Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 108. Die Rechtsanwaltschaft. derselben wäre auf die Gränzen des betreffenden Staatsgebietesresp. auf die Zuständigkeit des betreffenden Gerichts beschränkt; man hätte es den Einzelstaaten überlassen können, die Geschäfts- und Dienstverhältnisse ihrer Rechtsanwälte zu regeln. Von dieser Anschauung gingen die Bundesregierungen bei dem ersten Entwurf des Gerichtsverf.Gesetzes aus, welcher gar keine Bestimmungen über die Rechtsanwaltschaft enthielt 1). Würde man andererseits das System der freien Advokatur Die Reichsgesetzgebung hat aber einen Mittelweg eingeschlagen; 1) Die jetzt geltende Rechtsanwalts-Ordnung hat ihren ersten Ursprung in Anträgen, welche in der Reichstags-Kommission bei Berathung des Gerichts- verfassungsgesetzes gestellt worden sind. Vgl. Protok. I. Les. S. 257 bis 317. (Hahn S. 509 ff.) Laband, Reichsstaatsrecht. III. 2. 8
§. 108. Die Rechtsanwaltſchaft. derſelben wäre auf die Gränzen des betreffenden Staatsgebietesreſp. auf die Zuſtändigkeit des betreffenden Gerichts beſchränkt; man hätte es den Einzelſtaaten überlaſſen können, die Geſchäfts- und Dienſtverhältniſſe ihrer Rechtsanwälte zu regeln. Von dieſer Anſchauung gingen die Bundesregierungen bei dem erſten Entwurf des Gerichtsverf.Geſetzes aus, welcher gar keine Beſtimmungen über die Rechtsanwaltſchaft enthielt 1). Würde man andererſeits das Syſtem der freien Advokatur Die Reichsgeſetzgebung hat aber einen Mittelweg eingeſchlagen; 1) Die jetzt geltende Rechtsanwalts-Ordnung hat ihren erſten Urſprung in Anträgen, welche in der Reichstags-Kommiſſion bei Berathung des Gerichts- verfaſſungsgeſetzes geſtellt worden ſind. Vgl. Protok. I. Leſ. S. 257 bis 317. (Hahn S. 509 ff.) Laband, Reichsſtaatsrecht. III. 2. 8
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§. 108. Die Rechtsanwaltſchaft.
derſelben wäre auf die Gränzen des betreffenden Staatsgebietes
reſp. auf die Zuſtändigkeit des betreffenden Gerichts beſchränkt;
man hätte es den Einzelſtaaten überlaſſen können, die Geſchäfts-
und Dienſtverhältniſſe ihrer Rechtsanwälte zu regeln. Von dieſer
Anſchauung gingen die Bundesregierungen bei dem erſten Entwurf
des Gerichtsverf.Geſetzes aus, welcher gar keine Beſtimmungen
über die Rechtsanwaltſchaft enthielt 1).
Würde man andererſeits das Syſtem der freien Advokatur
eingeführt haben, ſo hätte in nothwendiger Conſequenz des Art. 3
der Reichsverf. und der allgemeinen Prinzipien der Gewerbe-Ord-
nung das Reich nur die Bedingungen für die Zulaſſung zu dieſem
Gewerbebetriebe zn regeln gehabt, im Uebrigen wäre die Aus-
übung deſſelben im ganzen Bundesgebiete frei und jeder Beſchränk-
ung durch die Einzelſtaaten entzogen geweſen, etwa wie der Ge-
werbebetrieb der Aerzte oder der Seeſchiffer.
Die Reichsgeſetzgebung hat aber einen Mittelweg eingeſchlagen;
ſie hat die Rechtsanwaltſchaft in einer Weiſe geordnet, die äußerſt
complizirt iſt, weil ſie zum Theil den Amtscharakter der Rechts-
anwaltſchaft und die demſelben entſprechenden Hoheitsrechte der
Einzelſtaaten, zum Theil die Freiheit des Gewerbebetriebes zur
Grundlage genommen hat. Die Ausübung der Rechtsanwaltſchaft iſt
freigegeben, aber doch zugleich an die ſtaatliche Zulaſſung geknüpft;
ſie erſtreckt ſich auf das ganze Reich und iſt doch zugleich lokali-
ſirt; der Rechtsanwalt hat amtliche Obliegenheiten, die er unter
gewiſſen Umſtänden auch wider ſeinen Willen erfüllen muß, er iſt
einer Disciplinargewalt unterworfen, aber er hat andererſeits keinen
ſtaatlichen Vorgeſetzten und keine Beamtendienſtpflichten; die Rechtsan-
waltsordnung iſt ebenſowohl eine Ergänzung des Gerichtsverfaſſungs-
geſetzes als der Gewerbeordnung. Für das Reichsſtaatsrecht aber
iſt es namentlich von Wichtigkeit die Gränzlinie feſtzuſtellen, inner-
halb deren den Einzelſtaaten noch die Bethätigung von Hoheits-
rechten und die Durchführung eines eigenen ſtaatlichen Willens
verblieben iſt; von einer „Souveränetät“ der Einzelſtaaten iſt auch
1) Die jetzt geltende Rechtsanwalts-Ordnung hat ihren erſten Urſprung
in Anträgen, welche in der Reichstags-Kommiſſion bei Berathung des Gerichts-
verfaſſungsgeſetzes geſtellt worden ſind. Vgl. Protok. I. Leſ. S. 257 bis 317.
(Hahn S. 509 ff.)
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