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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
die Entscheidung materiell den Charakter eines Urtheils hat, also
nach Grundsätzen des Rechts und der Billigkeit, nicht nach dem
politischen Partei-Interesse, erfolgen sollte, bedarf keiner Ausfüh-
rung; die Gründe für die Abstimmung der einzelnen Reichstags-
Mitglieder sind aber nicht controllirbar.

Um dem Reichstage die Prüfung der Wahlen zu ermöglichen,
sind von dem Wahlkommissar sämmtliche Wahlakten, sowohl über
die Wahlen in den Bezirken als über die Zusammenstellung der
Ergebnisse im Wahlkreise, der Staatsbehörde einzureichen und alle
diese Akten werden durch Vermittelung der Central-Verwaltungs-
behörde der Einzelstaaten dem Reichstage vorgelegt 1).

Über das Verfahren hat die Geschäftsordnung des
Reichstages §§. 3--6 die erforderlichen Bestimmungen getroffen 2).
Nach denselben zerfällt dasselbe in die Vorprüfung und in die
Entscheidung.

1) Die Vorprüfung geschieht in den Abtheilungen. Der
Reichstag wird durch das Loos in sieben Abtheilungen gleicher
Mitgliederzahl getheilt, welche sich ihren Vorsitzenden und Schrift-
führer wählen und ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden
Mitglieder beschlußfähig sind 3). Jeder Abtheilung wird eine mög-
lichst gleiche Anzahl der einzelnen Wahlverhandlungen durch das
Loos zugetheilt. Die Entscheidung erfolgt auf den Bericht
der Abtheilung durch das Plenum des Reichstages.

2) Eine Entscheidung des Plenums muß erfolgen

a) wenn die Abtheilung ein erhebliches Bedenken findet,
b) wenn eine Wahlanfechtung (Protest) vorliegt4),
c) wenn ein Reichstags-Mitglied Einsprache erhebt.

Für die Wahlanfechtungen und Einsprachen besteht eine prä-

1) Wahlreglem. §. 35 und dazu Anlage D.
2) Eine eingehende Darstellung und kritische Beleuchtung dieses Verfahrens
giebt v. Mohl krit. Bemerkungen etc. S. 85 fg. Eine Abänderung ist bereits
im Reichstage von 1874/75 beantragt worden. Vgl. Stenogr. Berichte. An-
lagen II. Nr. 215. (S. 1275).
3) Gesch.-O. §. 2.
4) Über die Frage, ob zur Anfechtung einer Wahl jeder oder nur ein dem
betreffendem Wahlkreise angehöriger Wähler legitimirt sei, enthält die Gesch.-
Ordn. keine Bestimmung. Eine Erörterung darüber enthalten die Stenogr.
Berichte 1874 I. Sess. S. 721 ff., zu einer Entscheidung aber ist der Reichstag
nicht gelangt.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
die Entſcheidung materiell den Charakter eines Urtheils hat, alſo
nach Grundſätzen des Rechts und der Billigkeit, nicht nach dem
politiſchen Partei-Intereſſe, erfolgen ſollte, bedarf keiner Ausfüh-
rung; die Gründe für die Abſtimmung der einzelnen Reichstags-
Mitglieder ſind aber nicht controllirbar.

Um dem Reichstage die Prüfung der Wahlen zu ermöglichen,
ſind von dem Wahlkommiſſar ſämmtliche Wahlakten, ſowohl über
die Wahlen in den Bezirken als über die Zuſammenſtellung der
Ergebniſſe im Wahlkreiſe, der Staatsbehörde einzureichen und alle
dieſe Akten werden durch Vermittelung der Central-Verwaltungs-
behörde der Einzelſtaaten dem Reichstage vorgelegt 1).

Über das Verfahren hat die Geſchäftsordnung des
Reichstages §§. 3—6 die erforderlichen Beſtimmungen getroffen 2).
Nach denſelben zerfällt daſſelbe in die Vorprüfung und in die
Entſcheidung.

1) Die Vorprüfung geſchieht in den Abtheilungen. Der
Reichstag wird durch das Loos in ſieben Abtheilungen gleicher
Mitgliederzahl getheilt, welche ſich ihren Vorſitzenden und Schrift-
führer wählen und ohne Rückſicht auf die Zahl der anweſenden
Mitglieder beſchlußfähig ſind 3). Jeder Abtheilung wird eine mög-
lichſt gleiche Anzahl der einzelnen Wahlverhandlungen durch das
Loos zugetheilt. Die Entſcheidung erfolgt auf den Bericht
der Abtheilung durch das Plenum des Reichstages.

2) Eine Entſcheidung des Plenums muß erfolgen

a) wenn die Abtheilung ein erhebliches Bedenken findet,
b) wenn eine Wahlanfechtung (Proteſt) vorliegt4),
c) wenn ein Reichstags-Mitglied Einſprache erhebt.

Für die Wahlanfechtungen und Einſprachen beſteht eine prä-

1) Wahlreglem. §. 35 und dazu Anlage D.
2) Eine eingehende Darſtellung und kritiſche Beleuchtung dieſes Verfahrens
giebt v. Mohl krit. Bemerkungen ꝛc. S. 85 fg. Eine Abänderung iſt bereits
im Reichstage von 1874/75 beantragt worden. Vgl. Stenogr. Berichte. An-
lagen II. Nr. 215. (S. 1275).
3) Geſch.-O. §. 2.
4) Über die Frage, ob zur Anfechtung einer Wahl jeder oder nur ein dem
betreffendem Wahlkreiſe angehöriger Wähler legitimirt ſei, enthält die Geſch.-
Ordn. keine Beſtimmung. Eine Erörterung darüber enthalten die Stenogr.
Berichte 1874 I. Seſſ. S. 721 ff., zu einer Entſcheidung aber iſt der Reichstag
nicht gelangt.
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[553/0573] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. die Entſcheidung materiell den Charakter eines Urtheils hat, alſo nach Grundſätzen des Rechts und der Billigkeit, nicht nach dem politiſchen Partei-Intereſſe, erfolgen ſollte, bedarf keiner Ausfüh- rung; die Gründe für die Abſtimmung der einzelnen Reichstags- Mitglieder ſind aber nicht controllirbar. Um dem Reichstage die Prüfung der Wahlen zu ermöglichen, ſind von dem Wahlkommiſſar ſämmtliche Wahlakten, ſowohl über die Wahlen in den Bezirken als über die Zuſammenſtellung der Ergebniſſe im Wahlkreiſe, der Staatsbehörde einzureichen und alle dieſe Akten werden durch Vermittelung der Central-Verwaltungs- behörde der Einzelſtaaten dem Reichstage vorgelegt 1). Über das Verfahren hat die Geſchäftsordnung des Reichstages §§. 3—6 die erforderlichen Beſtimmungen getroffen 2). Nach denſelben zerfällt daſſelbe in die Vorprüfung und in die Entſcheidung. 1) Die Vorprüfung geſchieht in den Abtheilungen. Der Reichstag wird durch das Loos in ſieben Abtheilungen gleicher Mitgliederzahl getheilt, welche ſich ihren Vorſitzenden und Schrift- führer wählen und ohne Rückſicht auf die Zahl der anweſenden Mitglieder beſchlußfähig ſind 3). Jeder Abtheilung wird eine mög- lichſt gleiche Anzahl der einzelnen Wahlverhandlungen durch das Loos zugetheilt. Die Entſcheidung erfolgt auf den Bericht der Abtheilung durch das Plenum des Reichstages. 2) Eine Entſcheidung des Plenums muß erfolgen a) wenn die Abtheilung ein erhebliches Bedenken findet, b) wenn eine Wahlanfechtung (Proteſt) vorliegt 4), c) wenn ein Reichstags-Mitglied Einſprache erhebt. Für die Wahlanfechtungen und Einſprachen beſteht eine prä- 1) Wahlreglem. §. 35 und dazu Anlage D. 2) Eine eingehende Darſtellung und kritiſche Beleuchtung dieſes Verfahrens giebt v. Mohl krit. Bemerkungen ꝛc. S. 85 fg. Eine Abänderung iſt bereits im Reichstage von 1874/75 beantragt worden. Vgl. Stenogr. Berichte. An- lagen II. Nr. 215. (S. 1275). 3) Geſch.-O. §. 2. 4) Über die Frage, ob zur Anfechtung einer Wahl jeder oder nur ein dem betreffendem Wahlkreiſe angehöriger Wähler legitimirt ſei, enthält die Geſch.- Ordn. keine Beſtimmung. Eine Erörterung darüber enthalten die Stenogr. Berichte 1874 I. Seſſ. S. 721 ff., zu einer Entſcheidung aber iſt der Reichstag nicht gelangt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/573>, abgerufen am 22.11.2024.