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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtswesens.
Gewichtswesen zwischen der Ordnung des Maß- und Gewichts-
systems und der Herstellung der Maße und Gewichte. Die
Ordnung des Maß- und Gewichts-Systems ist in gleicher Weise
wie die Ordnung des Münzsystems die Ausübung eines Hoheits-
rechtes, welche in der Schaffung von Rechtssätzen besteht;
dagegen ist die Herstellung von Maßen und Gewichten, die dem
gesetzlichen System entsprechen, eine thatsächliche Verrichtung,
die an sich ohne allen rechtlichen Inhalt ist, aus Gründen des
öffentlichen Wohles aber polizeilich geregelt oder staatlich contro-
lirt werden kann, und die ebenso wie die Herstellung der Geld-
stücke vom Staate selbst ausschließlich übernommen (monopolisirt)
werden könnte.

1. Das Maß- und Gewichtssystem besteht aus einer
Reihe von Definitionen; es erklärt, welchen Sinn gewisse
Maß- und Gewichtsbezeichnungen haben 1). An und für sich sind
diese Definitionen keine Rechtssätze. Welche Dimensionen
und Gewichtsmengen mit dem Namen Meter, Schoppen, Scheffel,
oder Kilogramm, Pfund, Zentner, bezeichnet werden, ist ebenso-
wenig Gegenstand eines Rechtssatzes, wie die Bedeutung von Aus-
drücken, welche die Qualität von Waaren bezeichnen. Die ge-
setzliche Ordnung des Maß- und Gewichtssystems kann aber zugleich
die Sanction von Rechtssätzen enthalten, durch welche
jene Definitionen rechtliche Bedeutung erlangen, und zwar kann
dies in zwiefacher Weise geschehen, indem entweder der Rechtssatz
ein blos dispositiver, erläuternder ist, oder indem er mit der
Kraft des ius cogens ausgestattet wird, also einen Befehl (Ver-
bot) enthält.

a) Die Einführung des Maß- und Gewichtssystems enthält
zunächst den Erlaß eines dispositiven Rechtssatzes. Die Maß-
und Gewichts-Ordnung erklärt, welchen Sinn sowohl in Gesetzen
als in Rechtsgeschäften gewisse Maß- und Gewichts-Bezeichnungen
haben, vorausgesetzt daß nicht aus den ausdrücklichen Erklärungen
des Gesetzgebers oder der Parteien, beziehentlich aus concluden-
ten Umständen sich ergiebt, daß der Gesetzgeber oder die Parteien
mit jenen Ausdrücken einen andern Sinn verbinden wollten.
Die Maß- und Gewichts-Ordnung erfüllt diese Aufgabe, wie sie

1) Maß- u. Gew.-Ordn. Art. 1--8.

§. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtsweſens.
Gewichtsweſen zwiſchen der Ordnung des Maß- und Gewichts-
ſyſtems und der Herſtellung der Maße und Gewichte. Die
Ordnung des Maß- und Gewichts-Syſtems iſt in gleicher Weiſe
wie die Ordnung des Münzſyſtems die Ausübung eines Hoheits-
rechtes, welche in der Schaffung von Rechtsſätzen beſteht;
dagegen iſt die Herſtellung von Maßen und Gewichten, die dem
geſetzlichen Syſtem entſprechen, eine thatſächliche Verrichtung,
die an ſich ohne allen rechtlichen Inhalt iſt, aus Gründen des
öffentlichen Wohles aber polizeilich geregelt oder ſtaatlich contro-
lirt werden kann, und die ebenſo wie die Herſtellung der Geld-
ſtücke vom Staate ſelbſt ausſchließlich übernommen (monopoliſirt)
werden könnte.

1. Das Maß- und Gewichtsſyſtem beſteht aus einer
Reihe von Definitionen; es erklärt, welchen Sinn gewiſſe
Maß- und Gewichtsbezeichnungen haben 1). An und für ſich ſind
dieſe Definitionen keine Rechtsſätze. Welche Dimenſionen
und Gewichtsmengen mit dem Namen Meter, Schoppen, Scheffel,
oder Kilogramm, Pfund, Zentner, bezeichnet werden, iſt ebenſo-
wenig Gegenſtand eines Rechtsſatzes, wie die Bedeutung von Aus-
drücken, welche die Qualität von Waaren bezeichnen. Die ge-
ſetzliche Ordnung des Maß- und Gewichtsſyſtems kann aber zugleich
die Sanction von Rechtsſätzen enthalten, durch welche
jene Definitionen rechtliche Bedeutung erlangen, und zwar kann
dies in zwiefacher Weiſe geſchehen, indem entweder der Rechtsſatz
ein blos dispoſitiver, erläuternder iſt, oder indem er mit der
Kraft des ius cogens ausgeſtattet wird, alſo einen Befehl (Ver-
bot) enthält.

a) Die Einführung des Maß- und Gewichtsſyſtems enthält
zunächſt den Erlaß eines dispoſitiven Rechtsſatzes. Die Maß-
und Gewichts-Ordnung erklärt, welchen Sinn ſowohl in Geſetzen
als in Rechtsgeſchäften gewiſſe Maß- und Gewichts-Bezeichnungen
haben, vorausgeſetzt daß nicht aus den ausdrücklichen Erklärungen
des Geſetzgebers oder der Parteien, beziehentlich aus concluden-
ten Umſtänden ſich ergiebt, daß der Geſetzgeber oder die Parteien
mit jenen Ausdrücken einen andern Sinn verbinden wollten.
Die Maß- und Gewichts-Ordnung erfüllt dieſe Aufgabe, wie ſie

1) Maß- u. Gew.-Ordn. Art. 1—8.
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[440/0454] §. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtsweſens. Gewichtsweſen zwiſchen der Ordnung des Maß- und Gewichts- ſyſtems und der Herſtellung der Maße und Gewichte. Die Ordnung des Maß- und Gewichts-Syſtems iſt in gleicher Weiſe wie die Ordnung des Münzſyſtems die Ausübung eines Hoheits- rechtes, welche in der Schaffung von Rechtsſätzen beſteht; dagegen iſt die Herſtellung von Maßen und Gewichten, die dem geſetzlichen Syſtem entſprechen, eine thatſächliche Verrichtung, die an ſich ohne allen rechtlichen Inhalt iſt, aus Gründen des öffentlichen Wohles aber polizeilich geregelt oder ſtaatlich contro- lirt werden kann, und die ebenſo wie die Herſtellung der Geld- ſtücke vom Staate ſelbſt ausſchließlich übernommen (monopoliſirt) werden könnte. 1. Das Maß- und Gewichtsſyſtem beſteht aus einer Reihe von Definitionen; es erklärt, welchen Sinn gewiſſe Maß- und Gewichtsbezeichnungen haben 1). An und für ſich ſind dieſe Definitionen keine Rechtsſätze. Welche Dimenſionen und Gewichtsmengen mit dem Namen Meter, Schoppen, Scheffel, oder Kilogramm, Pfund, Zentner, bezeichnet werden, iſt ebenſo- wenig Gegenſtand eines Rechtsſatzes, wie die Bedeutung von Aus- drücken, welche die Qualität von Waaren bezeichnen. Die ge- ſetzliche Ordnung des Maß- und Gewichtsſyſtems kann aber zugleich die Sanction von Rechtsſätzen enthalten, durch welche jene Definitionen rechtliche Bedeutung erlangen, und zwar kann dies in zwiefacher Weiſe geſchehen, indem entweder der Rechtsſatz ein blos dispoſitiver, erläuternder iſt, oder indem er mit der Kraft des ius cogens ausgeſtattet wird, alſo einen Befehl (Ver- bot) enthält. a) Die Einführung des Maß- und Gewichtsſyſtems enthält zunächſt den Erlaß eines dispoſitiven Rechtsſatzes. Die Maß- und Gewichts-Ordnung erklärt, welchen Sinn ſowohl in Geſetzen als in Rechtsgeſchäften gewiſſe Maß- und Gewichts-Bezeichnungen haben, vorausgeſetzt daß nicht aus den ausdrücklichen Erklärungen des Geſetzgebers oder der Parteien, beziehentlich aus concluden- ten Umſtänden ſich ergiebt, daß der Geſetzgeber oder die Parteien mit jenen Ausdrücken einen andern Sinn verbinden wollten. Die Maß- und Gewichts-Ordnung erfüllt dieſe Aufgabe, wie ſie 1) Maß- u. Gew.-Ordn. Art. 1—8.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/454>, abgerufen am 23.11.2024.