Reichsverfassung kennt nur ein einziges, den Titel: Deutscher Kaiser.
1. Dieser Titel hat einen andern Charakter, als die sonst üblichen, aus früherer Zeit herstammenden Titel der Landesherren. Die letzteren beziehen sich auf den Besitz eines Gebietes, sind Herrschafts-Titel; sie sind ein Nachklang der patrimonialen oder feudalen, d. h. der privatrechtlichen Auffassung des Staates. Der Landesherr wird in derselben Art bezeichnet, nur mit höherem Titel, wie der Privatbesitzer einer Standes-Herrschaft oder eines Ritterguts. Der Titel "Deutscher Kaiser" ist ein obrigkeitlicher Titel, er bezieht sich lediglich auf die staatsrechtliche Stellung seines Trägers; er ist seinem Wesen nach -- im Gegensatz zu den ein Besitzrecht andeutenden Titulaturen -- ein Amts-Titel1).
Aeußerlich zeigt sich dieser Unterschied in der von der Regel abweichenden Form; der Titel heißt nicht "Kaiser von Deutschland" sondern "Deutscher Kaiser;" es fehlt die sachenrechtliche Beziehung auf ein Gebiet als Object. Wichtiger ist die materielle Verschie- denheit. Die sonst üblichen Titel der Souveräne werden von den- selben, ebenso wie Namen, ganz allgemein d. h. für alle denkbaren Beziehungen und Verhältnisse geführt. Dagegen sollte nach dem Wortlaut des Briefes des Königs von Bayern, welcher die Annahme des Kaisertitels in Anregung brachte, "die Ausübung der Präsidialrechte des Bundes" mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werden und in der Proclama- tion von Versailles vom 18. Januar 1871 erklärte der Kaiser bei Verkündigung der Annahme der Kaiserwürde: "Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußen fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen."
Es ist demgemäß streng genommen und dem Charakter des kaiserlichen Titels als eines obrigkeitlichen entsprechend, die Füh- rung desselben beschränkt auf die Angelegenheiten des Reiches, auf die Ausübung der Präsidialbefugnisse, also auf diejenigen Fälle, in denen kaiserliche Funktionen verrichtet werden; dagegen
1) Es soll damit natürlich nicht gesagt werden, daß der Kaiser ein Reichs- beamter sei (siehe oben S. 211), sondern nur die Natur des Titels charac- terisirt werden.
§. 26. Der Inhalt der kaiſerlichen Rechte.
Reichsverfaſſung kennt nur ein einziges, den Titel: Deutſcher Kaiſer.
1. Dieſer Titel hat einen andern Charakter, als die ſonſt üblichen, aus früherer Zeit herſtammenden Titel der Landesherren. Die letzteren beziehen ſich auf den Beſitz eines Gebietes, ſind Herrſchafts-Titel; ſie ſind ein Nachklang der patrimonialen oder feudalen, d. h. der privatrechtlichen Auffaſſung des Staates. Der Landesherr wird in derſelben Art bezeichnet, nur mit höherem Titel, wie der Privatbeſitzer einer Standes-Herrſchaft oder eines Ritterguts. Der Titel „Deutſcher Kaiſer“ iſt ein obrigkeitlicher Titel, er bezieht ſich lediglich auf die ſtaatsrechtliche Stellung ſeines Trägers; er iſt ſeinem Weſen nach — im Gegenſatz zu den ein Beſitzrecht andeutenden Titulaturen — ein Amts-Titel1).
Aeußerlich zeigt ſich dieſer Unterſchied in der von der Regel abweichenden Form; der Titel heißt nicht „Kaiſer von Deutſchland“ ſondern „Deutſcher Kaiſer;“ es fehlt die ſachenrechtliche Beziehung auf ein Gebiet als Object. Wichtiger iſt die materielle Verſchie- denheit. Die ſonſt üblichen Titel der Souveräne werden von den- ſelben, ebenſo wie Namen, ganz allgemein d. h. für alle denkbaren Beziehungen und Verhältniſſe geführt. Dagegen ſollte nach dem Wortlaut des Briefes des Königs von Bayern, welcher die Annahme des Kaiſertitels in Anregung brachte, „die Ausübung der Präſidialrechte des Bundes“ mit Führung des Titels eines Deutſchen Kaiſers verbunden werden und in der Proclama- tion von Verſailles vom 18. Januar 1871 erklärte der Kaiſer bei Verkündigung der Annahme der Kaiſerwürde: „Demgemäß werden Wir und Unſere Nachfolger an der Krone Preußen fortan den Kaiſerlichen Titel in allen Unſeren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutſchen Reiches führen.“
Es iſt demgemäß ſtreng genommen und dem Charakter des kaiſerlichen Titels als eines obrigkeitlichen entſprechend, die Füh- rung deſſelben beſchränkt auf die Angelegenheiten des Reiches, auf die Ausübung der Präſidialbefugniſſe, alſo auf diejenigen Fälle, in denen kaiſerliche Funktionen verrichtet werden; dagegen
1) Es ſoll damit natürlich nicht geſagt werden, daß der Kaiſer ein Reichs- beamter ſei (ſiehe oben S. 211), ſondern nur die Natur des Titels charac- teriſirt werden.
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§. 26. Der Inhalt der kaiſerlichen Rechte.
Reichsverfaſſung kennt nur ein einziges, den Titel: Deutſcher
Kaiſer.
1. Dieſer Titel hat einen andern Charakter, als die ſonſt
üblichen, aus früherer Zeit herſtammenden Titel der Landesherren.
Die letzteren beziehen ſich auf den Beſitz eines Gebietes, ſind
Herrſchafts-Titel; ſie ſind ein Nachklang der patrimonialen oder
feudalen, d. h. der privatrechtlichen Auffaſſung des Staates. Der
Landesherr wird in derſelben Art bezeichnet, nur mit höherem
Titel, wie der Privatbeſitzer einer Standes-Herrſchaft oder eines
Ritterguts. Der Titel „Deutſcher Kaiſer“ iſt ein obrigkeitlicher
Titel, er bezieht ſich lediglich auf die ſtaatsrechtliche Stellung ſeines
Trägers; er iſt ſeinem Weſen nach — im Gegenſatz zu den ein
Beſitzrecht andeutenden Titulaturen — ein Amts-Titel 1).
Aeußerlich zeigt ſich dieſer Unterſchied in der von der Regel
abweichenden Form; der Titel heißt nicht „Kaiſer von Deutſchland“
ſondern „Deutſcher Kaiſer;“ es fehlt die ſachenrechtliche Beziehung
auf ein Gebiet als Object. Wichtiger iſt die materielle Verſchie-
denheit. Die ſonſt üblichen Titel der Souveräne werden von den-
ſelben, ebenſo wie Namen, ganz allgemein d. h. für alle denkbaren
Beziehungen und Verhältniſſe geführt. Dagegen ſollte nach dem
Wortlaut des Briefes des Königs von Bayern, welcher
die Annahme des Kaiſertitels in Anregung brachte, „die Ausübung
der Präſidialrechte des Bundes“ mit Führung des Titels eines
Deutſchen Kaiſers verbunden werden und in der Proclama-
tion von Verſailles vom 18. Januar 1871 erklärte der Kaiſer
bei Verkündigung der Annahme der Kaiſerwürde:
„Demgemäß werden Wir und Unſere Nachfolger an der
Krone Preußen fortan den Kaiſerlichen Titel in allen
Unſeren Beziehungen und Angelegenheiten
des Deutſchen Reiches führen.“
Es iſt demgemäß ſtreng genommen und dem Charakter des
kaiſerlichen Titels als eines obrigkeitlichen entſprechend, die Füh-
rung deſſelben beſchränkt auf die Angelegenheiten des Reiches,
auf die Ausübung der Präſidialbefugniſſe, alſo auf diejenigen
Fälle, in denen kaiſerliche Funktionen verrichtet werden; dagegen
1) Es ſoll damit natürlich nicht geſagt werden, daß der Kaiſer ein Reichs-
beamter ſei (ſiehe oben S. 211), ſondern nur die Natur des Titels charac-
teriſirt werden.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/241>, abgerufen am 24.11.2024.
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