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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
befugt sei, ihren Bevollmächtigten im Bundesrathe zu instruiren,
der Aufhebung von Sonderrechten zuzustimmen, würde daher von
praktischem Erfolge sein und eine Erschwerung der reichsgesetzlichen
Aufhebung der Sonderrechte bilden 1).

4) Die Ausübung der den Einzelstaaten zustehenden Rechte
im Bundesstaate bedarf noch nach einer anderen Richtung einer
näheren juristischen Bestimmung. Die Bundesraths-Mitglieder
sind "Vertreter" der Einzelstaaten, "Bevollmächtigte" derselben.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur herrschte bis in die neuere
Zeit eine verwirrende Identifizirung von Vollmacht und Mandat
oder Auftrag. Erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit ist auf dem
Gebiete des Civilrechts, namentlich des Handelsrechts, der Gegen-
satz beider Begriffe scharf festgestellt worden. Die Vollmacht oder
Vertretung bezieht sich auf das Verhältniß zu Dritten, auf die
Fähigkeit des Stellvertreters, Willenserklärungen mit rechtlicher
Wirkung für den Principal abzugeben; der Auftrag betrifft die
innere Seite, das Rechtsverhältniß des Mandatars zum Auftrag-
geber; die Uebernahme des Auftrags begründet die Pflicht des
Beauftragten, für den Auftraggeber und seinem Willen gemäß
Rechtsgeschäfte zu erledigen.

In der Stellung der Bundesraths-Bevollmächtigten sind eben-
falls diese beiden Rechtsbeziehungen zu unterscheiden. Dem Reiche
und den übrigen Bundesgliedern gegenüber kommt die Vollmacht
und nur sie allein in Betracht; gegenüber dem Heimathsstaate der
Auftrag. Die Vertretungsbefugniß oder Vollmacht ist lediglich
die formelle Ermächtigung, daß der Bevollmächtigte die Stimme
des Staates im Bundesrath führen soll, ohne darüber Auskunft
zu geben, wie er sie abgeben soll; der Auftrag kann nicht blos
dahin gehen, wie der Bevollmächtigte stimmen soll, sondern auch,
daß er nicht stimmen, sich der Abstimmung enthalten soll.

Es ergeben sich aus dieser Unterscheidung folgende Rechtssätze:

a) Der Bundesrath hat das Recht und die Pflicht, die Voll-
macht
oder Legitimation seiner Mitglieder zu prüfen 2). Diese
Prüfung erstreckt sich in der Regel nur darauf, daß in einer for-
mell ordnungsmäßigen Urkunde die Vertretung des Staates im

1) Vgl. oben S. 120 fg.
2) v. Pözl S. 112 Note 1. v. Rönne S. 149.

§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
befugt ſei, ihren Bevollmächtigten im Bundesrathe zu inſtruiren,
der Aufhebung von Sonderrechten zuzuſtimmen, würde daher von
praktiſchem Erfolge ſein und eine Erſchwerung der reichsgeſetzlichen
Aufhebung der Sonderrechte bilden 1).

4) Die Ausübung der den Einzelſtaaten zuſtehenden Rechte
im Bundesſtaate bedarf noch nach einer anderen Richtung einer
näheren juriſtiſchen Beſtimmung. Die Bundesraths-Mitglieder
ſind „Vertreter“ der Einzelſtaaten, „Bevollmächtigte“ derſelben.
In der rechtswiſſenſchaftlichen Literatur herrſchte bis in die neuere
Zeit eine verwirrende Identifizirung von Vollmacht und Mandat
oder Auftrag. Erſt ſeit verhältnißmäßig kurzer Zeit iſt auf dem
Gebiete des Civilrechts, namentlich des Handelsrechts, der Gegen-
ſatz beider Begriffe ſcharf feſtgeſtellt worden. Die Vollmacht oder
Vertretung bezieht ſich auf das Verhältniß zu Dritten, auf die
Fähigkeit des Stellvertreters, Willenserklärungen mit rechtlicher
Wirkung für den Principal abzugeben; der Auftrag betrifft die
innere Seite, das Rechtsverhältniß des Mandatars zum Auftrag-
geber; die Uebernahme des Auftrags begründet die Pflicht des
Beauftragten, für den Auftraggeber und ſeinem Willen gemäß
Rechtsgeſchäfte zu erledigen.

In der Stellung der Bundesraths-Bevollmächtigten ſind eben-
falls dieſe beiden Rechtsbeziehungen zu unterſcheiden. Dem Reiche
und den übrigen Bundesgliedern gegenüber kommt die Vollmacht
und nur ſie allein in Betracht; gegenüber dem Heimathsſtaate der
Auftrag. Die Vertretungsbefugniß oder Vollmacht iſt lediglich
die formelle Ermächtigung, daß der Bevollmächtigte die Stimme
des Staates im Bundesrath führen ſoll, ohne darüber Auskunft
zu geben, wie er ſie abgeben ſoll; der Auftrag kann nicht blos
dahin gehen, wie der Bevollmächtigte ſtimmen ſoll, ſondern auch,
daß er nicht ſtimmen, ſich der Abſtimmung enthalten ſoll.

Es ergeben ſich aus dieſer Unterſcheidung folgende Rechtsſätze:

a) Der Bundesrath hat das Recht und die Pflicht, die Voll-
macht
oder Legitimation ſeiner Mitglieder zu prüfen 2). Dieſe
Prüfung erſtreckt ſich in der Regel nur darauf, daß in einer for-
mell ordnungsmäßigen Urkunde die Vertretung des Staates im

1) Vgl. oben S. 120 fg.
2) v. Pözl S. 112 Note 1. v. Rönne S. 149.
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[244/0264] §. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe. befugt ſei, ihren Bevollmächtigten im Bundesrathe zu inſtruiren, der Aufhebung von Sonderrechten zuzuſtimmen, würde daher von praktiſchem Erfolge ſein und eine Erſchwerung der reichsgeſetzlichen Aufhebung der Sonderrechte bilden 1). 4) Die Ausübung der den Einzelſtaaten zuſtehenden Rechte im Bundesſtaate bedarf noch nach einer anderen Richtung einer näheren juriſtiſchen Beſtimmung. Die Bundesraths-Mitglieder ſind „Vertreter“ der Einzelſtaaten, „Bevollmächtigte“ derſelben. In der rechtswiſſenſchaftlichen Literatur herrſchte bis in die neuere Zeit eine verwirrende Identifizirung von Vollmacht und Mandat oder Auftrag. Erſt ſeit verhältnißmäßig kurzer Zeit iſt auf dem Gebiete des Civilrechts, namentlich des Handelsrechts, der Gegen- ſatz beider Begriffe ſcharf feſtgeſtellt worden. Die Vollmacht oder Vertretung bezieht ſich auf das Verhältniß zu Dritten, auf die Fähigkeit des Stellvertreters, Willenserklärungen mit rechtlicher Wirkung für den Principal abzugeben; der Auftrag betrifft die innere Seite, das Rechtsverhältniß des Mandatars zum Auftrag- geber; die Uebernahme des Auftrags begründet die Pflicht des Beauftragten, für den Auftraggeber und ſeinem Willen gemäß Rechtsgeſchäfte zu erledigen. In der Stellung der Bundesraths-Bevollmächtigten ſind eben- falls dieſe beiden Rechtsbeziehungen zu unterſcheiden. Dem Reiche und den übrigen Bundesgliedern gegenüber kommt die Vollmacht und nur ſie allein in Betracht; gegenüber dem Heimathsſtaate der Auftrag. Die Vertretungsbefugniß oder Vollmacht iſt lediglich die formelle Ermächtigung, daß der Bevollmächtigte die Stimme des Staates im Bundesrath führen ſoll, ohne darüber Auskunft zu geben, wie er ſie abgeben ſoll; der Auftrag kann nicht blos dahin gehen, wie der Bevollmächtigte ſtimmen ſoll, ſondern auch, daß er nicht ſtimmen, ſich der Abſtimmung enthalten ſoll. Es ergeben ſich aus dieſer Unterſcheidung folgende Rechtsſätze: a) Der Bundesrath hat das Recht und die Pflicht, die Voll- macht oder Legitimation ſeiner Mitglieder zu prüfen 2). Dieſe Prüfung erſtreckt ſich in der Regel nur darauf, daß in einer for- mell ordnungsmäßigen Urkunde die Vertretung des Staates im 1) Vgl. oben S. 120 fg. 2) v. Pözl S. 112 Note 1. v. Rönne S. 149.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/264>, abgerufen am 24.11.2024.