ist immer einzig und allein durch eine juristische Erwägung, durch die logische Subsumirung der Verfügung unter das objective Recht, durch eine richterliche Urtheilsfindung zu entscheiden, gleichviel ob nach dem positiven Recht eine Gerichtsbehörde oder eine Verwal- tungsbehörde zur Fällung dieses Urtheils berufen ist. Die geistige Thätigkeit ist die gleiche, mag der damit betraute Beamte Gerichts- rath oder Regierungsrath heißen.
Der Rechtsgrund, auf dem die Verfügung beruht, ist aber für den Inhalt derselben nicht allein und ausschließ- lich entscheidend. Der Staat soll von den ihm zustehenden Rechten keinen zwecklosen und noch weniger einen unzweckmäßigen Gebrauch machen. Die Ausübung der staatlichen Herrschaftsrechte geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zur Durchführung der staatlichen Aufgaben, also nur in dem Maße und in der Art und Weise, wie es dieser Zweck erfordert. Die Verfügung muß daher nicht nur rechtlich zulässig, sie muß auch für die Erreichung der staatlichen Zwecke nothwendig oder nützlich, mit einem Worte zweck- mäßig sein. Die Entscheidung der Frage, ob die Verfügung die- sem Erforderniß entspricht, ist niemals eine juristische, d. h. nach Rechtsregeln zu findende, sondern in allen Fällen eine technische oder politische oder finanzwissenschaftliche u. s. w. In der Prüfung und Entscheidung dieser Zweckmäßigkeitsfrage kömmt die Freiheit der Verwaltung innerhalb der Rechtsschranken zur Verwirklichung.
Hieraus ergiebt sich der prinzipielle Unterschied zwischen Ver- waltung und Rechtspflege. Die richterlichen Entscheidungen sind ausschließlich durch Rechtssätze begründet, die Entschließungen der Verwaltungsbehörden müssen zugleich rechtlich erlaubt und durch Zweckmäßigkeitsgründe gerechtfertigt sein. Die Gesetze sind für die Verwaltungsbehörden keineswegs weniger bindend wie für die Gerichte; die Verwaltungsbehörden dürfen niemals aus Zweck- mäßigkeitsgründen die geltenden Rechtssätze verletzen; aber sie wer- den innerhalb der durch die Rechtsordnung gegebenen Gränzen durch Motive der Zweckmäßigkeit zu ihren Handlungen bestimmt. Die Verwaltungs-Verfügung kann daher in zwiefacher Weise von dem Betroffenen angegriffen werden, entweder Mangels des Rechts- grundes oder Mangels des Zweckmäßigkeitsgrundes. Die Ent- scheidung über beide Angriffe kann durch positives Recht einer und derselben Behörde übertragen sein; der Natur dieser Entscheidung
§. 68. Die Formen der Verwaltung.
iſt immer einzig und allein durch eine juriſtiſche Erwägung, durch die logiſche Subſumirung der Verfügung unter das objective Recht, durch eine richterliche Urtheilsfindung zu entſcheiden, gleichviel ob nach dem poſitiven Recht eine Gerichtsbehörde oder eine Verwal- tungsbehörde zur Fällung dieſes Urtheils berufen iſt. Die geiſtige Thätigkeit iſt die gleiche, mag der damit betraute Beamte Gerichts- rath oder Regierungsrath heißen.
Der Rechtsgrund, auf dem die Verfügung beruht, iſt aber für den Inhalt derſelben nicht allein und ausſchließ- lich entſcheidend. Der Staat ſoll von den ihm zuſtehenden Rechten keinen zweckloſen und noch weniger einen unzweckmäßigen Gebrauch machen. Die Ausübung der ſtaatlichen Herrſchaftsrechte geſchieht nicht um ihrer ſelbſt willen, ſondern nur zur Durchführung der ſtaatlichen Aufgaben, alſo nur in dem Maße und in der Art und Weiſe, wie es dieſer Zweck erfordert. Die Verfügung muß daher nicht nur rechtlich zuläſſig, ſie muß auch für die Erreichung der ſtaatlichen Zwecke nothwendig oder nützlich, mit einem Worte zweck- mäßig ſein. Die Entſcheidung der Frage, ob die Verfügung die- ſem Erforderniß entſpricht, iſt niemals eine juriſtiſche, d. h. nach Rechtsregeln zu findende, ſondern in allen Fällen eine techniſche oder politiſche oder finanzwiſſenſchaftliche u. ſ. w. In der Prüfung und Entſcheidung dieſer Zweckmäßigkeitsfrage kömmt die Freiheit der Verwaltung innerhalb der Rechtsſchranken zur Verwirklichung.
Hieraus ergiebt ſich der prinzipielle Unterſchied zwiſchen Ver- waltung und Rechtspflege. Die richterlichen Entſcheidungen ſind ausſchließlich durch Rechtsſätze begründet, die Entſchließungen der Verwaltungsbehörden müſſen zugleich rechtlich erlaubt und durch Zweckmäßigkeitsgründe gerechtfertigt ſein. Die Geſetze ſind für die Verwaltungsbehörden keineswegs weniger bindend wie für die Gerichte; die Verwaltungsbehörden dürfen niemals aus Zweck- mäßigkeitsgründen die geltenden Rechtsſätze verletzen; aber ſie wer- den innerhalb der durch die Rechtsordnung gegebenen Gränzen durch Motive der Zweckmäßigkeit zu ihren Handlungen beſtimmt. Die Verwaltungs-Verfügung kann daher in zwiefacher Weiſe von dem Betroffenen angegriffen werden, entweder Mangels des Rechts- grundes oder Mangels des Zweckmäßigkeitsgrundes. Die Ent- ſcheidung über beide Angriffe kann durch poſitives Recht einer und derſelben Behörde übertragen ſein; der Natur dieſer Entſcheidung
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§. 68. Die Formen der Verwaltung.
iſt immer einzig und allein durch eine juriſtiſche Erwägung, durch
die logiſche Subſumirung der Verfügung unter das objective Recht,
durch eine richterliche Urtheilsfindung zu entſcheiden, gleichviel ob
nach dem poſitiven Recht eine Gerichtsbehörde oder eine Verwal-
tungsbehörde zur Fällung dieſes Urtheils berufen iſt. Die geiſtige
Thätigkeit iſt die gleiche, mag der damit betraute Beamte Gerichts-
rath oder Regierungsrath heißen.
Der Rechtsgrund, auf dem die Verfügung beruht, iſt
aber für den Inhalt derſelben nicht allein und ausſchließ-
lich entſcheidend. Der Staat ſoll von den ihm zuſtehenden Rechten
keinen zweckloſen und noch weniger einen unzweckmäßigen Gebrauch
machen. Die Ausübung der ſtaatlichen Herrſchaftsrechte geſchieht
nicht um ihrer ſelbſt willen, ſondern nur zur Durchführung der
ſtaatlichen Aufgaben, alſo nur in dem Maße und in der Art und
Weiſe, wie es dieſer Zweck erfordert. Die Verfügung muß daher
nicht nur rechtlich zuläſſig, ſie muß auch für die Erreichung der
ſtaatlichen Zwecke nothwendig oder nützlich, mit einem Worte zweck-
mäßig ſein. Die Entſcheidung der Frage, ob die Verfügung die-
ſem Erforderniß entſpricht, iſt niemals eine juriſtiſche, d. h. nach
Rechtsregeln zu findende, ſondern in allen Fällen eine techniſche
oder politiſche oder finanzwiſſenſchaftliche u. ſ. w. In der Prüfung
und Entſcheidung dieſer Zweckmäßigkeitsfrage kömmt die Freiheit
der Verwaltung innerhalb der Rechtsſchranken zur Verwirklichung.
Hieraus ergiebt ſich der prinzipielle Unterſchied zwiſchen Ver-
waltung und Rechtspflege. Die richterlichen Entſcheidungen ſind
ausſchließlich durch Rechtsſätze begründet, die Entſchließungen der
Verwaltungsbehörden müſſen zugleich rechtlich erlaubt und durch
Zweckmäßigkeitsgründe gerechtfertigt ſein. Die Geſetze ſind für
die Verwaltungsbehörden keineswegs weniger bindend wie für
die Gerichte; die Verwaltungsbehörden dürfen niemals aus Zweck-
mäßigkeitsgründen die geltenden Rechtsſätze verletzen; aber ſie wer-
den innerhalb der durch die Rechtsordnung gegebenen Gränzen
durch Motive der Zweckmäßigkeit zu ihren Handlungen beſtimmt.
Die Verwaltungs-Verfügung kann daher in zwiefacher Weiſe von
dem Betroffenen angegriffen werden, entweder Mangels des Rechts-
grundes oder Mangels des Zweckmäßigkeitsgrundes. Die Ent-
ſcheidung über beide Angriffe kann durch poſitives Recht einer und
derſelben Behörde übertragen ſein; der Natur dieſer Entſcheidung
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/232>, abgerufen am 23.11.2024.
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