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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
sind gleichartig; sie sind beide unschätzbar, unentgeldlich, von
durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber eine thatsächliche
Folge der Erfüllung der Dienstpflicht besteht in einer zeitweisen
Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbsthätigkeit. Der
Staat, welcher durch die Anforderung des activen Militairdienstes
den Wehrpflichtigen außer Stande setzt, seinen Unterhalt zu er-
werben, sieht sich dadurch genöthigt, die Fürsorge für diesen Unter-
halt selbst zu übernehmen. Von diesem Princip aus ergiebt sich
der eigenthümliche Rechtscharakter dieser Leistung des Staates.
Es hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab,
in welchem Maße und in welcher Art und Weise er dem Dienst-
pflichtigen den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des
Dienstpflichtigen kömmt hierbei in keiner Hinsicht in Betracht. Der
Dienstpflichtige hat deshalb keine civilrechtliche Klage gegen den
Staat auf Gewährung des Unterhaltes oder auf Gewährung be-
stimmter Leistungen und es giebt kein Gericht, welches bei einem
Streit zwischen dem Staat und dem Dienstpflichtigen das ange-
messene Maß der Verpflegung etc. feststellen könnte. Hierdurch
unterscheidet sich der Anspruch des Wehrpflichtigen nicht nur von
dem Anspruch auf Lohn auf Grund eines Dienstmiethevertrages,
sondern auch von dem Anspruch der Beamten. Denn, wenn auch
die Besoldung der letzteren ebenfalls den Charakter der Alimen-
tirung, nicht den der Lohnzahlung hat 1), so beruht doch der An-
spruch auf Gewährung derselben auf einem Vertrage und er bildet
das Aequivalent für Leistungen, zu denen der Beamte nicht kraft
Rechtssatzes sondern kraft freiwilliger Uebernahme verbunden ist 2).
Deshalb steht den Beamten auch für die Geltendmachung dieser An-
sprüche der Weg der Klage vor den Gerichten offen und der ihnen zu-
gesicherte Gehalt kann von Rechtswegen gegen ihren Willen nicht
herabgesetzt werden. Der Wehrpflichtige dagegen erfüllt durch
Leistung des activen Dienstes eine gesetzliche Unterthanenpflicht, die
ihm auch ohne seinen Willen obliegt, und demgemäß empfängt er
in völlig passiver Weise die Verpflegung Seitens des Staates nach
dessen freiem Ermessen. Der Anspruch des Wehrpflichtigen auf
Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines vermögensrecht-

1) Vgl. oben Bd. I S. 465.
2) Bd. I S. 401 ff.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
ſind gleichartig; ſie ſind beide unſchätzbar, unentgeldlich, von
durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber eine thatſächliche
Folge der Erfüllung der Dienſtpflicht beſteht in einer zeitweiſen
Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbsthätigkeit. Der
Staat, welcher durch die Anforderung des activen Militairdienſtes
den Wehrpflichtigen außer Stande ſetzt, ſeinen Unterhalt zu er-
werben, ſieht ſich dadurch genöthigt, die Fürſorge für dieſen Unter-
halt ſelbſt zu übernehmen. Von dieſem Princip aus ergiebt ſich
der eigenthümliche Rechtscharakter dieſer Leiſtung des Staates.
Es hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab,
in welchem Maße und in welcher Art und Weiſe er dem Dienſt-
pflichtigen den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des
Dienſtpflichtigen kömmt hierbei in keiner Hinſicht in Betracht. Der
Dienſtpflichtige hat deshalb keine civilrechtliche Klage gegen den
Staat auf Gewährung des Unterhaltes oder auf Gewährung be-
ſtimmter Leiſtungen und es giebt kein Gericht, welches bei einem
Streit zwiſchen dem Staat und dem Dienſtpflichtigen das ange-
meſſene Maß der Verpflegung ꝛc. feſtſtellen könnte. Hierdurch
unterſcheidet ſich der Anſpruch des Wehrpflichtigen nicht nur von
dem Anſpruch auf Lohn auf Grund eines Dienſtmiethevertrages,
ſondern auch von dem Anſpruch der Beamten. Denn, wenn auch
die Beſoldung der letzteren ebenfalls den Charakter der Alimen-
tirung, nicht den der Lohnzahlung hat 1), ſo beruht doch der An-
ſpruch auf Gewährung derſelben auf einem Vertrage und er bildet
das Aequivalent für Leiſtungen, zu denen der Beamte nicht kraft
Rechtsſatzes ſondern kraft freiwilliger Uebernahme verbunden iſt 2).
Deshalb ſteht den Beamten auch für die Geltendmachung dieſer An-
ſprüche der Weg der Klage vor den Gerichten offen und der ihnen zu-
geſicherte Gehalt kann von Rechtswegen gegen ihren Willen nicht
herabgeſetzt werden. Der Wehrpflichtige dagegen erfüllt durch
Leiſtung des activen Dienſtes eine geſetzliche Unterthanenpflicht, die
ihm auch ohne ſeinen Willen obliegt, und demgemäß empfängt er
in völlig paſſiver Weiſe die Verpflegung Seitens des Staates nach
deſſen freiem Ermeſſen. Der Anſpruch des Wehrpflichtigen auf
Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines vermögensrecht-

1) Vgl. oben Bd. I S. 465.
2) Bd. I S. 401 ff.
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[172/0182] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. ſind gleichartig; ſie ſind beide unſchätzbar, unentgeldlich, von durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber eine thatſächliche Folge der Erfüllung der Dienſtpflicht beſteht in einer zeitweiſen Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbsthätigkeit. Der Staat, welcher durch die Anforderung des activen Militairdienſtes den Wehrpflichtigen außer Stande ſetzt, ſeinen Unterhalt zu er- werben, ſieht ſich dadurch genöthigt, die Fürſorge für dieſen Unter- halt ſelbſt zu übernehmen. Von dieſem Princip aus ergiebt ſich der eigenthümliche Rechtscharakter dieſer Leiſtung des Staates. Es hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab, in welchem Maße und in welcher Art und Weiſe er dem Dienſt- pflichtigen den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des Dienſtpflichtigen kömmt hierbei in keiner Hinſicht in Betracht. Der Dienſtpflichtige hat deshalb keine civilrechtliche Klage gegen den Staat auf Gewährung des Unterhaltes oder auf Gewährung be- ſtimmter Leiſtungen und es giebt kein Gericht, welches bei einem Streit zwiſchen dem Staat und dem Dienſtpflichtigen das ange- meſſene Maß der Verpflegung ꝛc. feſtſtellen könnte. Hierdurch unterſcheidet ſich der Anſpruch des Wehrpflichtigen nicht nur von dem Anſpruch auf Lohn auf Grund eines Dienſtmiethevertrages, ſondern auch von dem Anſpruch der Beamten. Denn, wenn auch die Beſoldung der letzteren ebenfalls den Charakter der Alimen- tirung, nicht den der Lohnzahlung hat 1), ſo beruht doch der An- ſpruch auf Gewährung derſelben auf einem Vertrage und er bildet das Aequivalent für Leiſtungen, zu denen der Beamte nicht kraft Rechtsſatzes ſondern kraft freiwilliger Uebernahme verbunden iſt 2). Deshalb ſteht den Beamten auch für die Geltendmachung dieſer An- ſprüche der Weg der Klage vor den Gerichten offen und der ihnen zu- geſicherte Gehalt kann von Rechtswegen gegen ihren Willen nicht herabgeſetzt werden. Der Wehrpflichtige dagegen erfüllt durch Leiſtung des activen Dienſtes eine geſetzliche Unterthanenpflicht, die ihm auch ohne ſeinen Willen obliegt, und demgemäß empfängt er in völlig paſſiver Weiſe die Verpflegung Seitens des Staates nach deſſen freiem Ermeſſen. Der Anſpruch des Wehrpflichtigen auf Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines vermögensrecht- 1) Vgl. oben Bd. I S. 465. 2) Bd. I S. 401 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/182>, abgerufen am 22.05.2024.