Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. die Norddeutsche Bundesverfassung -- folgt deren Wortlaut --unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die Gesetzeskraft erlangt hat." Indem der König dies "zur öffent- lichen Kenntniß bringt," erklärt er zugleich, die durch die Verfas- sung ihm übertragenen Rechte, Befugnisse und Pflichten zu über- nehmen 1). Der Vorgang der Gründung kann auch nicht Anders gedacht 1) Vgl. auch G. Meyer Staatsr. Erörterungen S. 60. 61. 2) Thudichum S. 51 construirt die Entstehung des Nordd. Bundes in anderer Art. Er sagt: "Dieser Bundesstaat ist am 1. Juli 1867 ins Leben getreten vermöge Vereinbarung aller betheiligten Regierungen mit dem aus allgemeinen directen Wahlen hervorgegangenen Reichstag des Bundes, eine Vereinbarung, welche für jedes Bundesland ihre besondere Gültigkeit erlangt hat durch die verfassungsmäßige Zustimmung der Landesvertretung desselben und die Verkündigung im Landesgesetzblatt." Dies beruht auf einem höchst sonderbaren Mißverständniß. Darnach soll nämlich der Norddeutsche Bund beruhen auf einer Vereinbarung, welche zwischen den verbündeten Regierungen einerseits und dem berathenden Reichstage andererseits zu Stande gekommen ist. Der Reichstag aber konnte nicht contrahiren, er war kein Rechtssubject, er vertrat keinen Staat, er vertrat nicht einmal im eigentlichen Sinne des Staatsrechts das Volk; denn eine staatsrechtlich wirksame Vertretung des Volkes setzt die staatliche Organisation desselben schon voraus. Politisch kam dem berathenden Reichstage die Autorität eines Parlaments im vollsten Laband, Reichsstaatsrecht. I. 3
§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. die Norddeutſche Bundesverfaſſung — folgt deren Wortlaut —unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die Geſetzeskraft erlangt hat.“ Indem der König dies „zur öffent- lichen Kenntniß bringt,“ erklärt er zugleich, die durch die Verfaſ- ſung ihm übertragenen Rechte, Befugniſſe und Pflichten zu über- nehmen 1). Der Vorgang der Gründung kann auch nicht Anders gedacht 1) Vgl. auch G. Meyer Staatsr. Erörterungen S. 60. 61. 2) Thudichum S. 51 conſtruirt die Entſtehung des Nordd. Bundes in anderer Art. Er ſagt: „Dieſer Bundesſtaat iſt am 1. Juli 1867 ins Leben getreten vermöge Vereinbarung aller betheiligten Regierungen mit dem aus allgemeinen directen Wahlen hervorgegangenen Reichstag des Bundes, eine Vereinbarung, welche für jedes Bundesland ihre beſondere Gültigkeit erlangt hat durch die verfaſſungsmäßige Zuſtimmung der Landesvertretung deſſelben und die Verkündigung im Landesgeſetzblatt.“ Dies beruht auf einem höchſt ſonderbaren Mißverſtändniß. Darnach ſoll nämlich der Norddeutſche Bund beruhen auf einer Vereinbarung, welche zwiſchen den verbündeten Regierungen einerſeits und dem berathenden Reichstage andererſeits zu Stande gekommen iſt. Der Reichstag aber konnte nicht contrahiren, er war kein Rechtsſubject, er vertrat keinen Staat, er vertrat nicht einmal im eigentlichen Sinne des Staatsrechts das Volk; denn eine ſtaatsrechtlich wirkſame Vertretung des Volkes ſetzt die ſtaatliche Organiſation deſſelben ſchon voraus. Politiſch kam dem berathenden Reichstage die Autorität eines Parlaments im vollſten Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="33"/><fw place="top" type="header">§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.</fw><lb/> die Norddeutſche Bundesverfaſſung — folgt deren Wortlaut —<lb/> unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die<lb/> Geſetzeskraft <hi rendition="#g">erlangt hat</hi>.“ Indem der König dies „zur öffent-<lb/> lichen Kenntniß bringt,“ erklärt er zugleich, die durch die Verfaſ-<lb/> ſung ihm übertragenen Rechte, Befugniſſe und Pflichten zu über-<lb/> nehmen <note place="foot" n="1)">Vgl. auch G. <hi rendition="#g">Meyer</hi> Staatsr. Erörterungen S. 60. 61.</note>.</p><lb/> <p>Der Vorgang der Gründung kann auch nicht Anders gedacht<lb/> werden. Der norddeutſche Bund konnte ohne eine beſtimmte Ver-<lb/> faſſung nicht zur Exiſtenz kommen und folglich konnte die Sanction<lb/> dieſer Verfaſſung nicht von ihm ausgehen. Das Problem, daß<lb/> ein erſt zu gründendes Staatsgebilde ſich ſelbſt die Bedingungen<lb/> ſeiner Entſtehung ſchafft, gleicht der Quadratur des Cirkels. Der<lb/> Bund wurde in das Leben gerufen von Staaten, die vor ihm da<lb/> waren und ſich zu dieſem Zwecke vereinigt hatten: <hi rendition="#g">ſie</hi> haben ihm<lb/> ſeine Verfaſſung gegeben; er hat gleich bei ſeiner Geburt ſeine<lb/> Konſtitution und Organiſation mit auf die Welt gebracht. Aber<lb/> ſie haben dieſe Verfaſſung <hi rendition="#g">ihm</hi> gegeben, nicht ſich ſelbſt; daraus<lb/> folgt, daß dieſe Gründung nicht unter den Geſichtspunkt des Lan-<lb/> desgeſetzes gebracht werden darf, ſondern als eine freie Willens-<lb/> that aller bei der Gründung betheiligter Staaten aufzufaſſen iſt.<lb/> Zur Vornahme derſelben war für den Souverain jedes Staates<lb/> die Zuſtimmung der Landesvertretung erforderlich, und aus dieſem<lb/> Grunde ergab ſich die Nothwendigkeit, daß der Willensentſchluß<lb/> des Staates <hi rendition="#g">in der Form</hi> des Geſetzes erklärt werden mußte <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Thudichum</hi> S. 51 conſtruirt die Entſtehung des Nordd. Bundes in<lb/> anderer Art. Er ſagt: „Dieſer Bundesſtaat iſt am 1. Juli 1867 ins Leben<lb/> getreten vermöge Vereinbarung aller betheiligten Regierungen mit dem aus<lb/> allgemeinen directen Wahlen hervorgegangenen Reichstag des Bundes, eine<lb/> Vereinbarung, welche für jedes Bundesland ihre beſondere Gültigkeit erlangt<lb/> hat durch die verfaſſungsmäßige Zuſtimmung der Landesvertretung deſſelben<lb/> und die Verkündigung im Landesgeſetzblatt.“ Dies beruht auf einem höchſt<lb/> ſonderbaren Mißverſtändniß. Darnach ſoll nämlich der Norddeutſche Bund<lb/> beruhen auf einer Vereinbarung, welche zwiſchen den verbündeten Regierungen<lb/> einerſeits und dem berathenden Reichstage andererſeits zu Stande gekommen<lb/> iſt. Der Reichstag aber konnte nicht contrahiren, er war kein Rechtsſubject,<lb/> er vertrat keinen Staat, er vertrat nicht einmal im eigentlichen Sinne des<lb/> Staatsrechts das Volk; denn eine ſtaatsrechtlich wirkſame Vertretung des<lb/> Volkes ſetzt die ſtaatliche Organiſation deſſelben ſchon voraus. <hi rendition="#g">Politiſch</hi><lb/> kam dem berathenden Reichstage die Autorität eines Parlaments im vollſten</note>.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Laband</hi>, Reichsſtaatsrecht. <hi rendition="#aq">I</hi>. 3</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [33/0053]
§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
die Norddeutſche Bundesverfaſſung — folgt deren Wortlaut —
unter dem 25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die
Geſetzeskraft erlangt hat.“ Indem der König dies „zur öffent-
lichen Kenntniß bringt,“ erklärt er zugleich, die durch die Verfaſ-
ſung ihm übertragenen Rechte, Befugniſſe und Pflichten zu über-
nehmen 1).
Der Vorgang der Gründung kann auch nicht Anders gedacht
werden. Der norddeutſche Bund konnte ohne eine beſtimmte Ver-
faſſung nicht zur Exiſtenz kommen und folglich konnte die Sanction
dieſer Verfaſſung nicht von ihm ausgehen. Das Problem, daß
ein erſt zu gründendes Staatsgebilde ſich ſelbſt die Bedingungen
ſeiner Entſtehung ſchafft, gleicht der Quadratur des Cirkels. Der
Bund wurde in das Leben gerufen von Staaten, die vor ihm da
waren und ſich zu dieſem Zwecke vereinigt hatten: ſie haben ihm
ſeine Verfaſſung gegeben; er hat gleich bei ſeiner Geburt ſeine
Konſtitution und Organiſation mit auf die Welt gebracht. Aber
ſie haben dieſe Verfaſſung ihm gegeben, nicht ſich ſelbſt; daraus
folgt, daß dieſe Gründung nicht unter den Geſichtspunkt des Lan-
desgeſetzes gebracht werden darf, ſondern als eine freie Willens-
that aller bei der Gründung betheiligter Staaten aufzufaſſen iſt.
Zur Vornahme derſelben war für den Souverain jedes Staates
die Zuſtimmung der Landesvertretung erforderlich, und aus dieſem
Grunde ergab ſich die Nothwendigkeit, daß der Willensentſchluß
des Staates in der Form des Geſetzes erklärt werden mußte 2).
1) Vgl. auch G. Meyer Staatsr. Erörterungen S. 60. 61.
2) Thudichum S. 51 conſtruirt die Entſtehung des Nordd. Bundes in
anderer Art. Er ſagt: „Dieſer Bundesſtaat iſt am 1. Juli 1867 ins Leben
getreten vermöge Vereinbarung aller betheiligten Regierungen mit dem aus
allgemeinen directen Wahlen hervorgegangenen Reichstag des Bundes, eine
Vereinbarung, welche für jedes Bundesland ihre beſondere Gültigkeit erlangt
hat durch die verfaſſungsmäßige Zuſtimmung der Landesvertretung deſſelben
und die Verkündigung im Landesgeſetzblatt.“ Dies beruht auf einem höchſt
ſonderbaren Mißverſtändniß. Darnach ſoll nämlich der Norddeutſche Bund
beruhen auf einer Vereinbarung, welche zwiſchen den verbündeten Regierungen
einerſeits und dem berathenden Reichstage andererſeits zu Stande gekommen
iſt. Der Reichstag aber konnte nicht contrahiren, er war kein Rechtsſubject,
er vertrat keinen Staat, er vertrat nicht einmal im eigentlichen Sinne des
Staatsrechts das Volk; denn eine ſtaatsrechtlich wirkſame Vertretung des
Volkes ſetzt die ſtaatliche Organiſation deſſelben ſchon voraus. Politiſch
kam dem berathenden Reichstage die Autorität eines Parlaments im vollſten
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |