Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 105. Die Zeugenpflicht. ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut ist; Verthei-diger des Beschuldigten in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser ihrer Eigenschaft anvertraut ist, falls sie nicht von der Ver- pflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind; und unter der gleichen Einschränkung Rechtsanwälte und Aerzte in An- sehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufes anver- traut ist 1). Oeffentliche Beamte sind nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, die Zeugenaussage auch im Straf- prozeß zu verweigern, und es ist den Gerichten verboten, sie über solche Umstände zu vernehmen. Auch diese Beschränkung der Zeug- nißpflicht fällt aber fort, wenn die vorgesetzte Dienstbehörde des Beamten (oder bei Beamten außer Dienst die ihnen zuletzt vor- gesetzt gewesene Dienstbehörde) die Vernehmung desselben geneh- migt 2), und diese Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reiches oder eines Bundesstaates Nachtheil bereiten würde 3). Wird die Ablegung des Zeugnisses ohne Grund oder nach a) Der Zeuge ist in die durch die Zeugnißverweigerung ver- b) Es kann auf den Zeugen ein Zwang zur Ablegung 1) Strafproz.O. §. 52. 2) Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaisers, für die Minister der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Se- nate der freien Hansestädte der Genehmigung des Senats. 3) Strafproz.O. §. 53. 4) Ueber das Verfahren behufs Entscheidung über die Zeugnißpflicht vgl. Civilproz.O. §. 351--354 und Strafproz.O. §. 55. 5) Strafproz.O. §. 69 Abs. 1. Civilproz.O. §. 355 Abs. 1.
§. 105. Die Zeugenpflicht. ihnen bei Ausübung der Seelſorge anvertraut iſt; Verthei-diger des Beſchuldigten in Anſehung desjenigen, was ihnen in dieſer ihrer Eigenſchaft anvertraut iſt, falls ſie nicht von der Ver- pflichtung zur Verſchwiegenheit entbunden ſind; und unter der gleichen Einſchränkung Rechtsanwälte und Aerzte in An- ſehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufes anver- traut iſt 1). Oeffentliche Beamte ſind nicht nur befugt, ſondern auch verpflichtet, über Umſtände, auf welche ſich ihre Pflicht zur Amtsverſchwiegenheit bezieht, die Zeugenausſage auch im Straf- prozeß zu verweigern, und es iſt den Gerichten verboten, ſie über ſolche Umſtände zu vernehmen. Auch dieſe Beſchränkung der Zeug- nißpflicht fällt aber fort, wenn die vorgeſetzte Dienſtbehörde des Beamten (oder bei Beamten außer Dienſt die ihnen zuletzt vor- geſetzt geweſene Dienſtbehörde) die Vernehmung deſſelben geneh- migt 2), und dieſe Genehmigung darf nur verſagt werden, wenn die Ablegung des Zeugniſſes dem Wohle des Reiches oder eines Bundesſtaates Nachtheil bereiten würde 3). Wird die Ablegung des Zeugniſſes ohne Grund oder nach a) Der Zeuge iſt in die durch die Zeugnißverweigerung ver- b) Es kann auf den Zeugen ein Zwang zur Ablegung 1) Strafproz.O. §. 52. 2) Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaiſers, für die Miniſter der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Se- nate der freien Hanſeſtädte der Genehmigung des Senats. 3) Strafproz.O. §. 53. 4) Ueber das Verfahren behufs Entſcheidung über die Zeugnißpflicht vgl. Civilproz.O. §. 351—354 und Strafproz.O. §. 55. 5) Strafproz.O. §. 69 Abſ. 1. Civilproz.O. §. 355 Abſ. 1.
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§. 105. Die Zeugenpflicht.
ihnen bei Ausübung der Seelſorge anvertraut iſt; Verthei-
diger des Beſchuldigten in Anſehung desjenigen, was ihnen in
dieſer ihrer Eigenſchaft anvertraut iſt, falls ſie nicht von der Ver-
pflichtung zur Verſchwiegenheit entbunden ſind; und unter der
gleichen Einſchränkung Rechtsanwälte und Aerzte in An-
ſehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufes anver-
traut iſt 1). Oeffentliche Beamte ſind nicht nur befugt, ſondern
auch verpflichtet, über Umſtände, auf welche ſich ihre Pflicht zur
Amtsverſchwiegenheit bezieht, die Zeugenausſage auch im Straf-
prozeß zu verweigern, und es iſt den Gerichten verboten, ſie über
ſolche Umſtände zu vernehmen. Auch dieſe Beſchränkung der Zeug-
nißpflicht fällt aber fort, wenn die vorgeſetzte Dienſtbehörde des
Beamten (oder bei Beamten außer Dienſt die ihnen zuletzt vor-
geſetzt geweſene Dienſtbehörde) die Vernehmung deſſelben geneh-
migt 2), und dieſe Genehmigung darf nur verſagt werden, wenn
die Ablegung des Zeugniſſes dem Wohle des Reiches oder eines
Bundesſtaates Nachtheil bereiten würde 3).
Wird die Ablegung des Zeugniſſes ohne Grund oder nach
Verwerfung des vorgeſchützten Grundes verweigert 4), ſo hat dies
vollkommen analoge Wirkungen wie die Verletzung der Geſtellungs-
pflicht des Zeugen, nämlich:
a) Der Zeuge iſt in die durch die Zeugnißverweigerung ver-
urſachten Koſten, ſowie zu einer Geldſtrafe bis zu 300 M.
und für den Fall, daß dieſe nicht beigetrieben werden kann, zur
Strafe der Haft bis zu ſechs Wochen zu verurtheilen 5). Die
Strafe hat den Charakter der Ordnungsſtrafe und es gilt von ihr
in allen Beziehungen was oben S. 172 von der Ordnungsſtrafe
wegen unentſchuldigten Ausbleibens geſagt iſt.
b) Es kann auf den Zeugen ein Zwang zur Ablegung
des Zeugniſſes ausgeübt werden, indem das Prozeßgericht (der
1) Strafproz.O. §. 52.
2) Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaiſers, für
die Miniſter der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Se-
nate der freien Hanſeſtädte der Genehmigung des Senats.
3) Strafproz.O. §. 53.
4) Ueber das Verfahren behufs Entſcheidung über die Zeugnißpflicht vgl.
Civilproz.O. §. 351—354 und Strafproz.O. §. 55.
5) Strafproz.O. §. 69 Abſ. 1. Civilproz.O. §. 355 Abſ. 1.
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