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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 103. Die Rechtsanwaltschaft.
Ordn. hat im §. 74 die unbedingte und ausdrückliche Vorschrift
aufgestellt, daß die Parteien vor den Landgerichten und vor allen
Gerichten höherer Instanz sich durch einen bei dem Prozeßgerichte
zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen
müssen; und die Strafproz.Ordn. hat die Form des contradictori-
schen Anklage-Verfahrens durchgeführt, sie gestattet ausnahmslos
dem Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Ver-
theidigers zu bedienen, sie erklärt für gewisse Sachen die Bestellung
eines Vertheidigers für nothwendig und sie geht von der Annahme
aus, daß in der Regel Rechtsanwälte zu Vertheidigern gewählt
oder bestellt werden 1). Daß bei den Gerichten Rechtsanwälte
"zugelassen" sind, daß überhaupt Personen vorhanden sind, welche
als rechtsverständige Prozeßbevollmächtigte, Anwälte und Verthei-
diger sich mit der Vertretung der Parteien und der Wahrnehmung
ihrer rechtlichen Interessen befassen, wird in den Prozeßordnungen
als selbstverständlich vorausgesetzt. Nur unter dieser Annahme
sind die Vorschriften der Prozeßordnungen durchführbar, die staat-
liche Aufgabe der Handhabung des Rechtsschutzes soll und kann
nach Maßgabe des bestehenden Rechts nur unter Mitwirkung von
Rechtsanwälten realisirt werden. Die berufsmäßige Thätigkeit
der Rechtsanwälte ist demnach für den Staat nothwendig; sie ist
ein durch die staatliche Rechtsordnung selbst erforderter Faktor der
Rechtspflege und man kann daher die Rechtsanwaltschaft in der-
selben Weise wie die Staatsanwaltschaft als eine Institution an-
sehen, welche einen Bestandtheil der Gerichtsverfassung im weiteren
Sinne bildet. Zwar läßt sich von fast allen Berufsarten und Ge-
werben sagen, daß sie für die gedeihliche Entwicklung und das
Bestehen des Staates nothwendig oder nützlich sind, aber während
die übrigen Gewerbe wirthschaftlichen oder gesellschaftlichen Bedürf-
nissen dienen, hat der Rechtsanwalt sein Arbeitsfeld auf einem
Gebiet, das ganz eigentlich zur Entfaltung der wesentlichsten Staats-
thätigkeit dient; er ist ein Mitarbeiter an der Rechtspflege. In
diesem Sinne sind die Berufsgeschäfte des Rechtsanwalts als
ein öffentliches Amt zu bezeichnen. Hieraus ergeben sich aber
zahlreiche Consequenzen. Der Staat, welcher die Function des
Rechtsanwalts dem System seines Gerichtswesens einverleibt, muß

1) Strafproz.Ordn. §. 138. 144.

§. 103. Die Rechtsanwaltſchaft.
Ordn. hat im §. 74 die unbedingte und ausdrückliche Vorſchrift
aufgeſtellt, daß die Parteien vor den Landgerichten und vor allen
Gerichten höherer Inſtanz ſich durch einen bei dem Prozeßgerichte
zugelaſſenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten laſſen
müſſen; und die Strafproz.Ordn. hat die Form des contradictori-
ſchen Anklage-Verfahrens durchgeführt, ſie geſtattet ausnahmslos
dem Beſchuldigten, ſich in jeder Lage des Verfahrens eines Ver-
theidigers zu bedienen, ſie erklärt für gewiſſe Sachen die Beſtellung
eines Vertheidigers für nothwendig und ſie geht von der Annahme
aus, daß in der Regel Rechtsanwälte zu Vertheidigern gewählt
oder beſtellt werden 1). Daß bei den Gerichten Rechtsanwälte
„zugelaſſen“ ſind, daß überhaupt Perſonen vorhanden ſind, welche
als rechtsverſtändige Prozeßbevollmächtigte, Anwälte und Verthei-
diger ſich mit der Vertretung der Parteien und der Wahrnehmung
ihrer rechtlichen Intereſſen befaſſen, wird in den Prozeßordnungen
als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt. Nur unter dieſer Annahme
ſind die Vorſchriften der Prozeßordnungen durchführbar, die ſtaat-
liche Aufgabe der Handhabung des Rechtsſchutzes ſoll und kann
nach Maßgabe des beſtehenden Rechts nur unter Mitwirkung von
Rechtsanwälten realiſirt werden. Die berufsmäßige Thätigkeit
der Rechtsanwälte iſt demnach für den Staat nothwendig; ſie iſt
ein durch die ſtaatliche Rechtsordnung ſelbſt erforderter Faktor der
Rechtspflege und man kann daher die Rechtsanwaltſchaft in der-
ſelben Weiſe wie die Staatsanwaltſchaft als eine Inſtitution an-
ſehen, welche einen Beſtandtheil der Gerichtsverfaſſung im weiteren
Sinne bildet. Zwar läßt ſich von faſt allen Berufsarten und Ge-
werben ſagen, daß ſie für die gedeihliche Entwicklung und das
Beſtehen des Staates nothwendig oder nützlich ſind, aber während
die übrigen Gewerbe wirthſchaftlichen oder geſellſchaftlichen Bedürf-
niſſen dienen, hat der Rechtsanwalt ſein Arbeitsfeld auf einem
Gebiet, das ganz eigentlich zur Entfaltung der weſentlichſten Staats-
thätigkeit dient; er iſt ein Mitarbeiter an der Rechtspflege. In
dieſem Sinne ſind die Berufsgeſchäfte des Rechtsanwalts als
ein öffentliches Amt zu bezeichnen. Hieraus ergeben ſich aber
zahlreiche Conſequenzen. Der Staat, welcher die Function des
Rechtsanwalts dem Syſtem ſeines Gerichtsweſens einverleibt, muß

1) Strafproz.Ordn. §. 138. 144.
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[111/0121] §. 103. Die Rechtsanwaltſchaft. Ordn. hat im §. 74 die unbedingte und ausdrückliche Vorſchrift aufgeſtellt, daß die Parteien vor den Landgerichten und vor allen Gerichten höherer Inſtanz ſich durch einen bei dem Prozeßgerichte zugelaſſenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten laſſen müſſen; und die Strafproz.Ordn. hat die Form des contradictori- ſchen Anklage-Verfahrens durchgeführt, ſie geſtattet ausnahmslos dem Beſchuldigten, ſich in jeder Lage des Verfahrens eines Ver- theidigers zu bedienen, ſie erklärt für gewiſſe Sachen die Beſtellung eines Vertheidigers für nothwendig und ſie geht von der Annahme aus, daß in der Regel Rechtsanwälte zu Vertheidigern gewählt oder beſtellt werden 1). Daß bei den Gerichten Rechtsanwälte „zugelaſſen“ ſind, daß überhaupt Perſonen vorhanden ſind, welche als rechtsverſtändige Prozeßbevollmächtigte, Anwälte und Verthei- diger ſich mit der Vertretung der Parteien und der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Intereſſen befaſſen, wird in den Prozeßordnungen als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt. Nur unter dieſer Annahme ſind die Vorſchriften der Prozeßordnungen durchführbar, die ſtaat- liche Aufgabe der Handhabung des Rechtsſchutzes ſoll und kann nach Maßgabe des beſtehenden Rechts nur unter Mitwirkung von Rechtsanwälten realiſirt werden. Die berufsmäßige Thätigkeit der Rechtsanwälte iſt demnach für den Staat nothwendig; ſie iſt ein durch die ſtaatliche Rechtsordnung ſelbſt erforderter Faktor der Rechtspflege und man kann daher die Rechtsanwaltſchaft in der- ſelben Weiſe wie die Staatsanwaltſchaft als eine Inſtitution an- ſehen, welche einen Beſtandtheil der Gerichtsverfaſſung im weiteren Sinne bildet. Zwar läßt ſich von faſt allen Berufsarten und Ge- werben ſagen, daß ſie für die gedeihliche Entwicklung und das Beſtehen des Staates nothwendig oder nützlich ſind, aber während die übrigen Gewerbe wirthſchaftlichen oder geſellſchaftlichen Bedürf- niſſen dienen, hat der Rechtsanwalt ſein Arbeitsfeld auf einem Gebiet, das ganz eigentlich zur Entfaltung der weſentlichſten Staats- thätigkeit dient; er iſt ein Mitarbeiter an der Rechtspflege. In dieſem Sinne ſind die Berufsgeſchäfte des Rechtsanwalts als ein öffentliches Amt zu bezeichnen. Hieraus ergeben ſich aber zahlreiche Conſequenzen. Der Staat, welcher die Function des Rechtsanwalts dem Syſtem ſeines Gerichtsweſens einverleibt, muß 1) Strafproz.Ordn. §. 138. 144.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/121>, abgerufen am 27.11.2024.