Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 59. Die Verordnungen des Reichs. das Wort Reichsgesetz in einem ganz andern Sinne zu verstehenund diesem Ausdruck in derselben Zeile der Reichsverfassung zwei verschiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieser zweite Satz be- schränkt sich nicht auf die formellen Gesetze, von denen erst Art. 5 der R.-V. spricht, sondern er schreibt für alle vom Reiche erlas- senen Rechtsvorschriften die Verkündigung mittelst des Reichsgesetz- blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des Reiches, welche nicht im Reichsgesetzblatt verkündigt sind, keine verbindliche Kraft haben. Für die vom Kaiser erlassenen Verordnungen ist übrigens in Den Abdruck der vom Bundesrath sanctionirten Verordnungen Andere Regeln gelten selbstverständlich für diejenigen Verord- 1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs- gesetze ohne Rechtsinhalt im Gesetzblatt verkündigt werden müssen, ist zweifel- los, da die Verkündigung zum "Wege der Gesetzgebung" gehört; daraus ist aber der Rückschluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorschriften ohne Gesetzes- form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen. 2) Unter "Verordnungen" sind aber hier Gesetzgebungsakte zu verstehen, nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entsch. des R.-O.-H.-G. Bd. XV. S. 297. 3) Eine auffallende Ausnahme von dieser Vorschrift bildet die Verordn. v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reisekosten der Personen des Sol- datenstandes "des preußischen Heeres". Obwohl dieselbe vom Minister Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contrasignirt ist, die Finanzen des Reiches berührt und allgemeine Normen aufstellt, welche vermögensrechtliche Ansprüche einzelner Personen gegen die Reichskasse begründen, ist sie nicht im Reichsgesetzblatt verkündet, sondern nur im Centralblatt f. das Deutsche Reich v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden. 4) Gesch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.
§. 59. Die Verordnungen des Reichs. das Wort Reichsgeſetz in einem ganz andern Sinne zu verſtehenund dieſem Ausdruck in derſelben Zeile der Reichsverfaſſung zwei verſchiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieſer zweite Satz be- ſchränkt ſich nicht auf die formellen Geſetze, von denen erſt Art. 5 der R.-V. ſpricht, ſondern er ſchreibt für alle vom Reiche erlaſ- ſenen Rechtsvorſchriften die Verkündigung mittelſt des Reichsgeſetz- blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des Reiches, welche nicht im Reichsgeſetzblatt verkündigt ſind, keine verbindliche Kraft haben. Für die vom Kaiſer erlaſſenen Verordnungen iſt übrigens in Den Abdruck der vom Bundesrath ſanctionirten Verordnungen Andere Regeln gelten ſelbſtverſtändlich für diejenigen Verord- 1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs- geſetze ohne Rechtsinhalt im Geſetzblatt verkündigt werden müſſen, iſt zweifel- los, da die Verkündigung zum „Wege der Geſetzgebung“ gehört; daraus iſt aber der Rückſchluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorſchriften ohne Geſetzes- form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen. 2) Unter „Verordnungen“ ſind aber hier Geſetzgebungsakte zu verſtehen, nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entſch. des R.-O.-H.-G. Bd. XV. S. 297. 3) Eine auffallende Ausnahme von dieſer Vorſchrift bildet die Verordn. v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reiſekoſten der Perſonen des Sol- datenſtandes „des preußiſchen Heeres“. Obwohl dieſelbe vom Miniſter Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contraſignirt iſt, die Finanzen des Reiches berührt und allgemeine Normen aufſtellt, welche vermögensrechtliche Anſprüche einzelner Perſonen gegen die Reichskaſſe begründen, iſt ſie nicht im Reichsgeſetzblatt verkündet, ſondern nur im Centralblatt f. das Deutſche Reich v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden. 4) Geſch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.
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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
das Wort Reichsgeſetz in einem ganz andern Sinne zu verſtehen
und dieſem Ausdruck in derſelben Zeile der Reichsverfaſſung zwei
verſchiedene Bedeutungen beizulegen. Auch dieſer zweite Satz be-
ſchränkt ſich nicht auf die formellen Geſetze, von denen erſt Art. 5
der R.-V. ſpricht, ſondern er ſchreibt für alle vom Reiche erlaſ-
ſenen Rechtsvorſchriften die Verkündigung mittelſt des Reichsgeſetz-
blattes vor 1). Es folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des
Reiches, welche nicht im Reichsgeſetzblatt verkündigt ſind, keine
verbindliche Kraft haben.
Für die vom Kaiſer erlaſſenen Verordnungen iſt übrigens in
der Verordn. v. 26. Juli 1867 (B.-G.-Bl. S. 24) ausdrücklich
vorgeſchrieben worden, daß ſie in dem Reichsgeſetzblatt verkündet
werden ſollen 2). Die Ausführung dieſer Vorſchrift liegt dem Reichs-
kanzler als Miniſter des Kaiſers ob 3).
Den Abdruck der vom Bundesrath ſanctionirten Verordnungen
hat der Reichskanzler als Vorſitzender des Bundesrathes zu ver-
anſtalten. Es folgt dies aus Art. 15 der R.-V.; da zu der ihm
obliegenden „Leitung der Geſchäfte“ auch die zur Ausführung der
Beſchlüſſe des Bundesrathes erforderlichen Verfügungen gehören 4),
der Beſchluß des Bundesrathes aber, eine Verordnung zu erlaſſen,
durch Bekanntmachung dieſer Verordnung im Reichsgeſetzblatte aus-
geführt wird.
Andere Regeln gelten ſelbſtverſtändlich für diejenigen Verord-
1) Vgl. auch Thudichum, Verf.-R. S. 93 Note 4. Daß auch Reichs-
geſetze ohne Rechtsinhalt im Geſetzblatt verkündigt werden müſſen, iſt zweifel-
los, da die Verkündigung zum „Wege der Geſetzgebung“ gehört; daraus iſt
aber der Rückſchluß nicht gerechtfertigt, daß Rechtsvorſchriften ohne Geſetzes-
form (Rechtsverordnungen) nicht verkündigt zu werden brauchen.
2) Unter „Verordnungen“ ſind aber hier Geſetzgebungsakte zu verſtehen,
nicht Verfügungen (Verwaltungshandlungen). Vgl. Entſch. des R.-O.-H.-G.
Bd. XV. S. 297.
3) Eine auffallende Ausnahme von dieſer Vorſchrift bildet die Verordn.
v. 15. Juli 1873 über die Tagegelder und Reiſekoſten der Perſonen des Sol-
datenſtandes „des preußiſchen Heeres“. Obwohl dieſelbe vom Miniſter
Delbrück in Vertretung des Reichskanzlers contraſignirt iſt, die Finanzen des
Reiches berührt und allgemeine Normen aufſtellt, welche vermögensrechtliche
Anſprüche einzelner Perſonen gegen die Reichskaſſe begründen, iſt ſie nicht im
Reichsgeſetzblatt verkündet, ſondern nur im Centralblatt f. das Deutſche Reich
v. 1873 S. 248 ff. mitgetheilt worden.
4) Geſch.-Ordn. des Bundesrathes §. 15. Vgl. Bd. I. S. 276.
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