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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 40. Die Pflichten u. Beschränkungen der Reichsbeamten.
lich auf die formelle Rechtmäßigkeit der ihm ertheilten Vorschriften
und zerlegt sich in 3 Fragen: Ist die befehlende Behörde compe-
tent, den Befehl zu erlassen? Ist der beauftragte Beamte compe-
tent, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen? Ist der Be-
fehl in der vorschriftsmäßigen Form ertheilt worden?

1) Der letzte dieser drei Punkte ist praktisch gewöhnlich von
untergeordneter Wichtigkeit und giebt zu Zweifeln selten Anlaß.
In der Theorie und Gesetzgebung besteht, wenn die Frage über-
haupt berührt wird, kaum eine Meinungs-Verschiedenheit darüber,
daß Befehle oder Verfügungen, welche nicht in vorschriftsmäßiger
amtlicher Form ertheilt werden, keine verbindliche Kraft haben 1).
Es ist jedoch fest zu halten, daß eine allgemeine Regel über die
Form amtlicher Verfügungen nicht besteht, daß vielmehr in zahl-
reichen Fällen mündliche Anordnungen des Vorgesetzten an die
ihm untergebenen Beamten völlig zulässig sind 2).

2) Der Beamte hat selbstständig und mit eigener Verantwort-
lichkeit zu prüfen, ob die ihm zustehende Amtsgewalt ihn ermächtigt,
die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen. Wenn die Vor-
nahme der aufgetragenen Handlung nicht zum Geschäftskreise des
beauftragten Beamten gehört oder ihm nach den für ihn geltenden
Rechtsvorschriften untersagt ist, so ist er weder berechtigt noch ver-
pflichtet, dem Befehl Folge zu leisten. Diese Prüfung erstreckt
sich aber auch nur auf die formelle Seite, d. h. nicht darauf, ob
durch die ihm aufgetragene Handlung materiell das geltende Recht
verwirklicht oder verletzt wird, sondern ob er zur Vornahme der-
artiger Handlungen überhaupt befugt ist, sowohl mit Rücksicht auf
die territoriale Begrenzung seiner Amtsgewalt als auch mit Rück-
sicht auf die sachliche Begrenzung derselben.

Ein Erkenntniß des Preuß. Obertribunals v. 17. Nov.
1871 hat den richtigen Grundsatz aufgestellt, daß ein vollstrecken-

1) Einige Verfassungen, welche diesen Rechtssatz enthalten, stellt Zachariä
II. §. 137 Note 14 zusammen. Vgl. ferner Bluntschli a. a. O. II. S. 137.
v. Mohl a. a. O. v. Pözl Bayr. Verfassungsr. S. 510. Schulze a. a. O.
S. 327.
2) Für alle schriftlichen Verfügungen ist die Unterschrift des zur Vertre-
tung der Behörde legitimirten Beamten erforderlich; für Erkenntnisse die Be-
obachtung der für die Urtheils-Ausfertigungen vorgeschriebenen Formen; für
Verfügungen des Kaisers die Gegenzeichnung des Reichskanzlers.

§. 40. Die Pflichten u. Beſchränkungen der Reichsbeamten.
lich auf die formelle Rechtmäßigkeit der ihm ertheilten Vorſchriften
und zerlegt ſich in 3 Fragen: Iſt die befehlende Behörde compe-
tent, den Befehl zu erlaſſen? Iſt der beauftragte Beamte compe-
tent, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen? Iſt der Be-
fehl in der vorſchriftsmäßigen Form ertheilt worden?

1) Der letzte dieſer drei Punkte iſt praktiſch gewöhnlich von
untergeordneter Wichtigkeit und giebt zu Zweifeln ſelten Anlaß.
In der Theorie und Geſetzgebung beſteht, wenn die Frage über-
haupt berührt wird, kaum eine Meinungs-Verſchiedenheit darüber,
daß Befehle oder Verfügungen, welche nicht in vorſchriftsmäßiger
amtlicher Form ertheilt werden, keine verbindliche Kraft haben 1).
Es iſt jedoch feſt zu halten, daß eine allgemeine Regel über die
Form amtlicher Verfügungen nicht beſteht, daß vielmehr in zahl-
reichen Fällen mündliche Anordnungen des Vorgeſetzten an die
ihm untergebenen Beamten völlig zuläſſig ſind 2).

2) Der Beamte hat ſelbſtſtändig und mit eigener Verantwort-
lichkeit zu prüfen, ob die ihm zuſtehende Amtsgewalt ihn ermächtigt,
die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen. Wenn die Vor-
nahme der aufgetragenen Handlung nicht zum Geſchäftskreiſe des
beauftragten Beamten gehört oder ihm nach den für ihn geltenden
Rechtsvorſchriften unterſagt iſt, ſo iſt er weder berechtigt noch ver-
pflichtet, dem Befehl Folge zu leiſten. Dieſe Prüfung erſtreckt
ſich aber auch nur auf die formelle Seite, d. h. nicht darauf, ob
durch die ihm aufgetragene Handlung materiell das geltende Recht
verwirklicht oder verletzt wird, ſondern ob er zur Vornahme der-
artiger Handlungen überhaupt befugt iſt, ſowohl mit Rückſicht auf
die territoriale Begrenzung ſeiner Amtsgewalt als auch mit Rück-
ſicht auf die ſachliche Begrenzung derſelben.

Ein Erkenntniß des Preuß. Obertribunals v. 17. Nov.
1871 hat den richtigen Grundſatz aufgeſtellt, daß ein vollſtrecken-

1) Einige Verfaſſungen, welche dieſen Rechtsſatz enthalten, ſtellt Zachariä
II. §. 137 Note 14 zuſammen. Vgl. ferner Bluntſchli a. a. O. II. S. 137.
v. Mohl a. a. O. v. Pözl Bayr. Verfaſſungsr. S. 510. Schulze a. a. O.
S. 327.
2) Für alle ſchriftlichen Verfügungen iſt die Unterſchrift des zur Vertre-
tung der Behörde legitimirten Beamten erforderlich; für Erkenntniſſe die Be-
obachtung der für die Urtheils-Ausfertigungen vorgeſchriebenen Formen; für
Verfügungen des Kaiſers die Gegenzeichnung des Reichskanzlers.
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[426/0446] §. 40. Die Pflichten u. Beſchränkungen der Reichsbeamten. lich auf die formelle Rechtmäßigkeit der ihm ertheilten Vorſchriften und zerlegt ſich in 3 Fragen: Iſt die befehlende Behörde compe- tent, den Befehl zu erlaſſen? Iſt der beauftragte Beamte compe- tent, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen? Iſt der Be- fehl in der vorſchriftsmäßigen Form ertheilt worden? 1) Der letzte dieſer drei Punkte iſt praktiſch gewöhnlich von untergeordneter Wichtigkeit und giebt zu Zweifeln ſelten Anlaß. In der Theorie und Geſetzgebung beſteht, wenn die Frage über- haupt berührt wird, kaum eine Meinungs-Verſchiedenheit darüber, daß Befehle oder Verfügungen, welche nicht in vorſchriftsmäßiger amtlicher Form ertheilt werden, keine verbindliche Kraft haben 1). Es iſt jedoch feſt zu halten, daß eine allgemeine Regel über die Form amtlicher Verfügungen nicht beſteht, daß vielmehr in zahl- reichen Fällen mündliche Anordnungen des Vorgeſetzten an die ihm untergebenen Beamten völlig zuläſſig ſind 2). 2) Der Beamte hat ſelbſtſtändig und mit eigener Verantwort- lichkeit zu prüfen, ob die ihm zuſtehende Amtsgewalt ihn ermächtigt, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen. Wenn die Vor- nahme der aufgetragenen Handlung nicht zum Geſchäftskreiſe des beauftragten Beamten gehört oder ihm nach den für ihn geltenden Rechtsvorſchriften unterſagt iſt, ſo iſt er weder berechtigt noch ver- pflichtet, dem Befehl Folge zu leiſten. Dieſe Prüfung erſtreckt ſich aber auch nur auf die formelle Seite, d. h. nicht darauf, ob durch die ihm aufgetragene Handlung materiell das geltende Recht verwirklicht oder verletzt wird, ſondern ob er zur Vornahme der- artiger Handlungen überhaupt befugt iſt, ſowohl mit Rückſicht auf die territoriale Begrenzung ſeiner Amtsgewalt als auch mit Rück- ſicht auf die ſachliche Begrenzung derſelben. Ein Erkenntniß des Preuß. Obertribunals v. 17. Nov. 1871 hat den richtigen Grundſatz aufgeſtellt, daß ein vollſtrecken- 1) Einige Verfaſſungen, welche dieſen Rechtsſatz enthalten, ſtellt Zachariä II. §. 137 Note 14 zuſammen. Vgl. ferner Bluntſchli a. a. O. II. S. 137. v. Mohl a. a. O. v. Pözl Bayr. Verfaſſungsr. S. 510. Schulze a. a. O. S. 327. 2) Für alle ſchriftlichen Verfügungen iſt die Unterſchrift des zur Vertre- tung der Behörde legitimirten Beamten erforderlich; für Erkenntniſſe die Be- obachtung der für die Urtheils-Ausfertigungen vorgeſchriebenen Formen; für Verfügungen des Kaiſers die Gegenzeichnung des Reichskanzlers.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/446>, abgerufen am 25.11.2024.