Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. daktion des Reichsabschiedes lag dem Reichs-Erzkanzler ob, jedochunter Mitwirkung einer Deputation der Stände, welche aus Mit- gliedern aller Collegien gebildet wurde, und eines oder zweier Kommissare des Kaisers. Die Urkunde wurde in zwei Exemplaren auf Pergament ausgefertigt, von denen eines für die Reichskanzlei, das andere für den Reichshofrath bestimmt war. Beide Urkunden wurden vom Kaiser und den Ständen unterzeichnet und untersiegelt; die Lehre von der subscriptio und obsignatio der Reichs-Abschiede bildete ein nicht unbeträchtliches Kapitel des Reichsrechts. Wenn allseitiges Einverständniß über die Fassung des Reichs-Abschiedes erzielt und die Ausfertigung mit Unterschriften und Siegeln ver- sehen war, so wurde eine feierliche Sitzung des Reichstages anbe- raumt, in welcher der Kaiser in Person oder sein Kommissar über die Verhandlungen des Reichstages berichtete, hierauf den Reichs- Abschied vom Reichs-Erzkanzler laut vorlesen ließ, und endlich die Stände ermahnte, die Vorschriften desselben zu befolgen. Dieser Akt heißt bei den Reichs-Publizisten die Publicatio oder auch Pro- mulgatio des Reichsabschiedes 1); die Befugniß, diesen Akt vorzu- nehmen, wurde als kaiserliches Reservatrecht angesehen. Wurde von den versammelten Ständen kein Widerspruch erhoben, so lag hierin die Erklärung des Einverständnisses mit der Fassung des Reichsabschiedes. Eine beglaubigte Abschrift wurde dem Reichs- Kammergericht von der Reichskanzlei zugesendet. Der eben be- schriebene Akt der Publicatio war keine Verkündigung im Sinne von Bekanntmachung. Kaiser und Reichstag hatten selbst den Reichsabschied beschlossen; ihnen brauchte er also nicht kund ge- macht zu werden; die Behörden und Angehörigen des Reiches aber erlangten durch die feierliche Schlußsitzung des Reichstages keine Kunde von dem Inhalte des Reichsgesetzes. Die Verkündigung der Reichs-Abschiede im eigentlichen Sinne war im Wesentlichen Sache der Stände, welche dieselbe in ihren Territorien zu veran- gehen. Die Hauptquelle hierfür ist eine im Jahre 1582 verfaßte und öfters gedruckte Schrift: "Ausführlicher Bericht, wie es auf Reichstägen pflegt ge- halten zu werden", besonders Cap. 13. (Sie steht bei Goldast, Reichshän- del. P. XXII). Vrgl. ferner Limnäus, Jus public. T. III. Lib. IX. c. 1. nro. 192 sq. Pfeffinger, Vitriar. illustr. Tom. IV. Lib. IV. cap. 1. nr. 83 sq. und am ausführlichsten Moser, Teutsches Staatsr. Bd. 50 S. 253 ff., woselbst umfassende Auszüge aus den älteren Schriften gegeben sind. 1) Arumaeus de Comitiis c. 8. nr. 95. Strube, Corp. iur publ.
§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. daktion des Reichsabſchiedes lag dem Reichs-Erzkanzler ob, jedochunter Mitwirkung einer Deputation der Stände, welche aus Mit- gliedern aller Collegien gebildet wurde, und eines oder zweier Kommiſſare des Kaiſers. Die Urkunde wurde in zwei Exemplaren auf Pergament ausgefertigt, von denen eines für die Reichskanzlei, das andere für den Reichshofrath beſtimmt war. Beide Urkunden wurden vom Kaiſer und den Ständen unterzeichnet und unterſiegelt; die Lehre von der subscriptio und obsignatio der Reichs-Abſchiede bildete ein nicht unbeträchtliches Kapitel des Reichsrechts. Wenn allſeitiges Einverſtändniß über die Faſſung des Reichs-Abſchiedes erzielt und die Ausfertigung mit Unterſchriften und Siegeln ver- ſehen war, ſo wurde eine feierliche Sitzung des Reichstages anbe- raumt, in welcher der Kaiſer in Perſon oder ſein Kommiſſar über die Verhandlungen des Reichstages berichtete, hierauf den Reichs- Abſchied vom Reichs-Erzkanzler laut vorleſen ließ, und endlich die Stände ermahnte, die Vorſchriften deſſelben zu befolgen. Dieſer Akt heißt bei den Reichs-Publiziſten die Publicatio oder auch Pro- mulgatio des Reichsabſchiedes 1); die Befugniß, dieſen Akt vorzu- nehmen, wurde als kaiſerliches Reſervatrecht angeſehen. Wurde von den verſammelten Ständen kein Widerſpruch erhoben, ſo lag hierin die Erklärung des Einverſtändniſſes mit der Faſſung des Reichsabſchiedes. Eine beglaubigte Abſchrift wurde dem Reichs- Kammergericht von der Reichskanzlei zugeſendet. Der eben be- ſchriebene Akt der Publicatio war keine Verkündigung im Sinne von Bekanntmachung. Kaiſer und Reichstag hatten ſelbſt den Reichsabſchied beſchloſſen; ihnen brauchte er alſo nicht kund ge- macht zu werden; die Behörden und Angehörigen des Reiches aber erlangten durch die feierliche Schlußſitzung des Reichstages keine Kunde von dem Inhalte des Reichsgeſetzes. Die Verkündigung der Reichs-Abſchiede im eigentlichen Sinne war im Weſentlichen Sache der Stände, welche dieſelbe in ihren Territorien zu veran- gehen. Die Hauptquelle hierfür iſt eine im Jahre 1582 verfaßte und öfters gedruckte Schrift: „Ausführlicher Bericht, wie es auf Reichstägen pflegt ge- halten zu werden“, beſonders Cap. 13. (Sie ſteht bei Goldaſt, Reichshän- del. P. XXII). Vrgl. ferner Limnäus, Jus public. T. III. Lib. IX. c. 1. nro. 192 sq. Pfeffinger, Vitriar. illustr. Tom. IV. Lib. IV. cap. 1. nr. 83 sq. und am ausführlichſten Moſer, Teutſches Staatsr. Bd. 50 S. 253 ff., woſelbſt umfaſſende Auszüge aus den älteren Schriften gegeben ſind. 1) Arumaeus de Comitiis c. 8. nr. 95. Strube, Corp. iur publ.
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§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
daktion des Reichsabſchiedes lag dem Reichs-Erzkanzler ob, jedoch
unter Mitwirkung einer Deputation der Stände, welche aus Mit-
gliedern aller Collegien gebildet wurde, und eines oder zweier
Kommiſſare des Kaiſers. Die Urkunde wurde in zwei Exemplaren
auf Pergament ausgefertigt, von denen eines für die Reichskanzlei,
das andere für den Reichshofrath beſtimmt war. Beide Urkunden
wurden vom Kaiſer und den Ständen unterzeichnet und unterſiegelt;
die Lehre von der subscriptio und obsignatio der Reichs-Abſchiede
bildete ein nicht unbeträchtliches Kapitel des Reichsrechts. Wenn
allſeitiges Einverſtändniß über die Faſſung des Reichs-Abſchiedes
erzielt und die Ausfertigung mit Unterſchriften und Siegeln ver-
ſehen war, ſo wurde eine feierliche Sitzung des Reichstages anbe-
raumt, in welcher der Kaiſer in Perſon oder ſein Kommiſſar über
die Verhandlungen des Reichstages berichtete, hierauf den Reichs-
Abſchied vom Reichs-Erzkanzler laut vorleſen ließ, und endlich die
Stände ermahnte, die Vorſchriften deſſelben zu befolgen. Dieſer
Akt heißt bei den Reichs-Publiziſten die Publicatio oder auch Pro-
mulgatio des Reichsabſchiedes 1); die Befugniß, dieſen Akt vorzu-
nehmen, wurde als kaiſerliches Reſervatrecht angeſehen. Wurde
von den verſammelten Ständen kein Widerſpruch erhoben, ſo lag
hierin die Erklärung des Einverſtändniſſes mit der Faſſung des
Reichsabſchiedes. Eine beglaubigte Abſchrift wurde dem Reichs-
Kammergericht von der Reichskanzlei zugeſendet. Der eben be-
ſchriebene Akt der Publicatio war keine Verkündigung im Sinne
von Bekanntmachung. Kaiſer und Reichstag hatten ſelbſt den
Reichsabſchied beſchloſſen; ihnen brauchte er alſo nicht kund ge-
macht zu werden; die Behörden und Angehörigen des Reiches aber
erlangten durch die feierliche Schlußſitzung des Reichstages keine
Kunde von dem Inhalte des Reichsgeſetzes. Die Verkündigung
der Reichs-Abſchiede im eigentlichen Sinne war im Weſentlichen
Sache der Stände, welche dieſelbe in ihren Territorien zu veran-
1)
1) Arumaeus de Comitiis c. 8. nr. 95. Strube, Corp. iur publ.
1) gehen. Die Hauptquelle hierfür iſt eine im Jahre 1582 verfaßte und öfters
gedruckte Schrift: „Ausführlicher Bericht, wie es auf Reichstägen pflegt ge-
halten zu werden“, beſonders Cap. 13. (Sie ſteht bei Goldaſt, Reichshän-
del. P. XXII). Vrgl. ferner Limnäus, Jus public. T. III. Lib. IX. c. 1.
nro. 192 sq. Pfeffinger, Vitriar. illustr. Tom. IV. Lib. IV. cap. 1.
nr. 83 sq. und am ausführlichſten Moſer, Teutſches Staatsr. Bd. 50 S. 253 ff.,
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