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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 105. Die Zeugenpflicht.
könnten, wie Dochow a. a. O. S. 58 vorschlägt. Denn wenn
es auch ganz richtig ist, daß die Handhabung der Disciplinarge-
walt an Stelle der Contraktsklage auf Leistung steht und den
Zweck hat, die Erfüllung der Dienstpflicht des Beamten zu er-
zwingen 1), so ist doch eben die Disciplinaranklage keine bürger-
liche Contraktsklage, sondern ein statt derselben gegebenes Mittel
und das Disciplinarverfahren ist keinenfalls "eine bürgerliche
Rechtsstreitigkeit, welche vor die ordentlichen Gerichte gehört."

Ebensowenig ist aber die Strafprozeß-Ordnung an und
für sich hier maßgebend. Das Disciplinar-Verfahren ist zwar
dem Strafverfahren nachgebildet und eine große Zahl der in der
Strafprozeß-Ordnung enthaltenen Regeln kann auf das Disci-
plinarverfahren entsprechende Anwendung erhalten, aber diese Aus-
dehnung setzt eine Anordnung des Gesetzgebers voraus. Denn die
Strafprozeß-Ordnung v. 1. Febr. 1877 ist nicht, wie vielfach
behauptet wird 2), eine allgemeine Strafprozeß-Ordnung, welche
für jedes auf Verhängung einer Strafe gerichtete Verfahren sub-
sidiär in Anwendung gebracht werden kann, sondern sie ist reichs-
gesetzlich
nur eingeführt für diejenigen Strafsachen, welche
vor die ordentlichen Gerichte gehören
. Selbst wenn
man daher -- was unrichtig wäre -- die Disciplinarsachen als
eine Unterart der Strafsachen ansehen wollte, so fehlt es bei ihnen
doch immer noch an der Voraussetzung, daß sie vor die ordent-
lichen Gerichte gehören. Auch ist wol zu beachten, daß wenn man
auch in prozessualer Hinsicht die Adoptirung des in der Straf-
prozeßordnung den ordentlichen Gerichten vorgeschriebenen Ver-
fahrens
Seitens anderer Behörden für unbedenklich erachten
könnte, dies doch nicht in gleicher Weise von den staatsrecht-
rechtlichen
Verpflichtungen der Unterthanen Geltung hat. Auf
Grund der Strafprozeßordnung kann daher ein Zeugnißzwang im
Disciplinar-Verfahren nicht geltend gemacht werden. Hieraus folgt
aber freilich nicht, daß ein solcher Zwang überhaupt nicht zulässig
sei; er kann vielmehr durch andere Gesetze begründet sein 3).
In dieser Hinsicht sind folgende Rechtssätze festzuhalten.


1) Vgl. Bd. I. S. 447 ff.
2) Vgl. die Erörterung in der Deutschen Verkehrszeitung 1877 S. 134 ff.
3) Vgl. Löwe Note 1 zu §. 69 der St.Proz.O.
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§. 105. Die Zeugenpflicht.
könnten, wie Dochow a. a. O. S. 58 vorſchlägt. Denn wenn
es auch ganz richtig iſt, daß die Handhabung der Disciplinarge-
walt an Stelle der Contraktsklage auf Leiſtung ſteht und den
Zweck hat, die Erfüllung der Dienſtpflicht des Beamten zu er-
zwingen 1), ſo iſt doch eben die Disciplinaranklage keine bürger-
liche Contraktsklage, ſondern ein ſtatt derſelben gegebenes Mittel
und das Disciplinarverfahren iſt keinenfalls „eine bürgerliche
Rechtsſtreitigkeit, welche vor die ordentlichen Gerichte gehört.“

Ebenſowenig iſt aber die Strafprozeß-Ordnung an und
für ſich hier maßgebend. Das Disciplinar-Verfahren iſt zwar
dem Strafverfahren nachgebildet und eine große Zahl der in der
Strafprozeß-Ordnung enthaltenen Regeln kann auf das Disci-
plinarverfahren entſprechende Anwendung erhalten, aber dieſe Aus-
dehnung ſetzt eine Anordnung des Geſetzgebers voraus. Denn die
Strafprozeß-Ordnung v. 1. Febr. 1877 iſt nicht, wie vielfach
behauptet wird 2), eine allgemeine Strafprozeß-Ordnung, welche
für jedes auf Verhängung einer Strafe gerichtete Verfahren ſub-
ſidiär in Anwendung gebracht werden kann, ſondern ſie iſt reichs-
geſetzlich
nur eingeführt für diejenigen Strafſachen, welche
vor die ordentlichen Gerichte gehören
. Selbſt wenn
man daher — was unrichtig wäre — die Disciplinarſachen als
eine Unterart der Strafſachen anſehen wollte, ſo fehlt es bei ihnen
doch immer noch an der Vorausſetzung, daß ſie vor die ordent-
lichen Gerichte gehören. Auch iſt wol zu beachten, daß wenn man
auch in prozeſſualer Hinſicht die Adoptirung des in der Straf-
prozeßordnung den ordentlichen Gerichten vorgeſchriebenen Ver-
fahrens
Seitens anderer Behörden für unbedenklich erachten
könnte, dies doch nicht in gleicher Weiſe von den ſtaatsrecht-
rechtlichen
Verpflichtungen der Unterthanen Geltung hat. Auf
Grund der Strafprozeßordnung kann daher ein Zeugnißzwang im
Disciplinar-Verfahren nicht geltend gemacht werden. Hieraus folgt
aber freilich nicht, daß ein ſolcher Zwang überhaupt nicht zuläſſig
ſei; er kann vielmehr durch andere Geſetze begründet ſein 3).
In dieſer Hinſicht ſind folgende Rechtsſätze feſtzuhalten.


1) Vgl. Bd. I. S. 447 ff.
2) Vgl. die Erörterung in der Deutſchen Verkehrszeitung 1877 S. 134 ff.
3) Vgl. Löwe Note 1 zu §. 69 der St.Proz.O.
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[163/0173] §. 105. Die Zeugenpflicht. könnten, wie Dochow a. a. O. S. 58 vorſchlägt. Denn wenn es auch ganz richtig iſt, daß die Handhabung der Disciplinarge- walt an Stelle der Contraktsklage auf Leiſtung ſteht und den Zweck hat, die Erfüllung der Dienſtpflicht des Beamten zu er- zwingen 1), ſo iſt doch eben die Disciplinaranklage keine bürger- liche Contraktsklage, ſondern ein ſtatt derſelben gegebenes Mittel und das Disciplinarverfahren iſt keinenfalls „eine bürgerliche Rechtsſtreitigkeit, welche vor die ordentlichen Gerichte gehört.“ Ebenſowenig iſt aber die Strafprozeß-Ordnung an und für ſich hier maßgebend. Das Disciplinar-Verfahren iſt zwar dem Strafverfahren nachgebildet und eine große Zahl der in der Strafprozeß-Ordnung enthaltenen Regeln kann auf das Disci- plinarverfahren entſprechende Anwendung erhalten, aber dieſe Aus- dehnung ſetzt eine Anordnung des Geſetzgebers voraus. Denn die Strafprozeß-Ordnung v. 1. Febr. 1877 iſt nicht, wie vielfach behauptet wird 2), eine allgemeine Strafprozeß-Ordnung, welche für jedes auf Verhängung einer Strafe gerichtete Verfahren ſub- ſidiär in Anwendung gebracht werden kann, ſondern ſie iſt reichs- geſetzlich nur eingeführt für diejenigen Strafſachen, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. Selbſt wenn man daher — was unrichtig wäre — die Disciplinarſachen als eine Unterart der Strafſachen anſehen wollte, ſo fehlt es bei ihnen doch immer noch an der Vorausſetzung, daß ſie vor die ordent- lichen Gerichte gehören. Auch iſt wol zu beachten, daß wenn man auch in prozeſſualer Hinſicht die Adoptirung des in der Straf- prozeßordnung den ordentlichen Gerichten vorgeſchriebenen Ver- fahrens Seitens anderer Behörden für unbedenklich erachten könnte, dies doch nicht in gleicher Weiſe von den ſtaatsrecht- rechtlichen Verpflichtungen der Unterthanen Geltung hat. Auf Grund der Strafprozeßordnung kann daher ein Zeugnißzwang im Disciplinar-Verfahren nicht geltend gemacht werden. Hieraus folgt aber freilich nicht, daß ein ſolcher Zwang überhaupt nicht zuläſſig ſei; er kann vielmehr durch andere Geſetze begründet ſein 3). In dieſer Hinſicht ſind folgende Rechtsſätze feſtzuhalten. 1) Vgl. Bd. I. S. 447 ff. 2) Vgl. die Erörterung in der Deutſchen Verkehrszeitung 1877 S. 134 ff. 3) Vgl. Löwe Note 1 zu §. 69 der St.Proz.O. 11*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/173>, abgerufen am 21.11.2024.