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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
einer Mobilmachung verlieren alle Zurückstellungen ihre Gültigkeit;
sie können jedoch durch die Ersatzkommission für die Zeit bis zum
nächsten Musterungsgeschäft von Neuem ausgesprochen werden 1).

Die gesetzlich anerkannten Zurückstellungs-Gründe sind folgende:

a) Zeitige Untauglichkeit. Militairpflichtige, welche
noch zu schwach oder zu klein für den Militairdienst oder mit heil-
baren Krankheiten von längerer Dauer behaftet sind, werden vor-
läufig zurückgestellt und falls sie nicht nach ihrer Loosnummer zu
den Ueberzähligen ihres Jahrganges gehören, für das nächste Jahr
vorgemerkt 2). Die Zurückstellung erfolgt im Interesse des Dienstes,
folglich ohne Antrag und selbst wider den Wunsch des Militair-
pflichtigen. Die für den Militairdienst erforderliche Körpergröße
wird durch Kaiserliche Verordnung bestimmt 3).

b) Zeitige Unwürdigkeit4). Wer wegen einer straf-
baren Handlung, die mit Zuchthaus oder mit dem Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte bestraft werden kann, oder wegen welcher
die Verurtheilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs-
wöchentlicher Dauer oder zu einer entsprechenden Geldstrafe zu er-
warten ist 5), in Untersuchung sich befindet, wird nicht vor Be-
endigung der Untersuchung eingestellt. Wer zu einer Freiheits-
strafe oder zu einer in Freiheitsstrafe umzuwandelnden Geldstrafe
rechtskräftig verurtheilt ist, wird nicht vor deren Vollstreckung oder
Erlaß eingestellt. Damit die Verzögerung der Untersuchung oder
Strafvollstreckung aber nicht zur Befreiung von der Militairpflicht

1) W.O. I §. 27 Z. 8.
2) Mil.Ges. §. 17 Abs. 1. Die näheren Vorschriften über die zeitige Un-
tauglichkeit enthält die Heer-Ordn. I §. 8, vgl. auch W.O. I §. 29, sowie die
"Dienstanweisung zur Beurtheilung der Militair-Dienstfähigkeit und zur Aus-
stellung von Attesten" vom 8. April 1877. Auszugsweise abgedruckt bei von
Helldorff
I. 1. S. 325 ff.
3) Mil.Ges. §. 17 Abs. 3. Die zur Zeit geltenden Vorschriften sind in
der Heer-Ordn. I §. 5 Ziff. 2 enthalten.
4) Mil.Ges. §. 18.
5) Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist eine Unterscheidung zu machen.
Ist die Handlung eine solche, daß die Verurtheilung zur Zuchthausstrafe über-
haupt möglich ist, so muß jedenfalls der Ausgang der Untersuchung abge-
wartet werden; bei andern strafbaren Handlungen dagegen ist die Einstellung
nur dann aufzuschieben, wenn nach Lage des concreten Falles eine Freiheits-
strafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten ist.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
einer Mobilmachung verlieren alle Zurückſtellungen ihre Gültigkeit;
ſie können jedoch durch die Erſatzkommiſſion für die Zeit bis zum
nächſten Muſterungsgeſchäft von Neuem ausgeſprochen werden 1).

Die geſetzlich anerkannten Zurückſtellungs-Gründe ſind folgende:

a) Zeitige Untauglichkeit. Militairpflichtige, welche
noch zu ſchwach oder zu klein für den Militairdienſt oder mit heil-
baren Krankheiten von längerer Dauer behaftet ſind, werden vor-
läufig zurückgeſtellt und falls ſie nicht nach ihrer Loosnummer zu
den Ueberzähligen ihres Jahrganges gehören, für das nächſte Jahr
vorgemerkt 2). Die Zurückſtellung erfolgt im Intereſſe des Dienſtes,
folglich ohne Antrag und ſelbſt wider den Wunſch des Militair-
pflichtigen. Die für den Militairdienſt erforderliche Körpergröße
wird durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt 3).

b) Zeitige Unwürdigkeit4). Wer wegen einer ſtraf-
baren Handlung, die mit Zuchthaus oder mit dem Verluſt der
bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft werden kann, oder wegen welcher
die Verurtheilung zu einer Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs-
wöchentlicher Dauer oder zu einer entſprechenden Geldſtrafe zu er-
warten iſt 5), in Unterſuchung ſich befindet, wird nicht vor Be-
endigung der Unterſuchung eingeſtellt. Wer zu einer Freiheits-
ſtrafe oder zu einer in Freiheitsſtrafe umzuwandelnden Geldſtrafe
rechtskräftig verurtheilt iſt, wird nicht vor deren Vollſtreckung oder
Erlaß eingeſtellt. Damit die Verzögerung der Unterſuchung oder
Strafvollſtreckung aber nicht zur Befreiung von der Militairpflicht

1) W.O. I §. 27 Z. 8.
2) Mil.Geſ. §. 17 Abſ. 1. Die näheren Vorſchriften über die zeitige Un-
tauglichkeit enthält die Heer-Ordn. I §. 8, vgl. auch W.O. I §. 29, ſowie die
„Dienſtanweiſung zur Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und zur Aus-
ſtellung von Atteſten“ vom 8. April 1877. Auszugsweiſe abgedruckt bei von
Helldorff
I. 1. S. 325 ff.
3) Mil.Geſ. §. 17 Abſ. 3. Die zur Zeit geltenden Vorſchriften ſind in
der Heer-Ordn. I §. 5 Ziff. 2 enthalten.
4) Mil.Geſ. §. 18.
5) Nach dem Wortlaut des Geſetzes iſt eine Unterſcheidung zu machen.
Iſt die Handlung eine ſolche, daß die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe über-
haupt möglich iſt, ſo muß jedenfalls der Ausgang der Unterſuchung abge-
wartet werden; bei andern ſtrafbaren Handlungen dagegen iſt die Einſtellung
nur dann aufzuſchieben, wenn nach Lage des concreten Falles eine Freiheits-
ſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten iſt.
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[159/0169] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. einer Mobilmachung verlieren alle Zurückſtellungen ihre Gültigkeit; ſie können jedoch durch die Erſatzkommiſſion für die Zeit bis zum nächſten Muſterungsgeſchäft von Neuem ausgeſprochen werden 1). Die geſetzlich anerkannten Zurückſtellungs-Gründe ſind folgende: a) Zeitige Untauglichkeit. Militairpflichtige, welche noch zu ſchwach oder zu klein für den Militairdienſt oder mit heil- baren Krankheiten von längerer Dauer behaftet ſind, werden vor- läufig zurückgeſtellt und falls ſie nicht nach ihrer Loosnummer zu den Ueberzähligen ihres Jahrganges gehören, für das nächſte Jahr vorgemerkt 2). Die Zurückſtellung erfolgt im Intereſſe des Dienſtes, folglich ohne Antrag und ſelbſt wider den Wunſch des Militair- pflichtigen. Die für den Militairdienſt erforderliche Körpergröße wird durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt 3). b) Zeitige Unwürdigkeit 4). Wer wegen einer ſtraf- baren Handlung, die mit Zuchthaus oder mit dem Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft werden kann, oder wegen welcher die Verurtheilung zu einer Freiheitsſtrafe von mehr als ſechs- wöchentlicher Dauer oder zu einer entſprechenden Geldſtrafe zu er- warten iſt 5), in Unterſuchung ſich befindet, wird nicht vor Be- endigung der Unterſuchung eingeſtellt. Wer zu einer Freiheits- ſtrafe oder zu einer in Freiheitsſtrafe umzuwandelnden Geldſtrafe rechtskräftig verurtheilt iſt, wird nicht vor deren Vollſtreckung oder Erlaß eingeſtellt. Damit die Verzögerung der Unterſuchung oder Strafvollſtreckung aber nicht zur Befreiung von der Militairpflicht 1) W.O. I §. 27 Z. 8. 2) Mil.Geſ. §. 17 Abſ. 1. Die näheren Vorſchriften über die zeitige Un- tauglichkeit enthält die Heer-Ordn. I §. 8, vgl. auch W.O. I §. 29, ſowie die „Dienſtanweiſung zur Beurtheilung der Militair-Dienſtfähigkeit und zur Aus- ſtellung von Atteſten“ vom 8. April 1877. Auszugsweiſe abgedruckt bei von Helldorff I. 1. S. 325 ff. 3) Mil.Geſ. §. 17 Abſ. 3. Die zur Zeit geltenden Vorſchriften ſind in der Heer-Ordn. I §. 5 Ziff. 2 enthalten. 4) Mil.Geſ. §. 18. 5) Nach dem Wortlaut des Geſetzes iſt eine Unterſcheidung zu machen. Iſt die Handlung eine ſolche, daß die Verurtheilung zur Zuchthausſtrafe über- haupt möglich iſt, ſo muß jedenfalls der Ausgang der Unterſuchung abge- wartet werden; bei andern ſtrafbaren Handlungen dagegen iſt die Einſtellung nur dann aufzuſchieben, wenn nach Lage des concreten Falles eine Freiheits- ſtrafe von mehr als 6 Wochen zu erwarten iſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/169>, abgerufen am 21.11.2024.