Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 1. Die Auflösung des deutschen Bundes. des Bundesrechts sich gehalten, ob die Abstimmung und Beschluß-fassung namentlich mit Rücksicht auf die Vota in der 16. Curie ordnungsmäßig stattgefunden, ob der Austritt Preußens aus dem Bunde rechtlich statthaft war 1). Alle diese Fragen haben das praktische Interesse vollständig verloren; der Fortbestand des deut- schen Bundes war nicht mehr von der juristischen Lösung staats- rechtlicher Streitigkeiten, sondern von dem Gange weltgeschichtlicher Ereignisse abhängig. Der Bund wurde von den letzteren zu Grabe getragen. Aber die thatsächliche Beendigung des Bundesverhält- nisses hat auch ihre, nach allen Seiten hin vollkommene, formelle rechtliche Sanction erhalten. Der deutsche Bund war ein völker- rechtlicher Verein, der nach Art. I. der Bundesacte unauflöslich war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat willkührlich aus demselben ausscheiden; durch übereinstimmenden Willensent- schluß aller, zu dem Bunde gehörenden Staaten war seine Auf- lösung aber zulässig, da das Bundesverhältniß unbezweifelt den Charakter eines völkerrechtlichen Vertragsverhältnisses hatte 2). Diese Willensübereinstimmung sämmtlicher Bundesmitglieder, so weit sie die Katastrophe von 1866 überdauert haben, ist erfolgt und in rechtswirksamer Weise erklärt worden und zwar durch nachstehende Acte: Zuerst schied aus der Reihe der selbstständigen Bundes- 1) Vgl. darüber Schulze, Einleit. in das deutsche Staatsrecht (Neue Ausgabe 1867) S. 379 fg. 2) Auf die Austritts-Erklärung Preußens in der Sitzung der Bundesver-
samml. v. 14. Juni 1866 erwiderte das Präsidium: "Der deutsche Bund ist nach Art. I. der Bundesacte ein unauflöslicher Verein, auf dessen ungeschmä- lerten Fortbestand das gesammte Deutschland, sowie jede ein- zelne Bundesregierung ein Recht hat, und nach Art. V. der Wiener Schlußacte kann der Austritt aus diesem Vereine keinem Mitgliede desselben freistehen." Dies ist im Wesentlichen richtig; abgesehen davon, daß "das gesammte Deutschland" kein staatliches Gemeinwesen, überhaupt kein Rechts- subject war und deshalb auch kein "Recht" haben konnte; Rechte hatten nur die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem "unveräußerlichen und unverjährbaren Recht des deutschen Volkes auf eine ganz Deutsch- land umfassende politische Verbindung", von welchem Zachariä in der Vor- rede der 3ten Auflage (1866) seines deutschen Staats- und Bundesrechts Bd. II. spricht. §. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes. des Bundesrechts ſich gehalten, ob die Abſtimmung und Beſchluß-faſſung namentlich mit Rückſicht auf die Vota in der 16. Curie ordnungsmäßig ſtattgefunden, ob der Austritt Preußens aus dem Bunde rechtlich ſtatthaft war 1). Alle dieſe Fragen haben das praktiſche Intereſſe vollſtändig verloren; der Fortbeſtand des deut- ſchen Bundes war nicht mehr von der juriſtiſchen Löſung ſtaats- rechtlicher Streitigkeiten, ſondern von dem Gange weltgeſchichtlicher Ereigniſſe abhängig. Der Bund wurde von den letzteren zu Grabe getragen. Aber die thatſächliche Beendigung des Bundesverhält- niſſes hat auch ihre, nach allen Seiten hin vollkommene, formelle rechtliche Sanction erhalten. Der deutſche Bund war ein völker- rechtlicher Verein, der nach Art. I. der Bundesacte unauflöslich war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat willkührlich aus demſelben ausſcheiden; durch übereinſtimmenden Willensent- ſchluß aller, zu dem Bunde gehörenden Staaten war ſeine Auf- löſung aber zuläſſig, da das Bundesverhältniß unbezweifelt den Charakter eines völkerrechtlichen Vertragsverhältniſſes hatte 2). Dieſe Willensübereinſtimmung ſämmtlicher Bundesmitglieder, ſo weit ſie die Kataſtrophe von 1866 überdauert haben, iſt erfolgt und in rechtswirkſamer Weiſe erklärt worden und zwar durch nachſtehende Acte: Zuerſt ſchied aus der Reihe der ſelbſtſtändigen Bundes- 1) Vgl. darüber Schulze, Einleit. in das deutſche Staatsrecht (Neue Ausgabe 1867) S. 379 fg. 2) Auf die Austritts-Erklärung Preußens in der Sitzung der Bundesver-
ſamml. v. 14. Juni 1866 erwiderte das Präſidium: „Der deutſche Bund iſt nach Art. I. der Bundesacte ein unauflöslicher Verein, auf deſſen ungeſchmä- lerten Fortbeſtand das geſammte Deutſchland, ſowie jede ein- zelne Bundesregierung ein Recht hat, und nach Art. V. der Wiener Schlußacte kann der Austritt aus dieſem Vereine keinem Mitgliede deſſelben freiſtehen.“ Dies iſt im Weſentlichen richtig; abgeſehen davon, daß „das geſammte Deutſchland“ kein ſtaatliches Gemeinweſen, überhaupt kein Rechts- ſubject war und deshalb auch kein „Recht“ haben konnte; Rechte hatten nur die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem „unveräußerlichen und unverjährbaren Recht des deutſchen Volkes auf eine ganz Deutſch- land umfaſſende politiſche Verbindung“, von welchem Zachariä in der Vor- rede der 3ten Auflage (1866) ſeines deutſchen Staats- und Bundesrechts Bd. II. ſpricht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0024" n="4"/><fw place="top" type="header">§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.</fw><lb/> des Bundesrechts ſich gehalten, ob die Abſtimmung und Beſchluß-<lb/> faſſung namentlich mit Rückſicht auf die Vota in der 16. Curie<lb/> ordnungsmäßig ſtattgefunden, ob der Austritt Preußens aus dem<lb/> Bunde rechtlich ſtatthaft war <note place="foot" n="1)">Vgl. darüber <hi rendition="#g">Schulze</hi>, Einleit. in das deutſche Staatsrecht (Neue<lb/> Ausgabe 1867) S. 379 fg.</note>. Alle dieſe Fragen haben das<lb/> praktiſche Intereſſe vollſtändig verloren; der Fortbeſtand des deut-<lb/> ſchen Bundes war nicht mehr von der juriſtiſchen Löſung ſtaats-<lb/> rechtlicher Streitigkeiten, ſondern von dem Gange weltgeſchichtlicher<lb/> Ereigniſſe abhängig. Der Bund wurde von den letzteren zu Grabe<lb/> getragen. Aber die thatſächliche Beendigung des Bundesverhält-<lb/> niſſes hat auch ihre, nach allen Seiten hin vollkommene, formelle<lb/> rechtliche Sanction erhalten. Der deutſche Bund war ein völker-<lb/> rechtlicher Verein, der nach Art. <hi rendition="#aq">I.</hi> der Bundesacte unauflöslich<lb/> war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat willkührlich<lb/> aus demſelben ausſcheiden; durch übereinſtimmenden Willensent-<lb/> ſchluß <hi rendition="#g">aller</hi>, zu dem Bunde gehörenden Staaten war ſeine Auf-<lb/> löſung aber zuläſſig, da das Bundesverhältniß unbezweifelt den<lb/> Charakter eines völkerrechtlichen Vertragsverhältniſſes hatte <note place="foot" n="2)">Auf die Austritts-Erklärung Preußens in der Sitzung der Bundesver-<lb/> ſamml. v. 14. Juni 1866 erwiderte das Präſidium: „Der deutſche Bund iſt<lb/> nach Art. <hi rendition="#aq">I.</hi> der Bundesacte ein unauflöslicher Verein, auf deſſen ungeſchmä-<lb/> lerten Fortbeſtand das <hi rendition="#g">geſammte Deutſchland, ſowie jede ein-<lb/> zelne Bundesregierung ein Recht hat</hi>, und nach Art. <hi rendition="#aq">V.</hi> der<lb/> Wiener Schlußacte kann der Austritt aus dieſem Vereine keinem Mitgliede<lb/> deſſelben freiſtehen.“ Dies iſt im Weſentlichen richtig; abgeſehen davon, daß<lb/> „das geſammte Deutſchland“ kein ſtaatliches Gemeinweſen, überhaupt kein Rechts-<lb/> ſubject war und deshalb auch kein „Recht“ haben konnte; Rechte hatten <hi rendition="#g">nur</hi><lb/> die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem „unveräußerlichen<lb/> und unverjährbaren <hi rendition="#g">Recht</hi> des <hi rendition="#g">deutſchen Volkes</hi> auf eine ganz Deutſch-<lb/> land umfaſſende politiſche Verbindung“, von welchem <hi rendition="#g">Zachariä</hi> in der Vor-<lb/> rede der 3ten Auflage (1866) ſeines deutſchen Staats- und Bundesrechts Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> ſpricht.</note>.<lb/> Dieſe Willensübereinſtimmung ſämmtlicher Bundesmitglieder, ſo<lb/> weit ſie die Kataſtrophe von 1866 überdauert haben, iſt erfolgt<lb/> und in rechtswirkſamer Weiſe erklärt worden und zwar durch<lb/> nachſtehende Acte:</p><lb/> <p>Zuerſt ſchied aus der Reihe der ſelbſtſtändigen Bundes-<lb/> mitglieder der König von Dänemark als Herzog von Holſtein<lb/> und Lauenburg aus; indem derſelbe durch den <hi rendition="#g">Wiener</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0024]
§. 1. Die Auflöſung des deutſchen Bundes.
des Bundesrechts ſich gehalten, ob die Abſtimmung und Beſchluß-
faſſung namentlich mit Rückſicht auf die Vota in der 16. Curie
ordnungsmäßig ſtattgefunden, ob der Austritt Preußens aus dem
Bunde rechtlich ſtatthaft war 1). Alle dieſe Fragen haben das
praktiſche Intereſſe vollſtändig verloren; der Fortbeſtand des deut-
ſchen Bundes war nicht mehr von der juriſtiſchen Löſung ſtaats-
rechtlicher Streitigkeiten, ſondern von dem Gange weltgeſchichtlicher
Ereigniſſe abhängig. Der Bund wurde von den letzteren zu Grabe
getragen. Aber die thatſächliche Beendigung des Bundesverhält-
niſſes hat auch ihre, nach allen Seiten hin vollkommene, formelle
rechtliche Sanction erhalten. Der deutſche Bund war ein völker-
rechtlicher Verein, der nach Art. I. der Bundesacte unauflöslich
war. Es konnte daher allerdings kein einzelner Staat willkührlich
aus demſelben ausſcheiden; durch übereinſtimmenden Willensent-
ſchluß aller, zu dem Bunde gehörenden Staaten war ſeine Auf-
löſung aber zuläſſig, da das Bundesverhältniß unbezweifelt den
Charakter eines völkerrechtlichen Vertragsverhältniſſes hatte 2).
Dieſe Willensübereinſtimmung ſämmtlicher Bundesmitglieder, ſo
weit ſie die Kataſtrophe von 1866 überdauert haben, iſt erfolgt
und in rechtswirkſamer Weiſe erklärt worden und zwar durch
nachſtehende Acte:
Zuerſt ſchied aus der Reihe der ſelbſtſtändigen Bundes-
mitglieder der König von Dänemark als Herzog von Holſtein
und Lauenburg aus; indem derſelbe durch den Wiener
1) Vgl. darüber Schulze, Einleit. in das deutſche Staatsrecht (Neue
Ausgabe 1867) S. 379 fg.
2) Auf die Austritts-Erklärung Preußens in der Sitzung der Bundesver-
ſamml. v. 14. Juni 1866 erwiderte das Präſidium: „Der deutſche Bund iſt
nach Art. I. der Bundesacte ein unauflöslicher Verein, auf deſſen ungeſchmä-
lerten Fortbeſtand das geſammte Deutſchland, ſowie jede ein-
zelne Bundesregierung ein Recht hat, und nach Art. V. der
Wiener Schlußacte kann der Austritt aus dieſem Vereine keinem Mitgliede
deſſelben freiſtehen.“ Dies iſt im Weſentlichen richtig; abgeſehen davon, daß
„das geſammte Deutſchland“ kein ſtaatliches Gemeinweſen, überhaupt kein Rechts-
ſubject war und deshalb auch kein „Recht“ haben konnte; Rechte hatten nur
die einzelnen Bundesglieder. Das Gleiche gilt von dem „unveräußerlichen
und unverjährbaren Recht des deutſchen Volkes auf eine ganz Deutſch-
land umfaſſende politiſche Verbindung“, von welchem Zachariä in der Vor-
rede der 3ten Auflage (1866) ſeines deutſchen Staats- und Bundesrechts Bd. II.
ſpricht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |