Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 33. Der Reichskanzler.
kanzler angezeigt 1) und es liegt dem Reichskanzler ob, sie zur
Kenntniß des Bundesrathes zu bringen resp. dem Kaiser über
die Beschlüsse des Bundesrathes und des Reichstages Vortrag zu
halten.

3) Soweit die eigene Verwaltung des Reiches sich erstreckt,
ist der Reichskanzler als Gehülfe und Vertreter des Kaisers der
oberste Chef und Leiter. In dieser Beziehung ist seine Stellung
völlig entsprechend der Stellung eines Ministers im Einzelstaate 2).
Jedoch ist er nicht auf ein einzelnes Ressort beschränkt; er hat
nicht gleichberechtigte Collegen neben sich, mit denen er sich in die
Geschäfte theilt, sondern seine Kompetenz hat denselben Umfang
wie die Verwaltungskompetenz des Reiches.

4) Soweit das Recht der Einzelstaaten auf Selbstverwaltung
reicht, liegt dem Kaiser die Ueberwachung der Ausführung
der Reichsgesetze ob (R.-V. Art. 17) und ebenmäßig dem Reichs-
kanzler die hiezu erforderliche Thätigkeit. Beschwerden und An-
zeigen über Verletzungen der Reichsgesetze in den einzelnen Staa-
ten sind demnach an den Reichskanzler zu richten; er hat die er-
forderlichen thatsächlichen Feststellungen zu machen und die Ver-
fügungen an die Regierungen zu erlassen. Insoweit der Bundes-
rath nach Art. 7 Z. 3 in solchen Fällen zur Beschlußfassung kom-
petent ist, hat der Reichskanzler an den Bundesrath eine Vorlage
gelangen zu lassen und für die Ausführung und Befolgung des
vom Bundesrathe gefaßten Beschlusses Sorge zu tragen 3).

5) Endlich ist der Reichskanzler der verantwortliche leitende
Minister für Elsaß-Lothingen, da durch das Gesetz vom 9. Juni
1871 die Ausübung der Staatsgewalt im Reichslande dem Kaiser
übertragen ist. Im §. 4 des angef. Gesetzes ist ausdrücklich an-
geordnet, daß alle Anordnungen und Verfügungen des Kaisers in
Ausübung dieser Staatsgewalt zu ihrer Gültigkeit der Gegen-

1) Gesch.-Ordn. des Reichstages §. 30. 63. 66.
2) Es gehört hierher der Erlaß von Administrativ-Verordnungen, soweit
derselbe durch die Verfassung oder Reichsgesetze dem Kaiser oder dem Reichs-
kanzler direct übertragen ist; der Erlaß von Instruktionen an die Behörden; die
Vorbereitung der vom Kaiser zu vollziehenden Ernennungen und Entlassungen
von Reichsbeamten; die definitive Entscheidung auf Beschwerden über Unter-
behörden des Reiches; die Verfügung auf Berichte der Behörden; die Vorbe-
reitung der Gesetzesvorlagen und Etats-Entwürfe u. s. w.
3) Siehe oben S. 259 fg.

§. 33. Der Reichskanzler.
kanzler angezeigt 1) und es liegt dem Reichskanzler ob, ſie zur
Kenntniß des Bundesrathes zu bringen reſp. dem Kaiſer über
die Beſchlüſſe des Bundesrathes und des Reichstages Vortrag zu
halten.

3) Soweit die eigene Verwaltung des Reiches ſich erſtreckt,
iſt der Reichskanzler als Gehülfe und Vertreter des Kaiſers der
oberſte Chef und Leiter. In dieſer Beziehung iſt ſeine Stellung
völlig entſprechend der Stellung eines Miniſters im Einzelſtaate 2).
Jedoch iſt er nicht auf ein einzelnes Reſſort beſchränkt; er hat
nicht gleichberechtigte Collegen neben ſich, mit denen er ſich in die
Geſchäfte theilt, ſondern ſeine Kompetenz hat denſelben Umfang
wie die Verwaltungskompetenz des Reiches.

4) Soweit das Recht der Einzelſtaaten auf Selbſtverwaltung
reicht, liegt dem Kaiſer die Ueberwachung der Ausführung
der Reichsgeſetze ob (R.-V. Art. 17) und ebenmäßig dem Reichs-
kanzler die hiezu erforderliche Thätigkeit. Beſchwerden und An-
zeigen über Verletzungen der Reichsgeſetze in den einzelnen Staa-
ten ſind demnach an den Reichskanzler zu richten; er hat die er-
forderlichen thatſächlichen Feſtſtellungen zu machen und die Ver-
fügungen an die Regierungen zu erlaſſen. Inſoweit der Bundes-
rath nach Art. 7 Z. 3 in ſolchen Fällen zur Beſchlußfaſſung kom-
petent iſt, hat der Reichskanzler an den Bundesrath eine Vorlage
gelangen zu laſſen und für die Ausführung und Befolgung des
vom Bundesrathe gefaßten Beſchluſſes Sorge zu tragen 3).

5) Endlich iſt der Reichskanzler der verantwortliche leitende
Miniſter für Elſaß-Lothingen, da durch das Geſetz vom 9. Juni
1871 die Ausübung der Staatsgewalt im Reichslande dem Kaiſer
übertragen iſt. Im §. 4 des angef. Geſetzes iſt ausdrücklich an-
geordnet, daß alle Anordnungen und Verfügungen des Kaiſers in
Ausübung dieſer Staatsgewalt zu ihrer Gültigkeit der Gegen-

1) Geſch.-Ordn. des Reichstages §. 30. 63. 66.
2) Es gehört hierher der Erlaß von Adminiſtrativ-Verordnungen, ſoweit
derſelbe durch die Verfaſſung oder Reichsgeſetze dem Kaiſer oder dem Reichs-
kanzler direct übertragen iſt; der Erlaß von Inſtruktionen an die Behörden; die
Vorbereitung der vom Kaiſer zu vollziehenden Ernennungen und Entlaſſungen
von Reichsbeamten; die definitive Entſcheidung auf Beſchwerden über Unter-
behörden des Reiches; die Verfügung auf Berichte der Behörden; die Vorbe-
reitung der Geſetzesvorlagen und Etats-Entwürfe u. ſ. w.
3) Siehe oben S. 259 fg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0331" n="311"/><fw place="top" type="header">§. 33. Der Reichskanzler.</fw><lb/>
kanzler angezeigt <note place="foot" n="1)">Ge&#x017F;ch.-Ordn. des Reichstages §. 30. 63. 66.</note> und es liegt dem Reichskanzler ob, &#x017F;ie zur<lb/>
Kenntniß des Bundesrathes zu bringen re&#x017F;p. dem Kai&#x017F;er über<lb/>
die Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e des Bundesrathes und des Reichstages Vortrag zu<lb/>
halten.</p><lb/>
                <p>3) Soweit die <hi rendition="#g">eigene</hi> Verwaltung des Reiches &#x017F;ich er&#x017F;treckt,<lb/>
i&#x017F;t der Reichskanzler als Gehülfe und Vertreter des Kai&#x017F;ers der<lb/>
ober&#x017F;te Chef und Leiter. In die&#x017F;er Beziehung i&#x017F;t &#x017F;eine Stellung<lb/>
völlig ent&#x017F;prechend der Stellung eines Mini&#x017F;ters im Einzel&#x017F;taate <note place="foot" n="2)">Es gehört hierher der Erlaß von Admini&#x017F;trativ-Verordnungen, &#x017F;oweit<lb/>
der&#x017F;elbe durch die Verfa&#x017F;&#x017F;ung oder Reichsge&#x017F;etze dem Kai&#x017F;er oder dem Reichs-<lb/>
kanzler direct übertragen i&#x017F;t; der Erlaß von In&#x017F;truktionen an die Behörden; die<lb/>
Vorbereitung der vom Kai&#x017F;er zu vollziehenden Ernennungen und Entla&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
von Reichsbeamten; die definitive Ent&#x017F;cheidung auf Be&#x017F;chwerden über Unter-<lb/>
behörden des Reiches; die Verfügung auf Berichte der Behörden; die Vorbe-<lb/>
reitung der Ge&#x017F;etzesvorlagen und Etats-Entwürfe u. &#x017F;. w.</note>.<lb/>
Jedoch i&#x017F;t er nicht auf ein einzelnes Re&#x017F;&#x017F;ort be&#x017F;chränkt; er hat<lb/>
nicht gleichberechtigte Collegen neben &#x017F;ich, mit denen er &#x017F;ich in die<lb/>
Ge&#x017F;chäfte theilt, &#x017F;ondern &#x017F;eine Kompetenz hat den&#x017F;elben Umfang<lb/>
wie die Verwaltungskompetenz des Reiches.</p><lb/>
                <p>4) Soweit das Recht der Einzel&#x017F;taaten auf Selb&#x017F;tverwaltung<lb/>
reicht, liegt dem Kai&#x017F;er die <hi rendition="#g">Ueberwachung</hi> der Ausführung<lb/>
der Reichsge&#x017F;etze ob (R.-V. Art. 17) und ebenmäßig dem Reichs-<lb/>
kanzler die hiezu erforderliche Thätigkeit. Be&#x017F;chwerden und An-<lb/>
zeigen über Verletzungen der Reichsge&#x017F;etze in den einzelnen Staa-<lb/>
ten &#x017F;ind demnach an den Reichskanzler zu richten; er hat die er-<lb/>
forderlichen that&#x017F;ächlichen Fe&#x017F;t&#x017F;tellungen zu machen und die Ver-<lb/>
fügungen an die Regierungen zu erla&#x017F;&#x017F;en. In&#x017F;oweit der Bundes-<lb/>
rath nach Art. 7 Z. 3 in &#x017F;olchen Fällen zur Be&#x017F;chlußfa&#x017F;&#x017F;ung kom-<lb/>
petent i&#x017F;t, hat der Reichskanzler an den Bundesrath eine Vorlage<lb/>
gelangen zu la&#x017F;&#x017F;en und für die Ausführung und Befolgung des<lb/>
vom Bundesrathe gefaßten Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es Sorge zu tragen <note place="foot" n="3)">Siehe oben S. 259 fg.</note>.</p><lb/>
                <p>5) Endlich i&#x017F;t der Reichskanzler der verantwortliche leitende<lb/>
Mini&#x017F;ter für El&#x017F;aß-Lothingen, da durch das Ge&#x017F;etz vom 9. Juni<lb/>
1871 die Ausübung der Staatsgewalt im Reichslande dem Kai&#x017F;er<lb/>
übertragen i&#x017F;t. Im §. 4 des angef. Ge&#x017F;etzes i&#x017F;t ausdrücklich an-<lb/>
geordnet, daß alle Anordnungen und Verfügungen des Kai&#x017F;ers in<lb/>
Ausübung die&#x017F;er Staatsgewalt zu ihrer Gültigkeit der Gegen-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0331] §. 33. Der Reichskanzler. kanzler angezeigt 1) und es liegt dem Reichskanzler ob, ſie zur Kenntniß des Bundesrathes zu bringen reſp. dem Kaiſer über die Beſchlüſſe des Bundesrathes und des Reichstages Vortrag zu halten. 3) Soweit die eigene Verwaltung des Reiches ſich erſtreckt, iſt der Reichskanzler als Gehülfe und Vertreter des Kaiſers der oberſte Chef und Leiter. In dieſer Beziehung iſt ſeine Stellung völlig entſprechend der Stellung eines Miniſters im Einzelſtaate 2). Jedoch iſt er nicht auf ein einzelnes Reſſort beſchränkt; er hat nicht gleichberechtigte Collegen neben ſich, mit denen er ſich in die Geſchäfte theilt, ſondern ſeine Kompetenz hat denſelben Umfang wie die Verwaltungskompetenz des Reiches. 4) Soweit das Recht der Einzelſtaaten auf Selbſtverwaltung reicht, liegt dem Kaiſer die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgeſetze ob (R.-V. Art. 17) und ebenmäßig dem Reichs- kanzler die hiezu erforderliche Thätigkeit. Beſchwerden und An- zeigen über Verletzungen der Reichsgeſetze in den einzelnen Staa- ten ſind demnach an den Reichskanzler zu richten; er hat die er- forderlichen thatſächlichen Feſtſtellungen zu machen und die Ver- fügungen an die Regierungen zu erlaſſen. Inſoweit der Bundes- rath nach Art. 7 Z. 3 in ſolchen Fällen zur Beſchlußfaſſung kom- petent iſt, hat der Reichskanzler an den Bundesrath eine Vorlage gelangen zu laſſen und für die Ausführung und Befolgung des vom Bundesrathe gefaßten Beſchluſſes Sorge zu tragen 3). 5) Endlich iſt der Reichskanzler der verantwortliche leitende Miniſter für Elſaß-Lothingen, da durch das Geſetz vom 9. Juni 1871 die Ausübung der Staatsgewalt im Reichslande dem Kaiſer übertragen iſt. Im §. 4 des angef. Geſetzes iſt ausdrücklich an- geordnet, daß alle Anordnungen und Verfügungen des Kaiſers in Ausübung dieſer Staatsgewalt zu ihrer Gültigkeit der Gegen- 1) Geſch.-Ordn. des Reichstages §. 30. 63. 66. 2) Es gehört hierher der Erlaß von Adminiſtrativ-Verordnungen, ſoweit derſelbe durch die Verfaſſung oder Reichsgeſetze dem Kaiſer oder dem Reichs- kanzler direct übertragen iſt; der Erlaß von Inſtruktionen an die Behörden; die Vorbereitung der vom Kaiſer zu vollziehenden Ernennungen und Entlaſſungen von Reichsbeamten; die definitive Entſcheidung auf Beſchwerden über Unter- behörden des Reiches; die Verfügung auf Berichte der Behörden; die Vorbe- reitung der Geſetzesvorlagen und Etats-Entwürfe u. ſ. w. 3) Siehe oben S. 259 fg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/331
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/331>, abgerufen am 24.11.2024.