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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 35. Die selbstständigen Reichs-Finanzbehörden.
Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der Staats-
schulden müssen vor Antritt ihres Amtes in öffentlicher Sitzung
des Obertribunals einen Eid schwören, daß sie sich von Erfüllung
ihrer Pflichten und der ihnen mit eigener Verantwortlichkeit über-
tragenen Obliegenheiten durch keine Anweisungen oder Verord-
nungen irgend einer Art abhalten lassen wollen 1).

Für die Reichsschulden-Verwaltung ist an die Stelle des Preuß.
Finanzministers der Reichskanzler getreten; es ist aber der
Kreis der im §. 6 cit. aufgeführten Geschäfte noch darauf erstreckt
worden, daß eine Konvertirung der Schuldverschreibungen nur auf
Grund eines Gesetzes, und nachdem die etwa erforderlichen Mittel
bewilligt sind, vorgenommen werden darf 2).

Der Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der
Staatsschulden haben zu Protokoll zu erklären, daß sie den von
ihnen nach §. 9 des Preuß. Gesetzes geleisteten Eid auch für die
Verwaltung der Reichsschulden als maaßgebend anerkennen 3)

Durch die im Vorstehenden erwähnten gesetzlichen Bestim-
mungen ist einerseits die Reichsschulden-Verwaltung hinsichtlich des
ihr obliegenden Geschäftskreises mit einer Unabhängigkeit dem
Reichskanzler gegenüber ausgestattet, welche anderen Verwaltungs-
behörden nicht zukommt, indem sie Anordnungen des Reichskanz-
lers, welche mit den gesetzlichen Vorschriften nicht in Einklang
stehen, keine Folge leisten darf; andererseits ist die Verantwort-
lichkeit des Reichskanzlers ausgeschlossen, soweit die eigene, unbe-
dingte Verantwortlichkeit der Reichsschulden-Verwaltung reicht.

Die Stellung dieser Finanzbehörde zum Reichskanzler ist daher
verschieden sowohl von der Stellung der Verwaltungsbehörden als
von der Stellung der richterlichen Behörden. Auf die Geschäfts-
führung der ersteren hat der Reichskanzler vollen und entscheiden-
den Einfluß, sie sind staatsrechtlich lediglich seine Büreaus; auf
die Geschäftsführung der letzteren hat der Reichskanzler materiell
gar keinen Einfluß, sie entscheiden ganz selbstständig nach Maaß-
gabe der Gesetze. Die Reichsschulden-Verwaltung dagegen steht
unter der "oberen Leitung" des Reichskanzlers und kann daher
von ihm Anweisungen erhalten, welche von ihr befolgt werden

1) Preuß. Gesetz vom 24. Februar 1850 §. 9. (Ges.-Samml. S. 59.)
2) Gesetz vom 19. Juni 1868 §. 1.
3) Gesetz vom 19. Juni 1868 §. 3

§. 35. Die ſelbſtſtändigen Reichs-Finanzbehörden.
Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der Staats-
ſchulden müſſen vor Antritt ihres Amtes in öffentlicher Sitzung
des Obertribunals einen Eid ſchwören, daß ſie ſich von Erfüllung
ihrer Pflichten und der ihnen mit eigener Verantwortlichkeit über-
tragenen Obliegenheiten durch keine Anweiſungen oder Verord-
nungen irgend einer Art abhalten laſſen wollen 1).

Für die Reichsſchulden-Verwaltung iſt an die Stelle des Preuß.
Finanzminiſters der Reichskanzler getreten; es iſt aber der
Kreis der im §. 6 cit. aufgeführten Geſchäfte noch darauf erſtreckt
worden, daß eine Konvertirung der Schuldverſchreibungen nur auf
Grund eines Geſetzes, und nachdem die etwa erforderlichen Mittel
bewilligt ſind, vorgenommen werden darf 2).

Der Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der
Staatsſchulden haben zu Protokoll zu erklären, daß ſie den von
ihnen nach §. 9 des Preuß. Geſetzes geleiſteten Eid auch für die
Verwaltung der Reichsſchulden als maaßgebend anerkennen 3)

Durch die im Vorſtehenden erwähnten geſetzlichen Beſtim-
mungen iſt einerſeits die Reichsſchulden-Verwaltung hinſichtlich des
ihr obliegenden Geſchäftskreiſes mit einer Unabhängigkeit dem
Reichskanzler gegenüber ausgeſtattet, welche anderen Verwaltungs-
behörden nicht zukommt, indem ſie Anordnungen des Reichskanz-
lers, welche mit den geſetzlichen Vorſchriften nicht in Einklang
ſtehen, keine Folge leiſten darf; andererſeits iſt die Verantwort-
lichkeit des Reichskanzlers ausgeſchloſſen, ſoweit die eigene, unbe-
dingte Verantwortlichkeit der Reichsſchulden-Verwaltung reicht.

Die Stellung dieſer Finanzbehörde zum Reichskanzler iſt daher
verſchieden ſowohl von der Stellung der Verwaltungsbehörden als
von der Stellung der richterlichen Behörden. Auf die Geſchäfts-
führung der erſteren hat der Reichskanzler vollen und entſcheiden-
den Einfluß, ſie ſind ſtaatsrechtlich lediglich ſeine Büreaus; auf
die Geſchäftsführung der letzteren hat der Reichskanzler materiell
gar keinen Einfluß, ſie entſcheiden ganz ſelbſtſtändig nach Maaß-
gabe der Geſetze. Die Reichsſchulden-Verwaltung dagegen ſteht
unter der „oberen Leitung“ des Reichskanzlers und kann daher
von ihm Anweiſungen erhalten, welche von ihr befolgt werden

1) Preuß. Geſetz vom 24. Februar 1850 §. 9. (Geſ.-Samml. S. 59.)
2) Geſetz vom 19. Juni 1868 §. 1.
3) Geſetz vom 19. Juni 1868 §. 3
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[350/0370] §. 35. Die ſelbſtſtändigen Reichs-Finanzbehörden. Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der Staats- ſchulden müſſen vor Antritt ihres Amtes in öffentlicher Sitzung des Obertribunals einen Eid ſchwören, daß ſie ſich von Erfüllung ihrer Pflichten und der ihnen mit eigener Verantwortlichkeit über- tragenen Obliegenheiten durch keine Anweiſungen oder Verord- nungen irgend einer Art abhalten laſſen wollen 1). Für die Reichsſchulden-Verwaltung iſt an die Stelle des Preuß. Finanzminiſters der Reichskanzler getreten; es iſt aber der Kreis der im §. 6 cit. aufgeführten Geſchäfte noch darauf erſtreckt worden, daß eine Konvertirung der Schuldverſchreibungen nur auf Grund eines Geſetzes, und nachdem die etwa erforderlichen Mittel bewilligt ſind, vorgenommen werden darf 2). Der Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der Staatsſchulden haben zu Protokoll zu erklären, daß ſie den von ihnen nach §. 9 des Preuß. Geſetzes geleiſteten Eid auch für die Verwaltung der Reichsſchulden als maaßgebend anerkennen 3) Durch die im Vorſtehenden erwähnten geſetzlichen Beſtim- mungen iſt einerſeits die Reichsſchulden-Verwaltung hinſichtlich des ihr obliegenden Geſchäftskreiſes mit einer Unabhängigkeit dem Reichskanzler gegenüber ausgeſtattet, welche anderen Verwaltungs- behörden nicht zukommt, indem ſie Anordnungen des Reichskanz- lers, welche mit den geſetzlichen Vorſchriften nicht in Einklang ſtehen, keine Folge leiſten darf; andererſeits iſt die Verantwort- lichkeit des Reichskanzlers ausgeſchloſſen, ſoweit die eigene, unbe- dingte Verantwortlichkeit der Reichsſchulden-Verwaltung reicht. Die Stellung dieſer Finanzbehörde zum Reichskanzler iſt daher verſchieden ſowohl von der Stellung der Verwaltungsbehörden als von der Stellung der richterlichen Behörden. Auf die Geſchäfts- führung der erſteren hat der Reichskanzler vollen und entſcheiden- den Einfluß, ſie ſind ſtaatsrechtlich lediglich ſeine Büreaus; auf die Geſchäftsführung der letzteren hat der Reichskanzler materiell gar keinen Einfluß, ſie entſcheiden ganz ſelbſtſtändig nach Maaß- gabe der Geſetze. Die Reichsſchulden-Verwaltung dagegen ſteht unter der „oberen Leitung“ des Reichskanzlers und kann daher von ihm Anweiſungen erhalten, welche von ihr befolgt werden 1) Preuß. Geſetz vom 24. Februar 1850 §. 9. (Geſ.-Samml. S. 59.) 2) Geſetz vom 19. Juni 1868 §. 1. 3) Geſetz vom 19. Juni 1868 §. 3

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/370>, abgerufen am 22.11.2024.