§. 23. Die räumliche Begränzung der Kompetenz der Behörden.
eines einzelnen Staates, eine Bestimmung über die Abgränzung, Zusammenlegung oder Theilung der Verwaltungs-Districte u. dgl. entzogen. Es steht ihm frei, auf verfassungsmäßigem Wege den Bereich der Selbstverwaltung aller einzelnen Staaten einzuschrän- ken und den der Reichsverwaltung auszudehnen; aber nicht über die von ihm reichsgesetzlich gezogenen und für alle Staaten gelten- den Grenzen der Selbstverwaltung in die Gebietshoheit eines oder mehrerer einzelnen Staaten überzugreifen. Es wäre dies eine Verletzung von iura singulorum. (siehe oben S. 122 fg.)
Ebenso wenig aber können die Behörden eines Bundesstaates Hoheitsrechte auf dem Gebiete eines andern ausüben, selbst wenn die Ausübung dieser Hoheitsrechte für das ganze Bundesgebiet einheitlich geregelt ist. Denn die Landesbehörden sind eben auch hinsichtlich solcher Materien nicht Willens-Werkzeuge (Organe) des Reiches, sondern der Einzelstaaten. Dagegen ergiebt sich aus der bundesstaatlichen Einigung der Einzelstaaten die gegenseitige Pflicht zur Hülfe, insbesondere zur Erledigung ordnungsmäßig ergangener Requisitionen.
Diese Grundsätze sind reichsgesetzlich anerkannt und im Ein- zelnen geregelt für die Handhabung der Rechtspflege durch das Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869. Die territoriale Begränzung der Zuständigkeit der Landes- gerichte ist das Prinzip, von welchem dieses Gesetz ausgeht 1); aber die Gerichte des ganzen Bundesgebietes haben sich gegenseitig Rechtshülfe zu leisten, gleichviel ob das ersuchende und das er- suchte Gericht demselben Bundesstaate oder ob sie verschiedenen Bundesstaaten angehören. (§. 1 §. 20). Nur ausnahmsweise gestattet der §. 30 Abs. 1 Sicherheitsbeamten eines Bundesstaates, inbesondere Gendarmen, die einer strafbaren Handlung verdächti- gen Personen unmittelbar nach verübter That, oder unmittelbar nachdem dieselben betroffen worden sind, im Wege der Nach- eile bis in benachbarte Staatsgebiete zu verfolgen und daselbst festzunehmen.
Ganz ähnliche Grundsätze sanctionirt das Zollcartel vom 11. Mai 1833 Art. 2--6, dessen fortdauernde Geltung durch
§. 23. Die räumliche Begränzung der Kompetenz der Behörden.
eines einzelnen Staates, eine Beſtimmung über die Abgränzung, Zuſammenlegung oder Theilung der Verwaltungs-Diſtricte u. dgl. entzogen. Es ſteht ihm frei, auf verfaſſungsmäßigem Wege den Bereich der Selbſtverwaltung aller einzelnen Staaten einzuſchrän- ken und den der Reichsverwaltung auszudehnen; aber nicht über die von ihm reichsgeſetzlich gezogenen und für alle Staaten gelten- den Grenzen der Selbſtverwaltung in die Gebietshoheit eines oder mehrerer einzelnen Staaten überzugreifen. Es wäre dies eine Verletzung von iura singulorum. (ſiehe oben S. 122 fg.)
Ebenſo wenig aber können die Behörden eines Bundesſtaates Hoheitsrechte auf dem Gebiete eines andern ausüben, ſelbſt wenn die Ausübung dieſer Hoheitsrechte für das ganze Bundesgebiet einheitlich geregelt iſt. Denn die Landesbehörden ſind eben auch hinſichtlich ſolcher Materien nicht Willens-Werkzeuge (Organe) des Reiches, ſondern der Einzelſtaaten. Dagegen ergiebt ſich aus der bundesſtaatlichen Einigung der Einzelſtaaten die gegenſeitige Pflicht zur Hülfe, insbeſondere zur Erledigung ordnungsmäßig ergangener Requiſitionen.
Dieſe Grundſätze ſind reichsgeſetzlich anerkannt und im Ein- zelnen geregelt für die Handhabung der Rechtspflege durch das Geſetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe vom 21. Juni 1869. Die territoriale Begränzung der Zuſtändigkeit der Landes- gerichte iſt das Prinzip, von welchem dieſes Geſetz ausgeht 1); aber die Gerichte des ganzen Bundesgebietes haben ſich gegenſeitig Rechtshülfe zu leiſten, gleichviel ob das erſuchende und das er- ſuchte Gericht demſelben Bundesſtaate oder ob ſie verſchiedenen Bundesſtaaten angehören. (§. 1 §. 20). Nur ausnahmsweiſe geſtattet der §. 30 Abſ. 1 Sicherheitsbeamten eines Bundesſtaates, inbeſondere Gendarmen, die einer ſtrafbaren Handlung verdächti- gen Perſonen unmittelbar nach verübter That, oder unmittelbar nachdem dieſelben betroffen worden ſind, im Wege der Nach- eile bis in benachbarte Staatsgebiete zu verfolgen und daſelbſt feſtzunehmen.
Ganz ähnliche Grundſätze ſanctionirt das Zollcartel vom 11. Mai 1833 Art. 2—6, deſſen fortdauernde Geltung durch
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§. 23. Die räumliche Begränzung der Kompetenz der Behörden.
eines einzelnen Staates, eine Beſtimmung über die Abgränzung,
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entzogen. Es ſteht ihm frei, auf verfaſſungsmäßigem Wege den
Bereich der Selbſtverwaltung aller einzelnen Staaten einzuſchrän-
ken und den der Reichsverwaltung auszudehnen; aber nicht über
die von ihm reichsgeſetzlich gezogenen und für alle Staaten gelten-
den Grenzen der Selbſtverwaltung in die Gebietshoheit eines
oder mehrerer einzelnen Staaten überzugreifen. Es wäre dies
eine Verletzung von iura singulorum. (ſiehe oben S. 122 fg.)
Ebenſo wenig aber können die Behörden eines Bundesſtaates
Hoheitsrechte auf dem Gebiete eines andern ausüben, ſelbſt wenn
die Ausübung dieſer Hoheitsrechte für das ganze Bundesgebiet
einheitlich geregelt iſt. Denn die Landesbehörden ſind eben auch
hinſichtlich ſolcher Materien nicht Willens-Werkzeuge (Organe) des
Reiches, ſondern der Einzelſtaaten. Dagegen ergiebt ſich aus der
bundesſtaatlichen Einigung der Einzelſtaaten die gegenſeitige Pflicht
zur Hülfe, insbeſondere zur Erledigung ordnungsmäßig ergangener
Requiſitionen.
Dieſe Grundſätze ſind reichsgeſetzlich anerkannt und im Ein-
zelnen geregelt für die Handhabung der Rechtspflege durch das
Geſetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe vom 21. Juni
1869. Die territoriale Begränzung der Zuſtändigkeit der Landes-
gerichte iſt das Prinzip, von welchem dieſes Geſetz ausgeht 1);
aber die Gerichte des ganzen Bundesgebietes haben ſich gegenſeitig
Rechtshülfe zu leiſten, gleichviel ob das erſuchende und das er-
ſuchte Gericht demſelben Bundesſtaate oder ob ſie verſchiedenen
Bundesſtaaten angehören. (§. 1 §. 20). Nur ausnahmsweiſe
geſtattet der §. 30 Abſ. 1 Sicherheitsbeamten eines Bundesſtaates,
inbeſondere Gendarmen, die einer ſtrafbaren Handlung verdächti-
gen Perſonen unmittelbar nach verübter That, oder unmittelbar
nachdem dieſelben betroffen worden ſind, im Wege der Nach-
eile bis in benachbarte Staatsgebiete zu verfolgen und daſelbſt
feſtzunehmen.
Ganz ähnliche Grundſätze ſanctionirt das Zollcartel vom
11. Mai 1833 Art. 2—6, deſſen fortdauernde Geltung durch
1) Einzelne Anwendungsfälle enthalten §. 30 Abſ. 2. §. 40 Abſ. 2.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/223>, abgerufen am 24.11.2024.
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