niederlaſſung, des Ge- werbebetriebes, des Rechtsſchutzes und der Rechtsverfolgung für alle Deutſche und für das ganze Reichsgebiet einheitlich und gleichmäßig geregelt und es iſt daher in dieſen Materien die rechtliche Möglich- 1) Mecklenb. Verordn. vom 28. Dezember 1872 §. 5. Böhlau a. a. O. S. 30 Note 141. S. 33 Note 155. 2) Daß dies begrifflich etwas weſentlich Anderes iſt als die Conſtituirung ſubjectiver Rechte, bedarf wol keiner Ausführung. Der volksmäßige Sprachgebrauch kann hier allerdings leicht irre führen. Wenn z. B. die für Ehefrauen beſtehenden Beſchränkungen für Handelsfrauen aufgehoben werden, ſo ſagt man wol, die Handelsfrauen haben das Recht, ſelbſtändig Prozeſſe zu führen u. ſ. w.; in Wahrheit aber handelt es ſich nicht um Rechte, ſondern um Rechtsregeln.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/200>, abgerufen am 24.11.2024.