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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 30. Die formelle Erledigung der Geschäfte des Bundesrathes.
gezählt die Stimmen der Staaten, welche im einzelnen Falle nicht
stimmberechtigt sind, wenn über eine Angelegenheit zu beschließen
ist, welche nach den Bestimmungen der Verfassung nicht dem ganzen
Reiche gemeinschaftlich ist, und ferner diejenigen Stimmen, welche
nicht vertreten oder nicht instruirt sind.

Von dem Grundsatz, daß die einfache Stimmenmehrheit ent-
scheidet, gibt es aber zwei Ausnahmen 1):

1) Veränderungen der Verfassung sind abgelehnt,
wenn sie 14 Stimmen gegen sich haben. Art. 78 Abs. 1. Die
Vorfrage, ob der Gesetzesvorschlag eine Veränderung der Verfas-
sung enthält oder nicht, wird durch diese Vorschrift nicht berührt;
denn diese Vorfrage betrifft nicht eine Abänderung, sondern eine
Auslegung der Verfassung. Sie wird daher durch einfache Mehr-
heit entschieden 2).

2) In einer Anzahl von Fällen genügt die Mehrheit der
Stimmen nur dann zur Fassung eines Beschlusses, wenn in dieser
Mehrheit die Präsidialstimme, d. h. die Stimme Preußens ent-
halten ist. In diesen Fällen besteht nicht, wie man gewöhnlich
sagt 3), ein Veto des Kaisers gegenüber einem Bundesrathsbeschluß;
sondern es liegt die Annahme eines Vorschlages von Seiten des
Bundesrathes überhaupt nicht vor 4). Trotzdem sich die Mehrheit für
den Vorschlag erklärt hat, ist der Vorschlag von dem Bundesrath
verworfen worden, weil die Annahme desselben an die zweifache
Voraussetzung gebunden ist, daß die Mehrheit der Stimmen sich
dafür erklärt und daß in dieser Mehrheit die Preußischen Stimmen
enthalten sind 5). Dieses zweifache Erforderniß ist durch die Ver-
fassung aufgestellt in folgenden Fällen 6):


1) Art. 78 Abs. 2 bildet keine Ausnahme von den Regeln über die Be-
schlußfassung des Bundesrathes. Die Zustimmung des einzelnen Bundesstaa-
tes zur Aufhebung eines ihm zustehenden Sonderrechts ist ein neben dem
Bundesrathsbeschluß stehendes (materielles) Erforderniß. Anderer Ansicht
v. Mohl S. 236.
2) Anderer Ansicht Seydel S. 104. 105.
3) So z. B. v. Martitz Betrachtungen S. 42. Hiersemenzel I. S.
39 Note 6. Riedel S. 28. 97. v. Rönne S. 154.
4) Vgl. Meyer Grundzüge S. 69 Erörterungen S. 51. Westerkamp
S. 95.
5) Correct ist die Fassung des §. 3 der Gesch.-Ordn. des Bundesrathes.
6) R.-V. Art. 7 Abs. 3.

§. 30. Die formelle Erledigung der Geſchäfte des Bundesrathes.
gezählt die Stimmen der Staaten, welche im einzelnen Falle nicht
ſtimmberechtigt ſind, wenn über eine Angelegenheit zu beſchließen
iſt, welche nach den Beſtimmungen der Verfaſſung nicht dem ganzen
Reiche gemeinſchaftlich iſt, und ferner diejenigen Stimmen, welche
nicht vertreten oder nicht inſtruirt ſind.

Von dem Grundſatz, daß die einfache Stimmenmehrheit ent-
ſcheidet, gibt es aber zwei Ausnahmen 1):

1) Veränderungen der Verfaſſung ſind abgelehnt,
wenn ſie 14 Stimmen gegen ſich haben. Art. 78 Abſ. 1. Die
Vorfrage, ob der Geſetzesvorſchlag eine Veränderung der Verfaſ-
ſung enthält oder nicht, wird durch dieſe Vorſchrift nicht berührt;
denn dieſe Vorfrage betrifft nicht eine Abänderung, ſondern eine
Auslegung der Verfaſſung. Sie wird daher durch einfache Mehr-
heit entſchieden 2).

2) In einer Anzahl von Fällen genügt die Mehrheit der
Stimmen nur dann zur Faſſung eines Beſchluſſes, wenn in dieſer
Mehrheit die Präſidialſtimme, d. h. die Stimme Preußens ent-
halten iſt. In dieſen Fällen beſteht nicht, wie man gewöhnlich
ſagt 3), ein Veto des Kaiſers gegenüber einem Bundesrathsbeſchluß;
ſondern es liegt die Annahme eines Vorſchlages von Seiten des
Bundesrathes überhaupt nicht vor 4). Trotzdem ſich die Mehrheit für
den Vorſchlag erklärt hat, iſt der Vorſchlag von dem Bundesrath
verworfen worden, weil die Annahme deſſelben an die zweifache
Vorausſetzung gebunden iſt, daß die Mehrheit der Stimmen ſich
dafür erklärt und daß in dieſer Mehrheit die Preußiſchen Stimmen
enthalten ſind 5). Dieſes zweifache Erforderniß iſt durch die Ver-
faſſung aufgeſtellt in folgenden Fällen 6):


1) Art. 78 Abſ. 2 bildet keine Ausnahme von den Regeln über die Be-
ſchlußfaſſung des Bundesrathes. Die Zuſtimmung des einzelnen Bundesſtaa-
tes zur Aufhebung eines ihm zuſtehenden Sonderrechts iſt ein neben dem
Bundesrathsbeſchluß ſtehendes (materielles) Erforderniß. Anderer Anſicht
v. Mohl S. 236.
2) Anderer Anſicht Seydel S. 104. 105.
3) So z. B. v. Martitz Betrachtungen S. 42. Hierſemenzel I. S.
39 Note 6. Riedel S. 28. 97. v. Rönne S. 154.
4) Vgl. Meyer Grundzüge S. 69 Erörterungen S. 51. Weſterkamp
S. 95.
5) Correct iſt die Faſſung des §. 3 der Geſch.-Ordn. des Bundesrathes.
6) R.-V. Art. 7 Abſ. 3.
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[280/0300] §. 30. Die formelle Erledigung der Geſchäfte des Bundesrathes. gezählt die Stimmen der Staaten, welche im einzelnen Falle nicht ſtimmberechtigt ſind, wenn über eine Angelegenheit zu beſchließen iſt, welche nach den Beſtimmungen der Verfaſſung nicht dem ganzen Reiche gemeinſchaftlich iſt, und ferner diejenigen Stimmen, welche nicht vertreten oder nicht inſtruirt ſind. Von dem Grundſatz, daß die einfache Stimmenmehrheit ent- ſcheidet, gibt es aber zwei Ausnahmen 1): 1) Veränderungen der Verfaſſung ſind abgelehnt, wenn ſie 14 Stimmen gegen ſich haben. Art. 78 Abſ. 1. Die Vorfrage, ob der Geſetzesvorſchlag eine Veränderung der Verfaſ- ſung enthält oder nicht, wird durch dieſe Vorſchrift nicht berührt; denn dieſe Vorfrage betrifft nicht eine Abänderung, ſondern eine Auslegung der Verfaſſung. Sie wird daher durch einfache Mehr- heit entſchieden 2). 2) In einer Anzahl von Fällen genügt die Mehrheit der Stimmen nur dann zur Faſſung eines Beſchluſſes, wenn in dieſer Mehrheit die Präſidialſtimme, d. h. die Stimme Preußens ent- halten iſt. In dieſen Fällen beſteht nicht, wie man gewöhnlich ſagt 3), ein Veto des Kaiſers gegenüber einem Bundesrathsbeſchluß; ſondern es liegt die Annahme eines Vorſchlages von Seiten des Bundesrathes überhaupt nicht vor 4). Trotzdem ſich die Mehrheit für den Vorſchlag erklärt hat, iſt der Vorſchlag von dem Bundesrath verworfen worden, weil die Annahme deſſelben an die zweifache Vorausſetzung gebunden iſt, daß die Mehrheit der Stimmen ſich dafür erklärt und daß in dieſer Mehrheit die Preußiſchen Stimmen enthalten ſind 5). Dieſes zweifache Erforderniß iſt durch die Ver- faſſung aufgeſtellt in folgenden Fällen 6): 1) Art. 78 Abſ. 2 bildet keine Ausnahme von den Regeln über die Be- ſchlußfaſſung des Bundesrathes. Die Zuſtimmung des einzelnen Bundesſtaa- tes zur Aufhebung eines ihm zuſtehenden Sonderrechts iſt ein neben dem Bundesrathsbeſchluß ſtehendes (materielles) Erforderniß. Anderer Anſicht v. Mohl S. 236. 2) Anderer Anſicht Seydel S. 104. 105. 3) So z. B. v. Martitz Betrachtungen S. 42. Hierſemenzel I. S. 39 Note 6. Riedel S. 28. 97. v. Rönne S. 154. 4) Vgl. Meyer Grundzüge S. 69 Erörterungen S. 51. Weſterkamp S. 95. 5) Correct iſt die Faſſung des §. 3 der Geſch.-Ordn. des Bundesrathes. 6) R.-V. Art. 7 Abſ. 3.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/300>, abgerufen am 24.11.2024.