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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 45. Die Beendigung des Dienstverhältnisses.

2) Der Staat hat dagegen der Regel nach nicht das Recht,
das Dienstverhältniß einseitig zu lösen. Zahlreiche praktische
Gründe sprechen gegen dieses Recht 1). Juristisch ist die Folge-
rung nicht begründet, daß, weil der Beamte jederzeit aus dem
Dienste zu scheiden berechtigt ist, auch der Staat befugt sein müsse,
ihn jederzeit zu entlassen; denn durch den Anstellungsvertrag ent-
stehen durchaus ungleiche Rechte und Pflichten für Staat und
Beamten. Der Staat hat im Wesentlichen keine andere Leistung
als die Zahlung des Gehaltes zu gewähren, der Beamte setzt seine
Persönlichkeit und in der Mehrzahl der Fälle seine ganze Lebens-
thätigkeit ein; das Interesse des Staates ist überdies gewahrt
durch das Recht, einseitig das Dienstverhältniß im Wege des
Disciplinarverfahrens aufzuheben. Das Reichsbeamten-Gesetz hat
daher im §. 2 die Bestimmung getroffen, daß die Reichsbeamten
als auf Lebenszeit angestellt gelten, soweit die Anstellung der
Reichsbeamten nicht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt
des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt 2).

Von diesem Vorbehalt wird nach einer aus der Preußischen
Verwaltungspraxis 3) herübergenommenen Regel Gebrauch gemacht
bei denjenigen Unterbeamten, deren Dienst keine Ausbildung er-
fordert, sondern größtentheils nur mechanisch ist 4). Außerdem
giebt es einige Kategorien von Beamten im Ressort des Auswärtigen
Amtes, der Marine- und Militär-Verwaltung, der Post- und Tele-
graphen-Verwaltung und der Verwaltung der Reichseisenbahnen,
welche auf Probe, Kündigung oder Widerruf angestellt werden 5).


1) Es bedarf keiner Wiederholung derselben, da die Frage für das Reichs-
recht entschieden ist. In älterer Zeit ist sie Gegenstand der vielseitigsten Er-
örterungen geworden. Eine Uebersicht der Literatur und der in derselben auf-
gestellten Ansichten giebt Zachariä II. §. 143 ff; kürzer auch Schulze I.
S. 349. Vgl. ferner Welcker's Artikel "Staatsdienst" in seinem Staats-
lexikon und L. v. Stein Verwaltungslehre I. 1. S. 241 fg. 246.
2) Auch bei den Beamten der Einzelstaaten spricht eine Rechtsvermuthung
für die Lebenslänglichkeit der Anstellung, vgl. Pfeiffer Prakt. Ausf. Bd. V.
S. 259 Nro. 9.
3) Regierungs-Instrukt. v. 23. Oktob. 1817 §. 12. Vgl. von Rönne
Preuß. Staatsr. II. 1 S. 410. (§. 330 IV.)
4) Stenogr. Berichte des Reichstags 1872. I. S. 133. 134.
5) Der Reichskanzler hat dem Reichstage 1872 das Verzeichniß dieser
Beamten vorgelegt. Drucksachen des Reichstages Nro. 144.
§. 45. Die Beendigung des Dienſtverhältniſſes.

2) Der Staat hat dagegen der Regel nach nicht das Recht,
das Dienſtverhältniß einſeitig zu löſen. Zahlreiche praktiſche
Gründe ſprechen gegen dieſes Recht 1). Juriſtiſch iſt die Folge-
rung nicht begründet, daß, weil der Beamte jederzeit aus dem
Dienſte zu ſcheiden berechtigt iſt, auch der Staat befugt ſein müſſe,
ihn jederzeit zu entlaſſen; denn durch den Anſtellungsvertrag ent-
ſtehen durchaus ungleiche Rechte und Pflichten für Staat und
Beamten. Der Staat hat im Weſentlichen keine andere Leiſtung
als die Zahlung des Gehaltes zu gewähren, der Beamte ſetzt ſeine
Perſönlichkeit und in der Mehrzahl der Fälle ſeine ganze Lebens-
thätigkeit ein; das Intereſſe des Staates iſt überdies gewahrt
durch das Recht, einſeitig das Dienſtverhältniß im Wege des
Disciplinarverfahrens aufzuheben. Das Reichsbeamten-Geſetz hat
daher im §. 2 die Beſtimmung getroffen, daß die Reichsbeamten
als auf Lebenszeit angeſtellt gelten, ſoweit die Anſtellung der
Reichsbeamten nicht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt
des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt 2).

Von dieſem Vorbehalt wird nach einer aus der Preußiſchen
Verwaltungspraxis 3) herübergenommenen Regel Gebrauch gemacht
bei denjenigen Unterbeamten, deren Dienſt keine Ausbildung er-
fordert, ſondern größtentheils nur mechaniſch iſt 4). Außerdem
giebt es einige Kategorien von Beamten im Reſſort des Auswärtigen
Amtes, der Marine- und Militär-Verwaltung, der Poſt- und Tele-
graphen-Verwaltung und der Verwaltung der Reichseiſenbahnen,
welche auf Probe, Kündigung oder Widerruf angeſtellt werden 5).


1) Es bedarf keiner Wiederholung derſelben, da die Frage für das Reichs-
recht entſchieden iſt. In älterer Zeit iſt ſie Gegenſtand der vielſeitigſten Er-
örterungen geworden. Eine Ueberſicht der Literatur und der in derſelben auf-
geſtellten Anſichten giebt Zachariä II. §. 143 ff; kürzer auch Schulze I.
S. 349. Vgl. ferner Welcker’s Artikel „Staatsdienſt“ in ſeinem Staats-
lexikon und L. v. Stein Verwaltungslehre I. 1. S. 241 fg. 246.
2) Auch bei den Beamten der Einzelſtaaten ſpricht eine Rechtsvermuthung
für die Lebenslänglichkeit der Anſtellung, vgl. Pfeiffer Prakt. Ausf. Bd. V.
S. 259 Nro. 9.
3) Regierungs-Inſtrukt. v. 23. Oktob. 1817 §. 12. Vgl. von Rönne
Preuß. Staatsr. II. 1 S. 410. (§. 330 IV.)
4) Stenogr. Berichte des Reichstags 1872. I. S. 133. 134.
5) Der Reichskanzler hat dem Reichstage 1872 das Verzeichniß dieſer
Beamten vorgelegt. Druckſachen des Reichstages Nro. 144.
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[489/0509] §. 45. Die Beendigung des Dienſtverhältniſſes. 2) Der Staat hat dagegen der Regel nach nicht das Recht, das Dienſtverhältniß einſeitig zu löſen. Zahlreiche praktiſche Gründe ſprechen gegen dieſes Recht 1). Juriſtiſch iſt die Folge- rung nicht begründet, daß, weil der Beamte jederzeit aus dem Dienſte zu ſcheiden berechtigt iſt, auch der Staat befugt ſein müſſe, ihn jederzeit zu entlaſſen; denn durch den Anſtellungsvertrag ent- ſtehen durchaus ungleiche Rechte und Pflichten für Staat und Beamten. Der Staat hat im Weſentlichen keine andere Leiſtung als die Zahlung des Gehaltes zu gewähren, der Beamte ſetzt ſeine Perſönlichkeit und in der Mehrzahl der Fälle ſeine ganze Lebens- thätigkeit ein; das Intereſſe des Staates iſt überdies gewahrt durch das Recht, einſeitig das Dienſtverhältniß im Wege des Disciplinarverfahrens aufzuheben. Das Reichsbeamten-Geſetz hat daher im §. 2 die Beſtimmung getroffen, daß die Reichsbeamten als auf Lebenszeit angeſtellt gelten, ſoweit die Anſtellung der Reichsbeamten nicht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt 2). Von dieſem Vorbehalt wird nach einer aus der Preußiſchen Verwaltungspraxis 3) herübergenommenen Regel Gebrauch gemacht bei denjenigen Unterbeamten, deren Dienſt keine Ausbildung er- fordert, ſondern größtentheils nur mechaniſch iſt 4). Außerdem giebt es einige Kategorien von Beamten im Reſſort des Auswärtigen Amtes, der Marine- und Militär-Verwaltung, der Poſt- und Tele- graphen-Verwaltung und der Verwaltung der Reichseiſenbahnen, welche auf Probe, Kündigung oder Widerruf angeſtellt werden 5). 1) Es bedarf keiner Wiederholung derſelben, da die Frage für das Reichs- recht entſchieden iſt. In älterer Zeit iſt ſie Gegenſtand der vielſeitigſten Er- örterungen geworden. Eine Ueberſicht der Literatur und der in derſelben auf- geſtellten Anſichten giebt Zachariä II. §. 143 ff; kürzer auch Schulze I. S. 349. Vgl. ferner Welcker’s Artikel „Staatsdienſt“ in ſeinem Staats- lexikon und L. v. Stein Verwaltungslehre I. 1. S. 241 fg. 246. 2) Auch bei den Beamten der Einzelſtaaten ſpricht eine Rechtsvermuthung für die Lebenslänglichkeit der Anſtellung, vgl. Pfeiffer Prakt. Ausf. Bd. V. S. 259 Nro. 9. 3) Regierungs-Inſtrukt. v. 23. Oktob. 1817 §. 12. Vgl. von Rönne Preuß. Staatsr. II. 1 S. 410. (§. 330 IV.) 4) Stenogr. Berichte des Reichstags 1872. I. S. 133. 134. 5) Der Reichskanzler hat dem Reichstage 1872 das Verzeichniß dieſer Beamten vorgelegt. Druckſachen des Reichstages Nro. 144.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/509>, abgerufen am 22.11.2024.