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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
aber bedeutet die Unterscheidung zwischen Reichsverwaltung und
Landesverwaltung das Maaß der Decentralisation der Verwaltung.
Es wird dies sofort anschaulich, wenn man sich denkt, daß das
Reich noch andere reichsländische Gebiete hätte, welche es in der-
selben Weise wie Elsaß-Lothringen verwalten würde. Alsdann
wären die Zweige der Reichsverwaltung für das ganze Gebiet
des Reiches centralisirt und nur nach Ressorts vertheilt, die
Zweige der Landesverwaltung dagegen für jedes einzelne Reichs-
land gesondert und nach dem Provinzialsystem gegliedert, wie
dies noch bis in den Anfang dieses Jahrhunderts theilweise in der
Preußischen Monarchie der Fall war 1). Der Umstand allein, daß
das Reich nur ein einziges Reichsland hat, verhüllt die Thatsache,
daß die Landesverwaltung von Elsaß-Lothringen decentralisirte
Reichsverwaltung, daß sie nicht Staatsverwaltung eines Bundes-
gliedes, sondern Provinzialverwaltung des Reiches ist 2).

IV. Ganz ähnliche Grundsätze gelten hinsichtlich der Gesetz-
gebung
. Eine Autonomie in dem Sinne von Selbstgesetz-
gebungs-Recht, wie sie den Einzelstaaten zusteht, hat das Reichs-
land nicht und es ist unmöglich, ihm dieselbe zu verleihen, so lange
es eben Reichsland ist. Elsaß-Lothringen giebt sich seine Gesetze
nicht selbst, sondern es empfängt sie von dem Reiche. Das Ver-
einigungsgesetz vom 9. Junt 1871 §. 3 Abs. 4 erklärt dies mit
größter Bestimmtheit:
"Nach Einführung der Reichsverfassung 3) steht bis zu
anderweitiger Regelung durch Reichsgesetz das Recht der
Gesetzgebung auch in den der Reichsgesetzgebung in den
Bundesstaaten nicht unterliegenden Angelegenheiten dem
Reiche zu."

Es ist nicht nothwendig, daß die Gesetzgebung für Elsaß-

1) Vgl. oben S. 291 über den Unterschied, welcher zwischen dem Geschäfts-
kreis des Bundesraths-Ausschusses für E.-L. und den Geschäftskreisen der übri-
gen Ausschüsse besteht.
2) Das Ges. v. 30. Dez. 1871 über die Einrichtung der Verwaltung (G.-
Bl. 1872 S. 49) spricht im §. 5 ganz richtig von "Behörden der Landesver-
waltung"; d. h. es sind Reichs behörden zum Zwecke der Landesverwal-
tung.
3) Bis zu diesem Zeitpunkt war die Gesetzgebung dem Kaiser delegirt,
welcher bei Ausübung dieses Rechtes an die Zustimmung des Bundesrathes
gebunden war. Ges. v. 9. Juni 1871 §. 3. Abs. 2.

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
aber bedeutet die Unterſcheidung zwiſchen Reichsverwaltung und
Landesverwaltung das Maaß der Decentraliſation der Verwaltung.
Es wird dies ſofort anſchaulich, wenn man ſich denkt, daß das
Reich noch andere reichsländiſche Gebiete hätte, welche es in der-
ſelben Weiſe wie Elſaß-Lothringen verwalten würde. Alsdann
wären die Zweige der Reichsverwaltung für das ganze Gebiet
des Reiches centraliſirt und nur nach Reſſorts vertheilt, die
Zweige der Landesverwaltung dagegen für jedes einzelne Reichs-
land geſondert und nach dem Provinzialſyſtem gegliedert, wie
dies noch bis in den Anfang dieſes Jahrhunderts theilweiſe in der
Preußiſchen Monarchie der Fall war 1). Der Umſtand allein, daß
das Reich nur ein einziges Reichsland hat, verhüllt die Thatſache,
daß die Landesverwaltung von Elſaß-Lothringen decentraliſirte
Reichsverwaltung, daß ſie nicht Staatsverwaltung eines Bundes-
gliedes, ſondern Provinzialverwaltung des Reiches iſt 2).

IV. Ganz ähnliche Grundſätze gelten hinſichtlich der Geſetz-
gebung
. Eine Autonomie in dem Sinne von Selbſtgeſetz-
gebungs-Recht, wie ſie den Einzelſtaaten zuſteht, hat das Reichs-
land nicht und es iſt unmöglich, ihm dieſelbe zu verleihen, ſo lange
es eben Reichsland iſt. Elſaß-Lothringen giebt ſich ſeine Geſetze
nicht ſelbſt, ſondern es empfängt ſie von dem Reiche. Das Ver-
einigungsgeſetz vom 9. Junt 1871 §. 3 Abſ. 4 erklärt dies mit
größter Beſtimmtheit:
„Nach Einführung der Reichsverfaſſung 3) ſteht bis zu
anderweitiger Regelung durch Reichsgeſetz das Recht der
Geſetzgebung auch in den der Reichsgeſetzgebung in den
Bundesſtaaten nicht unterliegenden Angelegenheiten dem
Reiche zu.“

Es iſt nicht nothwendig, daß die Geſetzgebung für Elſaß-

1) Vgl. oben S. 291 über den Unterſchied, welcher zwiſchen dem Geſchäfts-
kreis des Bundesraths-Ausſchuſſes für E.-L. und den Geſchäftskreiſen der übri-
gen Ausſchüſſe beſteht.
2) Das Geſ. v. 30. Dez. 1871 über die Einrichtung der Verwaltung (G.-
Bl. 1872 S. 49) ſpricht im §. 5 ganz richtig von „Behörden der Landesver-
waltung“; d. h. es ſind Reichs behörden zum Zwecke der Landesverwal-
tung.
3) Bis zu dieſem Zeitpunkt war die Geſetzgebung dem Kaiſer delegirt,
welcher bei Ausübung dieſes Rechtes an die Zuſtimmung des Bundesrathes
gebunden war. Geſ. v. 9. Juni 1871 §. 3. Abſ. 2.
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[588/0608] §. 54. Bundesglied und Reichsland. aber bedeutet die Unterſcheidung zwiſchen Reichsverwaltung und Landesverwaltung das Maaß der Decentraliſation der Verwaltung. Es wird dies ſofort anſchaulich, wenn man ſich denkt, daß das Reich noch andere reichsländiſche Gebiete hätte, welche es in der- ſelben Weiſe wie Elſaß-Lothringen verwalten würde. Alsdann wären die Zweige der Reichsverwaltung für das ganze Gebiet des Reiches centraliſirt und nur nach Reſſorts vertheilt, die Zweige der Landesverwaltung dagegen für jedes einzelne Reichs- land geſondert und nach dem Provinzialſyſtem gegliedert, wie dies noch bis in den Anfang dieſes Jahrhunderts theilweiſe in der Preußiſchen Monarchie der Fall war 1). Der Umſtand allein, daß das Reich nur ein einziges Reichsland hat, verhüllt die Thatſache, daß die Landesverwaltung von Elſaß-Lothringen decentraliſirte Reichsverwaltung, daß ſie nicht Staatsverwaltung eines Bundes- gliedes, ſondern Provinzialverwaltung des Reiches iſt 2). IV. Ganz ähnliche Grundſätze gelten hinſichtlich der Geſetz- gebung. Eine Autonomie in dem Sinne von Selbſtgeſetz- gebungs-Recht, wie ſie den Einzelſtaaten zuſteht, hat das Reichs- land nicht und es iſt unmöglich, ihm dieſelbe zu verleihen, ſo lange es eben Reichsland iſt. Elſaß-Lothringen giebt ſich ſeine Geſetze nicht ſelbſt, ſondern es empfängt ſie von dem Reiche. Das Ver- einigungsgeſetz vom 9. Junt 1871 §. 3 Abſ. 4 erklärt dies mit größter Beſtimmtheit: „Nach Einführung der Reichsverfaſſung 3) ſteht bis zu anderweitiger Regelung durch Reichsgeſetz das Recht der Geſetzgebung auch in den der Reichsgeſetzgebung in den Bundesſtaaten nicht unterliegenden Angelegenheiten dem Reiche zu.“ Es iſt nicht nothwendig, daß die Geſetzgebung für Elſaß- 1) Vgl. oben S. 291 über den Unterſchied, welcher zwiſchen dem Geſchäfts- kreis des Bundesraths-Ausſchuſſes für E.-L. und den Geſchäftskreiſen der übri- gen Ausſchüſſe beſteht. 2) Das Geſ. v. 30. Dez. 1871 über die Einrichtung der Verwaltung (G.- Bl. 1872 S. 49) ſpricht im §. 5 ganz richtig von „Behörden der Landesver- waltung“; d. h. es ſind Reichs behörden zum Zwecke der Landesverwal- tung. 3) Bis zu dieſem Zeitpunkt war die Geſetzgebung dem Kaiſer delegirt, welcher bei Ausübung dieſes Rechtes an die Zuſtimmung des Bundesrathes gebunden war. Geſ. v. 9. Juni 1871 §. 3. Abſ. 2.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/608>, abgerufen am 24.11.2024.