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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 33. Der Reichskanzler.

Zwischen den verwaltenden und den rechtsprechenden Behörden
giebt es aber noch eine Mittelstufe, die von einer Anzahl von
Finanzbehörden gebildet wird, welche zwar unter der oberen Lei-
tung des Reichskanzlers stehen, für die Gesetzmäßigkeit ihrer Amts-
handlungen aber selbstständig und unbedingt verantwortlich sind.

Sonach zerfallen die Reichsbehörden in Beziehung auf ihre
Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit in 4 Klassen:

1. Der Reichskanzler.
2. Verwaltungsbehörden.
3. Selbstständige Finanzbehörden.
4. Richterliche Behörden.
§. 33. Der Reichskanzler.

Die juristische Definition der Stellung, welche der Reichs-
kanzler einnimmt, bietet ganz ähnliche Schwierigkeiten dar, wie
die juristische Begriffsbestimmung von Kaiser und Bundesrath,
denn der Reichskanzler vereinigt in seiner Person so verschieden-
artige Amtsbefugnisse und Amtspflichten, daß es unmöglich er-
scheint, eine der herkömmlichen staatsrechtlichen Kategorien aufzu-
finden, unter welche er vollkommen paßt. Die Schwierigkeiten
sind aber ganz in derselben Weise zu lösen, wie dies hinsichtlich
des Kaisers und des Bundesrathes geschehen ist. Der Reichs-
kanzler vereinigt in sich eine Doppelstellung; er ist theils das
Organ, durch welches der König von Preußen seine Mitglied-
schaftsrechte im Reiche ausübt, theils der oberste Reichs-Beamte,
der kaiserliche Reichsminister. Nur wenn man beide Stellungen
auseinanderhält, verschwindet das scheinbar Widerspruchsvolle und
gewinnt namentlich auch die verwickelte Lehre von der Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers 1) Klarheit.

I. Der Reichskanzler als Bevollmächtigter des
Königs von Preußen
.

1. Durch den Art. 15 der R.-V. ist die rechtliche Nothwen-
digkeit gegeben, daß der Reichskanzler Preußischer Bevollmäch-
tigter im Bundesrathe ist. Zwar läßt der Wortlaut auf den

1) Die Darstellung dieser Lehre bei v. Rönne S. 181 ff. kann als ein
unübertroffenes Muster von Verworrenheit gelten.
§. 33. Der Reichskanzler.

Zwiſchen den verwaltenden und den rechtſprechenden Behörden
giebt es aber noch eine Mittelſtufe, die von einer Anzahl von
Finanzbehörden gebildet wird, welche zwar unter der oberen Lei-
tung des Reichskanzlers ſtehen, für die Geſetzmäßigkeit ihrer Amts-
handlungen aber ſelbſtſtändig und unbedingt verantwortlich ſind.

Sonach zerfallen die Reichsbehörden in Beziehung auf ihre
Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit in 4 Klaſſen:

1. Der Reichskanzler.
2. Verwaltungsbehörden.
3. Selbſtſtändige Finanzbehörden.
4. Richterliche Behörden.
§. 33. Der Reichskanzler.

Die juriſtiſche Definition der Stellung, welche der Reichs-
kanzler einnimmt, bietet ganz ähnliche Schwierigkeiten dar, wie
die juriſtiſche Begriffsbeſtimmung von Kaiſer und Bundesrath,
denn der Reichskanzler vereinigt in ſeiner Perſon ſo verſchieden-
artige Amtsbefugniſſe und Amtspflichten, daß es unmöglich er-
ſcheint, eine der herkömmlichen ſtaatsrechtlichen Kategorien aufzu-
finden, unter welche er vollkommen paßt. Die Schwierigkeiten
ſind aber ganz in derſelben Weiſe zu löſen, wie dies hinſichtlich
des Kaiſers und des Bundesrathes geſchehen iſt. Der Reichs-
kanzler vereinigt in ſich eine Doppelſtellung; er iſt theils das
Organ, durch welches der König von Preußen ſeine Mitglied-
ſchaftsrechte im Reiche ausübt, theils der oberſte Reichs-Beamte,
der kaiſerliche Reichsminiſter. Nur wenn man beide Stellungen
auseinanderhält, verſchwindet das ſcheinbar Widerſpruchsvolle und
gewinnt namentlich auch die verwickelte Lehre von der Verant-
wortlichkeit des Reichskanzlers 1) Klarheit.

I. Der Reichskanzler als Bevollmächtigter des
Königs von Preußen
.

1. Durch den Art. 15 der R.-V. iſt die rechtliche Nothwen-
digkeit gegeben, daß der Reichskanzler Preußiſcher Bevollmäch-
tigter im Bundesrathe iſt. Zwar läßt der Wortlaut auf den

1) Die Darſtellung dieſer Lehre bei v. Rönne S. 181 ff. kann als ein
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[306/0326] §. 33. Der Reichskanzler. Zwiſchen den verwaltenden und den rechtſprechenden Behörden giebt es aber noch eine Mittelſtufe, die von einer Anzahl von Finanzbehörden gebildet wird, welche zwar unter der oberen Lei- tung des Reichskanzlers ſtehen, für die Geſetzmäßigkeit ihrer Amts- handlungen aber ſelbſtſtändig und unbedingt verantwortlich ſind. Sonach zerfallen die Reichsbehörden in Beziehung auf ihre Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit in 4 Klaſſen: 1. Der Reichskanzler. 2. Verwaltungsbehörden. 3. Selbſtſtändige Finanzbehörden. 4. Richterliche Behörden. §. 33. Der Reichskanzler. Die juriſtiſche Definition der Stellung, welche der Reichs- kanzler einnimmt, bietet ganz ähnliche Schwierigkeiten dar, wie die juriſtiſche Begriffsbeſtimmung von Kaiſer und Bundesrath, denn der Reichskanzler vereinigt in ſeiner Perſon ſo verſchieden- artige Amtsbefugniſſe und Amtspflichten, daß es unmöglich er- ſcheint, eine der herkömmlichen ſtaatsrechtlichen Kategorien aufzu- finden, unter welche er vollkommen paßt. Die Schwierigkeiten ſind aber ganz in derſelben Weiſe zu löſen, wie dies hinſichtlich des Kaiſers und des Bundesrathes geſchehen iſt. Der Reichs- kanzler vereinigt in ſich eine Doppelſtellung; er iſt theils das Organ, durch welches der König von Preußen ſeine Mitglied- ſchaftsrechte im Reiche ausübt, theils der oberſte Reichs-Beamte, der kaiſerliche Reichsminiſter. Nur wenn man beide Stellungen auseinanderhält, verſchwindet das ſcheinbar Widerſpruchsvolle und gewinnt namentlich auch die verwickelte Lehre von der Verant- wortlichkeit des Reichskanzlers 1) Klarheit. I. Der Reichskanzler als Bevollmächtigter des Königs von Preußen. 1. Durch den Art. 15 der R.-V. iſt die rechtliche Nothwen- digkeit gegeben, daß der Reichskanzler Preußiſcher Bevollmäch- tigter im Bundesrathe iſt. Zwar läßt der Wortlaut auf den 1) Die Darſtellung dieſer Lehre bei v. Rönne S. 181 ff. kann als ein unübertroffenes Muſter von Verworrenheit gelten.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/326>, abgerufen am 24.11.2024.